Das tut man nicht, Herr Broder

Henryk M. Broder. Foto (von 2012): Henryk M. Broder / CC BY-SA 3.0

Henryk M. Broder ging bei seinem Auftritt bei der AfD-Bundestagsfraktion härter mit einer 16jährigen Umweltaktivistin ins Gericht als mit der Partei und ihren rechtsextremen Tendenzen

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Broder ist bekannt als streitbarer Publizist. Er schert sich nicht um die Meinung anderer, bricht hemmungslos Tabus, beschäftigt sich mit Themen, die andere scheuen wie der Teufel das Weihwasser, political correctness ist ihm ein Fremdwort. Broder provoziert und polarisiert. Das weiß er - und das will er auch. Vermutlich amüsiert ihn nichts mehr als seine Kritiker. Im Gespräch bleiben, ist die Devise.

Im Gespräch bleiben wollte er auch mit der AfD, weil er den Umgang mit der größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag "nicht fair" findet, wie er in seiner von der Welt dokumentierten Rede sagte. Deshalb habe er die Einladung angenommen.

Grundsätzlich ist dagegen zunächst einmal nichts einzuwenden. Parteien laden mitunter Journalistinnen und Journalisten ein, nicht nur die AfD. Die - ob uns das gefällt oder nicht - die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag ist. Solche Einladungen werden ausgesprochen, entweder weil die Parteien sich mit den Auftritten prominenter Medienschaffender schmücken oder weil sie Einblick in die journalistische Arbeit bekommen wollen oder weil sie Input zu einem bestimmten Thema erwarten.

Journalistinnen und Journalisten nehmen solche Einladungen aus verschiedenen Gründen an, einer davon ist, die kritische Auseinandersetzung zu suchen. Das ist übrigens der Grund, weshalb ich persönlich der Ansicht bin, dass der Beruf "Journalismus" und ein Parteibuch nicht in einer Person vereint sein sollten. Wir müssen von außen drauf gucken und auch hart kritisieren können - ohne dass uns mit Sanktionen oder gar dem Ausschluss gedroht werden kann und so die mediale Berichterstattung beeinflusst wird.

Die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten ist es nicht, die Welt schön zu schreiben, und wenn sie es nicht ist, eine bessere "Realität", quasi eine Relozität, zu erfinden. Sondern unser Job ist es, den Finger in jede Wunde zu legen - unabhängig von politischer Ab- oder Zuneigung. Das darf ruhig weh tun, muss es sogar. Es macht nämlich nur Sinn, wenn es weh tut, sprich Konsequenzen hat, und das tat es bei der Rede Broders vor der AfD-Bundestagsfraktion definitiv nicht. Im Gegenteil: Am Ende stand die Aussicht auf eine Wählerstimme mehr - sofern die Partei sich eines besseren Sprachstils bedient.

Doch bevor seine Fans wie Gegner überhaupt erfuhren, was genau Broder der AfD mit auf den Weg gegeben hat, tauchte ein Foto auf, auf dem zu sehen ist, wie Alice Weidel sich nahezu an ihn schmiegt. Broder grinst leicht dümmlich, im Hintergrund ist der AfD-Abgeordnete Jürgen Braun zu sehen. Damit hatte sich die Sache erledigt. Die einen feierten die innige Vereinigung Broders mit der AfD, andere sahen ihr Weltbild bestätigt: Dass Broder mit der AfD kuschelt, war doch eh klar. Und nun gab es sogar einen sichtbaren Beweis dafür.

Das führte zu einem verbalen Kleinkrieg in den sozialen Netzwerken, der bis heute anhält. Für die einen ist Broder ein Held, der der AfD mal so richtig die Meinung gegeigt hat, für die anderen hat er sich als das geoutet, was ohnehin klar war, dass er das ist: als "Rechtsaußen".

Die Publizistin Liane Bednarz resümierte im Deutschlandfunk: "Er hat wahrscheinlich wirklich etwas erreicht." Der Historiker Michael Wolfssohn nannte ihn in der Welt den "AfD-Entzauberer". Dabei bezog er sich auf den Satz in Broders Rede:

Ein Besuch bei Ihnen stand nicht auf meiner Liste, ich habe die Einladung trotzdem gerne angenommen, wann bekommt ein Jude schon die Gelegenheit, in einem Raum voller Nazis, Neo-Nazis, Krypto-Nazis und Para-Nazis aufzutreten?

Henryk M. Broder

Allerdings war das typischer Broder-Sarkasmus und wurde vom Publikum auch als solcher verstanden. Im Grunde genommen gab er damit zu verstehen, was er von dieser Zuschreibung hält: nämlich nichts.

Zu behaupten, die AfD wäre ein Haufen voller "Nazis, Neo-Nazis, Krypto-Nazis und Para-Nazis" wäre auch schlicht Quatsch. Selbstverständlich sind nicht alle AfD-Mitglieder Nazis, auch nicht die Abgeordneten. Aber diejenigen, die keine Nazis sind, wissen, dass sie mit Nazis in derselben Partei sind und tolerieren das.

Und genau das ist das Problem - und im Hinblick auf Broder ist das Problem, dass er kein Problem damit zu haben scheint - oder wenn, dann nur ein klitzekleines.

Dass Wolffsohn Broder zur Seite sprang, veranlasste wiederum den SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs zu twittern: "was für ein peinlicher artikel. einer von ganz rechtsaußen lobt einen von ganz rechtsaußen, der sich von der afd hat einseifen lassen." Kahrs seinerseits hatte den AfD-Abgeordneten im Bundestag kurz vorher geraten, in den Spiegel zu schauen, damit sie sähen, wie hässlich sie seien. Hass mache hässlich. Das wiederum bezeichnete Broder in seiner Rede vor der AfD-Bundestagsfraktion als "Griff ins Klo".

Der Tweet von Johannes Kahrs brachte ihm Beifall von Broders Kritikern, löste indes Empörung aus bei dessen Fans. Es sei ein Unding, dass ein SPD-Politiker zwei Juden quasi als Nazis beschimpfe, weil diese eine ihm missfallende Meinung hätten, hieß es.

Was hat Broder in seiner Rede gesagt?

Der Streit tobt immer noch, in den sozialen Netzwerken, in der Stammkneipe und am Küchentisch. Doch was hat Broder nun eigentlich tatsächlich gesagt?

Einige Tage nachdem er sie gehalten hatte, dokumentierte die Welt die Rede Broders. In dem Artikel erklärt er zunächst, wie es überhaupt zu dem Foto kam. Bevor er richtig angekommen ist, hat demnach Alice Weidel die Situation geschickt auszunutzen verstanden, ein anderer sorgte dafür, dass der Moment für die Mitwelt festgehalten wird und dass das Foto in sozialen Netzwerken viral geht. Dass es ein Selbstläufer würde, war klar.

Broder wollte sich mit seinem Auftritt bei der AfD als enfant terrible inszenieren - doch Alice Weidel hat ihm die Show gestohlen. Dumm gelaufen …

Broders Fans waren begeistert von der Rede. Er habe die AfD pointiert, humorvoll, spöttisch und treffsicher kritisiert, hieß es. Mag sein, dass verschiedene Versionen der Rede kursieren. Aber in der Fassung, wie sie die Welt veröffentlichte, geht er mit so einigen hart ins Gericht - bloß nicht mit der AfD.

Zunächst einmal holte er die AfD ab, indem er ihre Weltsicht bediente, sich über die Grünen belustigte, austeilte gegen die 16-jährige Greta Thunberg, die Initiatorin der "Friday for Future"-Demos; er bescheinigte Umwelt-Aktivistinnen, einer neuen Religion anzuhängen, outete sich als Anhänger der Theorie, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei und amüsierte sich ein bisschen über den Feminismus.

Auch das Thema "Islam" ließ er anklingen, ohne allerdings den Begriff direkt zu verwenden. Musste er auch nicht, dem Auditorium sind die Codes bekannt, die Botschaft kam an. "Klimanazis", "Gendergaga", Islam, das sind durchaus Themen und Begrifflichkeiten, die im Umfeld der AfD beheimatet sind, und auch in deren eigenen Reihen. Broder verstieg sich sogar zu der Forderung nach:

(…) Verschärfung des Tatbestands "Kindesmissbrauch", um auch solche Fälle verfolgen zu können wie den der bereits erwähnten Greta aus Schweden, die von den Klimarettern zur Ikone ihrer Bewegung erkoren wurde.

Henryk M. Broder

Vielleicht sollte ihm mal jemand erklären, dass Greta Thunberg Schwedin, 16 Jahre alt und somit kein Kind mehr und zudem Bewunderung kein Straftatbestand ist.

Er unterfütterte seine Rede auch noch mit allerhand Banalitäten, was er in seinem Leben alles noch machen möchte, was ihm verwehrt wird, etc. … Irgendwann kam er auf den AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und den von ihm verwendeten Begriff "Vogelschiss" zu sprechen, mit dem dieser den deutschen Faschismus zum Wimpernschlag der Geschichte erklärte:

Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich dazu sagen, dass ich kein prinzipieller Gegner der Political Correctness bin, wenn damit gemeint ist, dass es Dinge gibt, die man nicht tun darf und nicht propagieren sollte. (…)


Aber es geht nicht nur um Gesetze, die natürlich verschieden ausgelegt werden können, was man den "Ermessensspielraum" nennt, der seinerseits zu Urteilen führt, die kein "gerecht und billig" denkender Mensch nachvollziehen kann. Es geht auch um etwas, das unsere PC-mäßig unverdorbenen Eltern in die Worte "Das tut man nicht" fassten. Man legt die Füße nicht auf den Tisch, man rülpst nicht beim Essen, und man nennt die zwölf schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte nicht einen "Vogelschiss".


Das ist nicht nur aus der Sicht der Nazi-Opfer - der Juden, der Zigeuner, der Homosexuellen, der Widerstandskämpfer, der Deserteure - eine schwere Sünde. Es muss auch ein No-Go für jeden Deutschen sein, der kein Jude, kein Zigeuner, nicht schwul ist und keine Angehörigen hat, die von den Nazis verfolgt wurden.

Henryk M. Broder

Angesichts der Ungeheuerlichkeit, das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Menschheitsgeschichte einen "Vogelschiss" zu nennen, eine sehr sanfte Schelte. Noch dazu für Broder, der ansonsten gern und wortgewaltig austeilt. Nach allem, was zu lesen war, war der Gescholtene noch nicht einmal zugegen.

Vor den Bundestags-Abgeordneten einer Partei, die mit dem Bremer Frank Magnitz einen Mann in ihren Reihen haben, bei dem nicht klar ist, ob er von Linken oder Rechten niedergeschlagen wurde oder von Kleinkriminellen, die von Hintermännern aus dem Milieu der Organisierten Kriminalität beauftragt wurden.

Zu einem Zeitpunkt, an dem aus einem zuvor veröffentlichten Verfassungsschutzbericht (unter Punkt 7.1.1 Björn Höcke) hervorging, dass der langjährige thüringische Landesvorsitzende der Partei, Björn Höcke, "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" identisch ist mit dem rechtsextremen Publizisten Langolf Ladig, der über beste Kontakte in die rechtsradikale Szene verfügt. Zu einem Zeitpunkt, als ruchbar wurde, dass Manuel Ochsenreiter, der für einen AfD-Bundestagsabgeordneten gearbeitet hat, beschuldigt wird, einen Sabotageakt in der Ukraine in Auftrag gegeben zu haben, um Putin zu unterstützen.

Zunächst stellte Broder also Gemeinsamkeiten her. Dabei ging er mit einer etwa 1.000 km entfernt lebenden 16jährigen Schülerin härter ins Gericht als mit dem abwesenden Gauland und dessen unsäglicher Holocaustrelativierung sowie den sonstigen wenig appetitlichen Umtrieben innerhalb und im Umfeld der Partei, deren Bundestagsabgeordnete vor ihm saßen. Er biederte sich bei der AfD an – u.a. auf Kosten eines 16jährigen Mädchens.

DAS tut man nicht, Herr Broder.