Sánchez unsinniger und gefährlicher Weg über Neuwahlen

Ministerpräsident Pedro Sánchez kündigt Neuwahlen an. Bild: Pool Moncloa / Fernando Calvo

Der spanische Ministerpräsident hat Neuwahlen für den 28. April angekündigt, die er sich hätte ersparen können, da er doch auf einen "Dialog" setzt, auf den er "niemals verzichten" will

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Man versteht in der spanischen Politik oft nur Bahnhof. Das Vorgehen des Sozialdemokraten Pedro Sánchez ist ein deutliches Beispiele für planlose, strategielose Politik, die sich am jeweiligen Tagesgeschehen ausgerichtet ist. Nun hat der Noch-Ministerpräsident vorgezogene Neuwahlen für den 28. April angesetzt. Doch die, hört man sich seine Begründung an, hätte er sich wahrlich sparen können. Das wäre für alle von Vorteil gewesen, nur nicht für den rechten Rand im Land. Damit hätten auch 200 Millionen Euro in dringende Sozialausgaben für darbende Familien gesteckt werden können, die dort sicher besser angelegt gewesen wären.

Am Mittwoch scheiterte der Haushalt von Sánchez im spanischen Parlament. Nach nicht einmal neun Monaten musste er deshalb Neuwahlen ansetzen. In der kurzen Zeit hatte er die Mehrheit leichtfertig verschlissen, die ihn erst im vergangenen Juni per Misstrauensantrag gegen die Volkspartei (PP) an die Macht brachte. Es war eine Chance, da die PP im Korruptionssumpf versinkt, wie Sánchez heute richtig festgestellt hat.

Es könnte ihn nun aber das Amt kosten, dass er unfähig war, auch nur mit denen einen Dialog zu führen, denen er viel versprochen hatte, denen er aber in fast keiner Weise entgegenkam. Statt Dialog und Entspannung hagelte es Repression und Dialogverweigerung für die Katalanen. Das zeigt der begonnene Prozess gegen die ehemaligen katalanischen Mitglieder der Regierung und zivilgesellschaftlicher Organisationen deutlich, die wegen einer erfundenen Rebellion und angeblichem Aufruhr inhaftiert und vor Gericht gezerrt wurden. Aus Angst vor Rechten und Ultrarechten hatte er den Dialogs mit den Katalanen abgebrochen und damit seinen Haushalt beerdigt. Das geschah, weil die Ultras ihre Mannen aus dem gesamten Land gratis nach Madrid riefen, um "gegen einen Dialog" und für "sofortige Neuwahlen" zu demonstrieren, weil Sánchez ein "Hochverräter" sei.

Dass die Machtdemonstration zu einem Flopp wurde, brachte Sánchez aber nicht dazu, im letzten Augenblick doch noch das Ruder herumzureißen, um einen realen Dialog zu beginnen. Damit hätte seinen Haushalt und seine Regierung gerettet. Denn nicht mindestens eine halben Million, wie die Veranstalter erwarteten, sondern nur 45.000 demonstrierten für seinen Abgang und gegen den Dialog. Dass die Veranstalter Fake-News verbreiten und Videos fälschen, indem sie eine Demonstration aus dem Oktober 2017 zeigen, um von angeblich 200.000 Teilnehmern zu sprechen, macht deren Scheitern nur noch deutlicher.

"Ich werde niemals auf den Dialog verzichten"

Erstaunlich ist es nun aber, dass Sánchez jetzt angeblich zum Dialog zurückfinden will. Deshalb erklärte er mit der Ankündigung von Neuwahlen am 28. April: "Ich werde niemals auf den Dialog verzichten, denn damit können wir einen Weg finden, um unsere Unstimmigkeiten und die territoriale Krise zu lösen, die unser Land betrifft." Er fügte zudem an: "Ich bin ein Freund davon, den Stier bei den Hörnern zu greifen." Doch hätte er das getan und sich nicht ängstlich vor den Ultras weggeduckt, hätte er seinen angeblich "sozialsten Haushalt" durchgebracht und bis Ende 2020 Zeit gehabt, um reale Erfolge vorzuweisen.

So ist das Dilemma vor allem dem "arroganten Amateur" zuzuschreiben, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nicht zu Unrecht nennt, Er versucht natürlich den Schwarzen Peter den Katalanen zuzuschieben, aber es ist vor allem seinem Versagen zuzuschreiben, dass 200 Gesetzesvorhaben nicht weiter behandelt werden können. Dass er eingestehen musste, mehr Dekrete als Gesetze verabschiedet zu haben, spricht auch nicht gerade für einen Mann, der stets gegen die Dekrete des Vorgängers Rajoy gewettert hatte. Er hat es sogar geschafft, seinen Vorgänger in wenigen Monaten in der Zahl zu überflügeln.

Das Problem ist, dass Sánchez vor allem ein Blender ist. Er hat in kurzer Zeit viele Menschen radikal enttäuscht, nicht nur in Katalonien. Aus einer "humaneren Flüchtlingspolitik" wurde, dass sogar Rettungsschiffe am Auslaufen gehindert werden und massenhafte "heiße Rückführungen" nach Ceuta, deren Abschaffung er versprochen hatte. Die Exhumierung des Diktators hatte er als erste Maßnahme für letzten Sommer angekündigt, doch der liegt noch immer in dem Mausoleum, einem Pilgerort für Ewiggestrige. Für ein paar Arbeitsplätze stützt er die Diktatur in Saudi-Arabien mit Waffengeschäften, die auch trotz des bestialischen Mordes am Journalisten Kashoggi nicht ausgesetzt wurden. Dass er sogar bei der Anerkennung von Guaidó vorgeprescht ist, hat seine Glaubwürdigkeit auch nicht gestärkt.

Trotz allem kann man für Spanien nur hoffen, dass das waghalsige Manöver nicht dazu führt, dass sich das Modell Andalusien im ganzen Land durchsetzt, wo seine Partei nach 40 Jahren die Macht abgeben musste. In der einstigen PSOE-Hochburg regiert nun die rechte PP in Koalition mit ihrer Abspaltung Ciudadanos (Cs). Sie muss sich dabei sogar auf die faschistoide VOX stützen. Die Bande werden enger, angebliche Berührungsängste fallen weg. Die Entwicklung hat sich im gemeinsamen Aufruf zur Demonstration gegen Sánchez gezeigt.

Dunkle Wolken ziehen über Spanien auf

Was wird mit dem verzweifelten Schachzug von vorgezogenen Neuwahlen gewonnen? Nichts! Man rückt auf Los zurück und zieht erneut in der Hoffnung auf das Spielfeld, nicht auf der Schlossstraße zu landen und Pleite zu gehen. Denn im positivsten Fall wird Sanchez, angesichts einer zerstrittenen und abstürzenden Podemos, auch nach den Wahlen von den Stimmen der Katalanen abhängen. Bestenfalls könnte er Podemos ein paar Sitze abnehmen. Dass er aber mit Podemos und der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) eine eigene Mehrheit erhält, kann ausgeschlossen werden. Im schlechtesten Fall rückt das Land sehr weit nach rechts, womit auch die wenigen Erfolge geschleift werden.

Man muss kein Wahrsager angesichts der "unabhängigen Justiz" im Land sein, in der die Rechten über viele Jahre ihre Richter auf höchsten Posten platziert haben, um vorhersagen zu können, dass die Katalanen mindestens wegen "Aufruhr" zu Haftstrafen über 10 Jahren verurteilt werden. Schließlich hat man für Verurteilungen längst alle Regeln verändert. Das wird eher zu einer Zuspitzung führen, die PP, Cs und VOX wollen, anstatt zu einer Entspannung.

Und auch in anderen Bereichen ziehen dunklere Wolken auf. Die Wirtschaft zeigt längst massive Bremsspuren. Dass zuletzt auch der Stromverbrauch deutlich eingebrochen ist, weist wie der Anstieg der Arbeitslosigkeit darauf hin, dass es, anders als Sánchez behauptet, kein "robustes Wachstum" gibt. Seit 2014 wurden im Januar nicht mehr so viele Stellen zerstört. Das ist vor allem deshalb der Fall, weil von angeblich so vielen geschaffenen Stellen die große Mehrzahl extrem prekär ist, nicht einmal 10% aller Verträge werden unbefristet geschlossen.

Es ist ausgerechnet die "Lokomotive" Katalonien, die die spanische Ökonomie stützt. Das schreibt die spanisch-nationalistische El Confidencial. Auch sie hatte stets einen Absturz der katalanischen Ökonomie wegen des Unabhängigkeitsprozesses vorhergesagt. Da man den Unsinn nicht vollständig als solchen einräumen kann, wird nun behauptet, dass Katalonien erst jetzt wieder seinen "Rhythmus" vor dem Unabhängigkeitsreferendum zurückgewinnt und "wieder stärker als Spanien wächst". Ein Blick auf offizielle spanische Zahlen zeigt freilich, dass Katalonien auch im Jahr des Referendums und der Unabhängigkeitserklärung mit 3,3% stärker als Spanien mit 3% gewachsen ist. Eine genauere Analyse dazu demnächst.

Klar ist, dass Sánchez in der kurzen Zeit kaum durchgreifende Änderung und Reformen umsetzen konnte. Die wenigen positiveren Ansätze, dass die absurde Sonnensteuer abgeschafft und der Mindestlohn mit den Renten zum Jahresbeginn erhöht wurde, haben bisher keine positive Wirkung auf die Wirtschaft entfalten können. Die neue Unsicherheit wird diese möglichen Effekte nun zunichtemachen.

Umso unsinniger war es, nicht sofort einen ernsthaften Dialog mit den Katalanen zu beginnen und tiefgreifende Reformen bis 2020 anzugehen. Dann hätte man mit vorzeigbaren Erfolgen in den Wahlkampf gehen können. Doch Sánchez ist ein Improvisator, ohne eine klare Linie, ohne Agenda, Vorstellungen und Ziele. Vor allem betrachte sich der Narzisst gern im Präsidentenspiegel, gibt bei seinen vielen Auslandsbesuchen und auf internationalen Konferenzen und Gipfeln den Staatsmann. Die Probleme seiner im Land und die seiner Bevölkerung löst er damit aber nicht.