Nord Stream 2: Macron geht auf Abstand zu Merkel

Reinigung der Pipeline-Rohre. Bild: © Nord Stream 2 / Paul Langrock

Die Pipeline als Politikum. Frankreich stellt sich gegen Deutschland. Update: Es soll einen Kompromissvorschlag geben

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Erdgas, das über die Pipeline Nord Stream 2 angeliefert wird, verspricht wesentlich billigere Preise als die Flüssigerdgas-Konkurrenz. So billig, dass der russische Präsident Putin kürzlich versprechen musste, dass die Preise nicht allzu sehr fallen. Das Gas aus der Pipeline würde auch umweltschonender gefördert und geliefert. Das sind klare Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Flüssiggas-Import.

Die hatte auch der französische Energieriese Engie (früher GDF Suez, seit 2015 mit dem neuen Namen) im Auge, als er sich dazu entschloss, in das Projekt zu investieren. Mit nicht ganz einer Milliarde Euro ist der Konzern an der Finanzierung von Nord Stream 2 beteiligt. Wie die Vorstandsvorsitzende Isabelle Kocher vor zwei Jahren betonte, baue der französische Konzern auf eine mehr als 40-jährige Geschäftsbeziehung mit Gazprom. Kocher spricht in mehreren Interviews und Auftritten davon, wie wichtig das Nord Stream 2 Projekt für den Konzern ist, was von russischen Medien wie Sputnik auch gerne berichtet wurde.

Nun stellt sich heraus, dass die französische Regierung dem Projekt Nord Stream 2 mit einer veränderten Haltung gegenübersteht. Man werde der Vorlage einer Veränderung der Gasrichtlinie zustimmen, teilte das französische Außenministerium gestern mit und bestätigte damit die Informationen der Süddeutschen Zeitung, die vorgestern Abend überraschte und die Medien in Deutschland gestern sehr beschäftigte (Nord Stream 2: Der politische Druck wird hochgefahren):

Frankreich will die neu angepasste Richtline unterstützen. Wir arbeiten mit unseren Partnern, insbesondere Deutschland, an den Veränderungen, die dem Text hinzugefügt werden können.

France Diplomatie

Die Veränderung der Gasrichtline, über die heute Nachmittag abgestimmt wird, laufen darauf hinaus, dass die oben geschilderten Wettbewerbsvorteile des Nord Stream 2-Projektes stark eingeschränkt werden. Möglich ist die Neuanpassung, weil die EU nun offensichtlich eine juristische Grundlage dafür gefunden hat, auch Erdgaslieferungen von Drittländern übers Meer Bestimmungen zu unterwerfen, nach denen ausgeschlossen werden soll, dass der Erdgaslieferant - Gazprom - und derjenige, der die Kontrolle über die Versorgungspipeline hat, - auch Gazprom - ein und dieselbe Geschäftsperson ist.

Ein praktischer Ausweg, der sich hier auftun würde, wäre die Gründung von zwischengeschalteten Unternehmen, was aber einigen Aufwand bedeutet. Möglicherweise ist das einer der Punkte, an denen Frankreich und Deutschland arbeiten. Aber das ist Spekulation. Am offiziellen Statement aus Paris ist solches nicht abzulesen.

Macron sagt auch noch den Deutschlandbesuch ab

Es bleibt die Verwunderung darüber, warum Frankreich, Hauptaktionär des Konzerns Engie, und enger politischer Freund Deutschlands (Das Wunder: Die deutsch-französische Freundschaft) sich in der Abstimmung auf die Seite derjenigen stellt, die härtere Auflagen für Nord Stream 2 fordern, und nach Einschätzungen, die gestern in Medien zu lesen waren, das Projekt auf jeden Fall blockieren, wenn nicht sogar kippen könnte.

Da zeitgleich bekannt wurde, dass Macron nicht an der Münchener Sicherheitskonferenz teilnehmen würde, war dann das augenscheinlich "belastete Verhältnis" zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen Merkel und Macron das große Thema, das z.B. auf der Spiegel-Webseite groß aufbereitet wurde.

Wobei erwähnt werden soll, dass inhaltlich beschwichtigt wurde: "Die Absage sei bereits am vergangenen Freitag erfolgt, sagte ein Sprecher der Konferenz. Über die Entscheidung hatte zuvor die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Aus Kreisen des Präsidialamtes hieß es, die Entscheidung liege sogar noch länger zurück und habe nichts zu tun mit dem aktuellen Streit über die EU-Gasrichtlinie."

Es war eine Schlagzeilen-Aufregung à la "Merkel und Macron im Politthriller um Putins Pipeline. Wendet sich Macron jetzt von Merkel ab?" Macron hätte auch Gründe dafür, Merkel hat ihn mit seinen EU-Reformplänen ziemlich auflaufen lassen, hat jeden enthusiastischen Impuls Macrons politisch abprallen lassen, auch beim Brexit hatten sie neulich unterschiedliche Ansichten, usw..

Aber was wäre sein politisches Interesse daran? Mehr Stimmen bei französischen Wählerinnen und Wählern, die ihm zu große Nähe zu Deutschland vorwerfen?

Andere Prioritäten

Auffällig ist, dass die französischen Medien das Thema weitgehend ignorierten. Die große außenpolitische Verstimmung wird dort im Verhältnis zu Italien gesehen. Dessen Botschafter wurde zu einem Gespräch gebeten, nachdem sich di Maio mit einer Persönlichkeit der Gelbwesten getroffen hatte. Dem zuvorgegangen war ein wochenlanger Schlagabtausch zwischen Macron und der neuen italienischen Regierung, der hart geführt wurde.

Das andere Top-Thema war die Benalla-Affäre, wo ein russischer Oligarch im Hintergrund eine Rolle spielt - und dies nicht gerade zugunsten der Regierung in Paris. Einzig das Macron nahestehende Medium BFMTV brachte einen Artikel zu Nord Stream 2 - mit einer ähnlichen Tendenz wie deutsche Berichte: "Warum Paris Berlin fallen lassen könnte". Man beachten die Möglichkeitsform und: Von einer irgendwie politisch nun evident gewordenen Kluft zwischen Macron und Merkel ist dort nicht die Rede.

Der Figaro berichtete davon, dass Macron nicht nach München zur Sicherheitskonferenz fahre, weil er alle Auslandstermine abgesagt habe, um sich völlig der großen landesweiten Debatte in Frankreich zu widmen. Wer auf Macrons Twitterseite schaut, wo er sich enthusiastisch mitten im Volk präsentiert ("Das ist Politik!"), mag das auch glauben. Er hat in Frankreich viel aufzuholen. Es geht um seine politische Zukunft.

Aber möglicherweise ändert sich die Berichterstattung ja heute, nach der Abstimmung. Es wäre nicht das erste Mal, dass in Frankreich etwas später reagiert wird. Und es wäre nicht das erste Mal, dass ein Politikum heruntergespielt wird.

Ein "symbolisches Signal"

Die einzigen beiden Ausnahmen in Frankreichs Medien waren bisher die französischen Online-Auftritte von Russia Today und Sputnik. Sie berichteten über die Spannungen zwischen Macron und Merkel. Dabei wurde - wie auch in deutschsprachigen Berichten - Henrik Enderlein, Direktor der deutsch-französischen Denkfabrik "Jacques-Delors in Berlin" wiedergegeben. Er wird als Vertrauter Macrons dargestellt. Zitiert wird eine Aussage, die er der Süddeutschen gegenüber machte, wo er von einem "symbolischen Signal" und einer "schleichenden Entfremdung" sprach. Enderlein mache sich diesbezüglich Sorgen.

Auf seinem Twitteraccount listet Enderlein die Punkte auf, wo die Abkühlung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich abzulesen sei: Nord Stream, die Vertiefung der EU, EU-Sicherheitspolitik, Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Hier zeige sich, dass es an Gemeinsamkeiten fehle. Offenbar werde das Tandem in Deutschland nicht mehr so hoch geschätzt in Berlin, so Enderlein. Ein Schwächung des Tandems sei aber ein Fehler in Hinsicht auf die EU - die Populisten in Ungarn und Italien könnten schon mal das Popcorn auspacken, wie auch Putin.

So gesehen ist Enderlein zuzustimmen. Die Nachricht, dass die französische Regierung zu Nord Stream 2 eine Haltung überlegt hat, die nicht mit der deutschen übereinstimmt und dass Macron nicht nach Deutschland kommt, hat "symbolischen Wert", der andernorts schon bemerkt wird - auch wenn das in Frankreichs Öffentlichkeit bisher nicht so hoch gehängt wird.

Und Enderlein trifft einen neuralgischen Punkt, wenn er Deutschland in der Sache Nord Stream 2 vorwirft, dass man Interessen anderer EU-Staaten im Vergleich mit Frankreich zu wenig in den Blick genommen hat. Auch wenn Merkel betont, dass man ja auch in LNG investiert.

Frankreichs Freundschaft mit Polen

Frankreich verbindet eine lange und wichtige Freundschaft mit Polen, wie dies französische Präsidenten regelmäßig betonen und das ist ihnen wichtig. Dieses besondere Verhältnis stellten sie in der Vergangenheit immer wieder in Kontrast zu deutsch-polnischen Verhältnissen. Als eine hochrangige französische Politikerin, nämlich die "Ministerin für europäische Angelegenheiten", Nathalie Loiseau, Ende Januar zu Besuch in Warschau war, traf sich trotz der Rangunterschiede der polnische Außenminister mit ihr.

Man sprach dabei auch über Nord Stream 2. In einem Interview mit einem großen polnischen Medium machte Loiseau deutlich, dass Frankreich die Position Polens bei Verhandlungen über Nord Stream 2 berücksichtigen werde. Loiseau ist Russland gegenüber distanziert.

Zur Nähe zwischen Frankreich und Polen kommen andere Empfindlichkeiten hinzu. Dass Deutschland bei Erdgaslieferungen aus Russland der Anlieferungspunkt wäre, von wo aus das Erdgas dann nach Europa weiter geliefert wird, bestärkt ein Bild des mächtigen Deutschlands, das nicht unbedingt beliebt ist.

Die Bewunderung für Deutschland in Osteuropa ist anderen Gefühlen gewichen. Auch das könnte bei der französischen Entscheidung mithinein spielen. Zumal man in Paris, wie an Loiseaus Positionen abzulesen ist, das Misstrauen osteuropäischer und baltischer Staaten gegenüber Russland anders aufnimmt als in Berlin.

Engie: Angst vor US-Sanktionen

Das alles erklärt aber noch nicht wirklich, warum sich die französische Regierung auch gegen die Interessen des Energieriesen Engie stellen sollte. Zur Antwort gehört, dass Engie schon seit längerem signalisiert hat, dass man im Falle von Sanktionen, wie sie von US-Vertretern angedroht wurden, aus dem Projekt Nord Stream 2 aussteigen werde.

Es ist also gut möglich, dass in den letzten Tagen der Druck im Hintergrund derart erhöht wurde, dass es französischen Interessen mehr entsprach, aus dem Pipeline-Projekt auszusteigen bzw. den Wettbewerbsvorteil zu verkleinern. Dass Macron immer wieder Probleme mit Russland auf medialer Ebene hat - ohnehin ist er kein großer Freund von RT und Sputnik und deren Berichterstattung über die Gelbwesten dürfte daran nichts Wesentliches ändern -, auch das könnte durchaus bei der Entscheidung mitspielen.

Als Faktor mitspielen könnte auch, dass der Engie-Konzern auf mehreren Geschäftsfeldern, die mit Gas zu tun haben, tätig ist. Große Teile des "LNG-Geschäfts" hat man allerdings 2018 an ein anderes französisches Unternehmen - Total - weiterverkauft.

Update: Die dpa meldet am Freitagmittag, dass Frankreich und Deutschland einen Kompromissvorschlag gefunden hätten, der ermögliche, "zusätzliche Auflagen zu erlassen, ohne die Zukunft des Projekts infrage zustellen" (Handelsblatt).