"Das Schlachtfeld, auf dem eine atomare Auseinandersetzung zwischen den Blöcken stattfindet"

Wladimir Putin. Bild: Kreml/CC BY-SA-4.0

"Putinversteher" Mathias Bröckers über das Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und Russland

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Mit "Wir sind die Guten - Ansichten eines Putinverstehers", haben Mathias Bröckers und Paul Schreyer 2014 einen Beststeller gelandet. Nun haben die Autoren nachgelegt, ihr Buch überarbeitet und die Entwicklung der vergangenen Jahre in "Wir sind immer die Guten - Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird" aufgenommen. Telepolis hat bei Mathias Bröckers nachgefragt, was ihm in den letzten Jahren im Umgang mit Russland besonders aufgefallen ist.

Herr Bröckers, Ihr Buch kam 2014 auf den Markt. Wenn Sie nun zurückblicken: Sehen Sie sich in Ihrer Arbeit bestätigt?

Mathias Bröckers: Der Titel für die Neuausgabe des Buchs lautet "Wir sind immer die Guten" - und das sind "wir", der Westen, ja tatsächlich immer. Egal wie schief, wie falsch, wie katastrophal unsere Kriege und Interventionen auf der Welt laufen. Der Anlass für das Buch war der gewaltsame regime chance in der Ukraine und die damit einhergehende Dämonisierung Russlands und Putins, sowie die Tatsache, dass dieser Putsch von den Medien durch die Bank als "demokratische" Revolution und Erneuerung verkauft wurde.

Dass eigentlich nur ein eher russlandfreundlicher Oligarch an der Spitze durch einen nato-freundlichen Milliardär ausgetauscht und rechtsextreme, faschistoide Gruppen in Regierungs- und Machtpositionen gehievt wurden, kam und kommt in den Berichten hierzulande kaum vor. Tatsächlich ist die Ukraine heute dann auch eher auf dem Weg zu einem failed state als zu einem freiheitlichen Rechtsstaat und insofern kann man unsere Einschätzungen von 2014 durchaus bestätigt sehen.

Im März gibt es dann ja Wahlen in der Ukraine.

Mathias Bröckers: Besser wird die Situation in dem Land dadurch aber nicht. Laut Umfragen hat Oligarch Poroschenko noch 15 Prozent Zustimmung und mit der knapp vor ihm liegenden Julia Timoschenko, der ehemaligen Regierungschefin und nach wie vor korrupten "Gasprinzessin", ginge es vom Regen in die Traufe. Dass die besten Chancen derzeit ein Komiker hat, Wolodimir Selensky, der im Fernsehen einen guten Präsidenten spielt, illustriert das politische Theater in Kiew schon ziemlich gut.

Wer sollte Ihrer Meinung nach denn in der Ukraine Präsident werden?

Mathias Bröckers: Einer , der den Bürgerkrieg im Land beendet. Dieser ist aber nicht in Sicht. Realistisch betrachtet: Solange die Geldströme von USA, Nato und EU fließen, um die Ukraine zum Frontstaat gegen Russland aufzubauen, solange wird jede Regierung des nahezu bankrotten Lands die Aggression gegen Russen bzw. das Bild eines aggressiven Russland nach Kräften weiter schüren.

Fassen Sie bitte zusammen: Was haben Sie in den Jahren nach Erscheinen Ihres Buches in Sachen Russland beobachtet?

Mathias Bröckers: Mit dem Betriebsunfall in den USA - der Wahl von Donald Trump - hat das Narrativ vom bösen Russland und dem ultrabösen Putin neue und geradezu groteske Dimensionen angenommen. Dass "russische Hacker" die Wahlen manipuliert und mit Trump eine "Marionette Putins", so Hillary Clinton, ins Weiße Haus gebracht hätten - diese Story wird seit nunmehr zwei Jahren in den US-Medien und auch bei uns rauf und runtererzählt.

Auch wenn trotz mittlerweile zweijähriger Untersuchung durch einen Sonderermittler keinerlei Beweise für solche Manipulationen oder irgendwelche Absprachen zwischen Trump und Putin vorliegen, kann die unterlegene demokratische Partei im Verein mit den US-Leitmedien von dieser stumpfen Speerspitze gegen Trump nicht ablassen. Der Schock über den unerwarteten Wahlsieg dieses irren Außenseiters sitzt offenbar so tief, dass eigenes Versagen als Ursache nicht zumutbar ist und ein Sündenbock - Putin! - gebraucht wird, dem man die Schuld zuschieben kann.

Sie nehmen die "Russiagate"-Story nicht ernst?

Mathias Bröckers: Wäre das Ganze nicht gefährlicher Ernst, könnte man über die ganze Geschichte nur lachen. Doch was hier geschieht, ist fatal: Um einen gewählten Präsidenten zu vertreiben, wird die demokratische Gewaltenteilung aufgehoben: Geheimdienste (CIA, NSA, MI6), Polizei (FBI) und Medien arbeiten Hand in Hand gegen einen gewählten Präsidenten, und vom Horrorclown Trump nachhaltig geschockte Demokraten, Liberale, Linke feuern diese totalitären Methoden sogar noch an. Dass es sich bei den Vorwürfen um eine lupenreine Verschwörungstheorie ohne konkreten Beweis handelt, scheint niemanden zu stören. Deshalb haben wir über "Russiagate" für die Neuausgabe ein zusätzliches Kapitel geschrieben.

Ein großes Thema war der Fall Skripal. Was können Sie dazu sagen? Was sind Ihre Beobachtungen

Mathias Bröckers: Auch dazu gibt es ein Zusatzkapitel im Buch, denn dieser Fall ist ein Musterbeispiel, wie Produktionen aus der Fake-News-Gerüchteküche aufgetischt und politisch instrumentalisiert werden. Die PowerPoint-Folien, mit denen das britische Außenministerium seine europäischen Amtskollegen dazu brachte, reihenweise russische Diplomaten auszuweisen, eignen sich für Lehrkräfte an politischen Bildungseinrichtungen ganz hervorragend für das Medienkompetenz-Training von Studierenden. Also zu der Frage, wie unbelegte Verdächtigungen und Vermutungen - also Verschwörungstheorien - zum Werkzeug der Realpolitik gemacht werden.

Wie ist das geschehen?

Mathias Bröckers: Tatsächliche Beweise werden auf den fünf Seiten des Briefings gar keine vorgebracht - außer, dass das Gift in der Sowjetunion entwickelt wurde. Aber den Hinweis darauf, dass die Formeln seit Jahrzehnten allgemein bekannt sind und auch andere so ein Gift herstellen könnten, legten die Briten ihren EU-Kollegen nicht vor. Stattdessen folgte eine Litanei über angebliche "russische Aggression" der Vergangenheit, inklusive dem Märchen der "Beeinflussung der US-Wahlen" - aber dieses Bündel von unbewiesenen Behauptungen reichte aus, um die größte diplomatische Ausweisungsaktion seit dem 2. Weltkrieg auszulösen.

Als dann aber plötzlich Zeitungsberichte auftauchten, die Sergei Skripal in Verbindung mit seinem MI-6-Agentführer Pablo Miller brachten, der wiederum für den privaten Geheimdienst Orbis arbeitete, von dem das berüchtigte "Steele-Dossier" stammte - über die angeblichen "Golden Shower"-Orgien von Trump in Moskau, mit deren angeblichen Videos er von Putin angeblich erpresst wird - kehrte in die bis dahin hysterische Berichterstattung erstaunliche Ruhe ein.

Und dann wurden doch Verdächtige präsentiert?

Mathias Bröckers: Die Aktivitäten Millers wurden nirgendwo mehr erwähnt und fast ein halbes Jahr später tauchten dann die beiden angeblichen russischen Agenten auf, die das Gift an Skripals Türklinke angebracht haben sollen. Tatsächlich kamen die beiden am Tattag aber erst um 11 Uhr in Salisbury an, während Skripal und seine Tochter schon um kurz nach 9 das Haus verlassen hatten.

Die offizielle Geschichte kann schon von daher gar nicht stimmen. Ganz abgesehen davon, dass die Russen keinerlei Motiv hatten, einen ausgetauschten Agenten zu beseitigen, der zuvor bei ihnen schon länger im Gefängnis gesessen hatte. Insofern riecht die ganze Nowitschok-Geschichte sehr stark nach "False Flag", zumal nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt, in Porton Down, die größte Chemiewaffenfabrik Europas steht, an der unter anderem ein großes "Forschungsprogramm" zu Giftstoffen wie "Nowitschok" lief.

Da fühlt man sich sofort an "Anthrax" erinnert, das nach dem 11. September 2001 an führende US-Politiker verschickt wurde, die sich den "Antiterror"-Gesetzen der Bush-Regierung zunächst entgegenstellten. Die Attacke wurde damals ohne einen Beweis Saddam Hussein und dem Irak in die Schuhe geschoben, bis sich Jahre später herausstellte, dass das Gift einem US-Militärlabor entschlüpft war.

Wie sieht es mit dem Absturz der MH17 aus?

Mathias Bröckers: Auch hier geht es um Instrumentalisierung statt Aufklärung. Solange die Absturzursache ungeklärt und der Fall in der Schwebe bleibt, ist er als propagandistisches Spielmaterial nützlich. "Die Ermittlungen dauern an" verkündete das niederländische Ermittlungsteam nach viereinhalb Jahren im September 2018 und sie werden weiter andauern, so lange USA und Nato ihre Radar-und Satelliten-Daten nicht vorlegen und die Originaldaten der ukrainischen Luftüberwachung zurückgehalten werden.

Solange die Fakten nicht wirklich geklärt sind, kann das gewünschte Narrativ - Russland war's! - ungehindert weiterverbreitet und eingetrichtert werden. Wie das funktioniert, wurde unlängst anhand der geleakten Papiere der britischen "Integrity Initiative" deutlich, einer von Regierung und Geheimdiensten finanzierten Pseudo-NGO, die gezielte Desinformation über Russland verbreitet.

So schlug diese Initiative in einem Papier direkt nach dem "Nowitschok"-Anschlag exakt dasselbe Narrativ vor, mit dem das britische Außenministerium auf seinen PowerPoint-Folien dann die Ausweisung der Diplomaten betrieb. Und auf einer internen Liste von illustren Personen eines Meetings im Sommer 2018 befindet sich neben der BBC-Nachrichtenchefin und einem leitenden Wissenschaftler der Chemiewaffenfabrik Porton Down auch der des Nachbarn und Agentenführers von Sergei Skripal in Salisbury: Pablo Miller.

Wer aber nur die Frage stellt, was eine integre Initiative "zur Verteidigung der Demokratie gegen Desinformation" eigentlich mit Geheimdienstlern, Militärs und Giftfabrikanten zu schaffen hat, ist sofort außen vor: als "Kreml-Lautsprecher" oder "Putinfan"

Mit der Veröffentlichung Ihres Buches haben Sie sich selbst als "Putinversteher geoutet. Daraufhin gab es viel Gegenwind.

Mathias Bröckers: Ja, von Leuten, für die "Verstehen" schon zu viel ist und dasselbe wie "Verehren" bedeutet. Schon 2014 zeichnete sich in Sachen Ukraine/Russland ja ein Graben ab zwischen der veröffentlichten und der öffentlichen Meinung. Die McMedien-Outlets malten den Großfeind Putin an die Wand, aber die Leute kauften es ihnen nicht ab.

Als mein 90-jähriger Onkel mir dann sagte, dass in der "Tagesschau" ja nur noch "zum Krieg getrommelt wird" und er sich jetzt "im Internet informiert", war das für mich der Auslöser, dieses Buch zu schreiben. Dass gut bürgerliche, CDU-nahe Menschen der "Tagessschau" nicht mehr trauen, weil sie die Feindbild-Produktion und Nato-Propaganda durchschauen, war ein Novum in der Bundesrepublik, wo "Tagesschau"-Sprecher Karl-Heinz Köpke ja mal eine Dignität zukam wie sonst nur dem Papst oder dem Pastor.

Weil unsere Medien aber fröhlich so weiter machten mit ihrem Getrommel, ist der Graben in der Zwischenzeit sogar noch tiefer geworden. Mittlerweile wollen 94 Prozent der Deutschen bessere Beziehungen mit Russland, nur 25 Prozent sehen die Russen als Hauptschuldigen für die Verschärfung des Ost-West-Konflikts und bei der Frage, wer die größte Gefahr für den Weltfrieden darstellt, liegen Trump und die USA mit 79 Prozent ganz weit vorne.

Sie beziehen sich auf eine Forsa-Umfrage vom Mai 2018. Der Spiegel hat damals auch berichtet und sprach in der Überschrift von einem "seltsamen Russland-Gefühl der Deutschen".

Mathias Bröckers: Seltsam kann das nur für Pseudo-Journalisten sein, die durch transatlantische Nato-Brillen auf die Welt sehen und es normal fänden, wenn sich die Deutschen nach 20 Millionen ermordeten Russen im 2. Weltkrieg erneut in einen Krieg mit Russland treiben ließen.

Noch idiotischer waren in diesem Zusammenhang Kommentare, die den mangelnden Russenhass der Bevölkerung auf die bekannte Vorliebe der Deutschen für autoritäre Führerpersönlichkeiten zurückführte. Dümmer geht's wirklich nicht.

Dass sich Leitmedien und Politik derart wundern, ist aber kein Wunder: obwohl sie Tag für Tag die Botschaft eines "aggressiven Russland" und des ultrabösen Putin herausposaunen - selbst wenn die Temperatur im Januar ein paar Grad unter Null fällt, steckt ja mittlerweile "gefühlt" der Iwan dahinter - wollen die Leute Frieden und Freundschaft mit den Russen. Wie das? Da müssen dann mal wieder "russische Trollfabriken" am Werk sein, die mit Fake-News die sozialen Medien überschwemmen. Dass es ihre eigenen Fake-News sind, denen die Leute misstrauen, weil sie noch eine Restbestand gesunden Menschenverstand bewahrt haben, kommt unseren Relotius-Medien dabei natürlich nicht in den Sinn.

Gerade erst sind die USA aus dem INF-Vertrag ausgestiegen. Russland ist nachgezogen. Was ist Ihre Einschätzung: Womit haben wir bei diesen Spannungen zwischen Russland und dem Westen zu tun? Worum geht es?

Mathias Bröckers: Es ist einiges in Bewegung geraten auf dem geopolitischen Schachbrett und der Streit, ob russische Mittelstreckenraketen nun 480 Kilometer weit fliegen können, oder - vertragsbrüchig wie die Amerikaner behaupten - 520 Kilometer, ist letztlich irrelevant. Es geht dem Westen darum, Raketen direkt vor der russischen Haustür aufzustellen.

Dass jetzt auch in Deutschland noch mehr und nuklear bestückte Waffen stationiert werden könnten, ist sehr gefährlich, denn es markiert das Schlachtfeld, auf dem eine atomare Auseinandersetzung zwischen den Blöcken stattfindet. Nicht in Sibirien und auch nicht in Texas, sondern mitten in Europa. Dass sich auf diesem Hintergrund eine deutsche Regierung massiv an dieser Konfrontation beteiligt und weiter aufrüsten will, statt Deeskalation und Abrüstung zu betreiben, ist fatal. Und eine SPD, die eine erfolgreiche Ostpolitik wie sie Brandt und Bahr gemacht haben, so vollständig über Bord wirft, muss sich nicht wundern, wenn sie demnächst an der 5-Prozent-Klausel scheitert. Dabei wäre eine solche Politik gerade für die Ukraine dringend angeraten.

Frieden wird es dort nur geben, wenn der Status quo der Krim als Teil der russischen Föderation zumindest provisorisch anerkannt wird (wie einst die DDR von der BRD) und den abtrünnigen Ost-Provinzen der Ukraine ein ebenso provisorischer Autonomie-Status zugesprochen wird. Dies bedeutet allerdings, den geostrategischen Plan der USA, der die Übernahme des russischen Marine-Stützpunkts Sewastopol und Nato-Kontrolle über das Schwarze Meer vorsah, als gescheitert zu akzeptieren. Ebenso wie den Versuch, durch eine Assoziation mit der EU den zollfreien Handel und Wandel der Ukraine mit Russland abzuschneiden.

Wer aus dem Bürgerkrieg in der Ukraine keinen globalen Konflikt machen will, muss an solchen Lösungen arbeiten, also die Ukraine nicht als nationalistische Front gegen ein "Reich des Bösen" im Osten aufbauen, sondern als blockfreien Brückenstaat zwischen Russland und dem Westen.

Mathias Bröckers, Paul Schreyer: Wir sind immer die Guten - Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird. Westendverlag, 224 Seiten, 18 Euro

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