Von Präsidenten, Gegen-Präsidenten und Regime-Change

Der Machtkampf in Venezuela steht in einer unheilvollen Tradition von Interventionspolitik

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Die USA und einige EU-Staaten erkennen Präsident Maduros Gegenspieler Juan Guaidó als neuen Machthaber Venezuelas an. Dabei muss man nicht für Maduro sein, um gegen diesen Regime-Change zu sein. Denn ein durch Kompromisse erzielter Friede ist rational alternativlos.

Legitime Einmischung oder "Frechheit"?

Seit sich der venezolanische Parlamentspräsident Juan Guaidó am 23. Januar 2019 zum Interimspräsidenten des Landes erklärt hat, eskaliert ein seit Jahren schwelender Konflikt zum offenen Machtkampf. Die USA stellen sich hinter Guaidó und fordern den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro Moros zum Rücktritt auf. Und während die EU noch nach einer einheitlichen Linie suchte, preschten Deutschland, Frankreich und Großbritannien, unterstützt von Spanien, den Niederlanden, Schweden und Österreich, vor und fordern Neuwahlen binnen einer Woche.

Als Maduro die als "Frechheit" bezeichnete Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas wenig überraschend ignoriert, erkennen etliche EU-Staaten seinen Gegenspieler Juan Guaidó am 4. Februar als Übergangspräsidenten an.

Maduro vs. Guaidó: "gewählter Präsident" vs. "Interimspräsident" oder "Diktator" vs. "Usurpator"?

Blickt man dieser Tage nach Venezuela, so fühlt sich ein bisschen an den Euro-Maidan erinnert: Ende 2013 war es in der Ukraine zum Machtkampf zwischen der russlandfreundlichen Regierung um Präsident Wiktor Janukowitsch und dem NATO-freundlichen Flügel im Parlament gekommen. Janukowitsch bot nach Massendemonstrationen schließlich einen Kompromiss an und stimmte zu, Arsenij Jazenjuk, den Fraktionsführer der Vaterlandspartei - mit 25 Prozent der Stimmen zweitgrößte Parlamentsfraktion - zum Ministerpräsidenten zu machen.

Jazenjuk allerdings lehnte Ende Januar 2014 ab, und der Rest ist bekannt: Janukowitsch floh nach Russland und machte so den Weg frei für den von den USA favorisierten und unterstützten Arsenij Jazenjuk, der am 27. Februar 2014 vom Parlament zum Ministerpräsidenten der Übergangsregierung ernannt wurde. Anschließend vollzog die Ukraine endgültig die bereits in den 2000er Jahren begonnene und durch Janukowitsch vorübergehend gebremste West-Orientierung, worauf Moskau sich die Krim einverleibte, sich im Osten der Ukraine mit Donezk und Lugansk weitere Gebiete für autonom erklärten und das Land in einen Bürgerkrieg stürzte. Gegen Jazenjuk wiederum wurden im März 2016 in der Ukraine Ermittlungen wegen Korruption aufgenommen.

Fünf Jahre später darf die Frage gestellt werden, was die westliche Unterstützung einer Seite im ukrainischen Machtkampf dem Land beschert hat. Die Antworten sind unerfreulich: Die wirtschaftlichen Probleme sind weiterhin ungelöst und die NATO-Unterstützung der ukrainischen Regierung, fortgeführt unter dem Milliardär und neuen Präsidenten Pedro Poroschenko, hat die russische Besetzung der Krim und die Unterstützung der ostukrainischen Paramilitärs durch Moskau provoziert.

Das bedeutet keineswegs, dass Russland nicht eine Mitverantwortung für die Eskalation trägt. Aber die Entwicklung in der Ukraine hat klargemacht, dass sich eine schlechte Situation durch einseitige Unterstützung in einem Machtkampf zum Bürgerkrieg ausweiten und sich dadurch noch weiter verschlechtern kann, anstatt sich zu bessern. Seit dem Euro-Maidan ist die Ukraine kein wohlhabenderes, sondern ein ärmeres Land, darüber hinaus durch Krieg gespalten. Die Global Player USA und Russland haben ihren Zwist ein weiteres Mal auf dem Rücken eines Drittlandes ausgetragen