Trotz Mordanschlagsversuch und illegalem Waffenarsenal auf freiem Fuß

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Obwohl ein schwer bewaffneter Ex-Polizist auf linke baskische Aktivisten geschossen hat, sitzt er nicht hinter Gittern, dafür ein Jugendlicher aus dem gleichen Ort

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Dass die spanische Justiz mit zweierlei Maß misst, lässt sich wohl an Vorgängen im baskischen Amurrio wie an kaum einem anderen Beispiel erklären. Hier zeigt sich im Schauglas, dass die Justiz nicht für alle im Königreich gleich ist, in dem der Staatschef ohnehin "unantastbar" ist. Eine besondere Behandlung bekommen auch Angehörige oder ehemalige Angehörige des Militärs oder der Polizei.

Telepolis hatte über den mutmaßlichen Mordanschlag in der kleinen baskischen Stadt gegen linke baskische Aktivisten schon einmal berichtet. Ein ehemaliger Nationalpolizist hatte am 6. Januar mit einer Pistole des Kalibers 9mm auf ein Bauernhaus in Amurrio geschossen. Dort hängt eines der üblichen Spruchbänder, auf denen gefordert wird, dass die baskischen Gefangenen, die entgegen der spanischen Gesetze weit entfernt von ihrer Heimat inhaftiert sind, ins Baskenland verlegt werden.

Eigentlich muss man auch nicht mehr "mutmaßlich" schreiben, da der Ex-Polizist den Schuss inzwischen eingeräumt hat. Allerdings behauptet er nun, nachdem er vier Tage ausgesagt hatte, nichts damit zu tun zu haben, es sei ein "Unfall" gewesen. Das Geschoss, das potentiell tödlich ist, durchschlug ein Fenster und flog zwischen den in der Küche anwesenden Personen hindurch und verletzte zum Glück niemanden.

Die Unfall-Behauptung bewahrt den 74-jährigen mit den Initialen "L.A.M.A." vor einer Untersuchungshaft. Nicht einmal eine Kaution musste er hinterlegen. Dabei wurde inzwischen sogar bekannt, dass er über ein stattliches Waffenarsenal in seiner Wohnung verfügte. Insgesamt 36 Waffen fanden sich bei ihm, 27 Pistolenund 9 Gewehre.

Für die Pistolen (keine Jagdwaffen) hatte er keine Genehmigung mehr. Sie war ihm vor einem Jahr entzogen worden, als er eine Pistole abliefern musste. Die Unfallversion ist nicht nur wegen seiner widersprüchlichen Aussagen fragwürdig, sondern auch weil er die Tatwaffe vergraben hatte.

Vergleicht man das Vorgehen der Justiz nun damit, dass gerade auch ein Jugendlicher aus Amurrio inhaftiert wurde, wird deutlich, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Bei den Durchsuchungen der Wohnungen von Galder B. aus Amurrio und Aitor Z. - auffällig ist, dass in spanischen Medien in diesem Fall die vollständigen Namen genannt werden - wurden keinerlei Waffen gefunden. Doch die jungen Männer aus Amurrio und Gasteiz sitzen seit dem 7. Februar in Untersuchungshaft.

Die Ermittlungen führt in diesem Fall auch nicht das lokale zuständige Gericht, sondern das Madrider Sondergericht Audiencia Nacional, das stes in Terrorismus-Fällen ermittelt. Das Verfahren des rechtsradikalen Scharfschützen, der den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ermorden wollte, hat es aber nicht an sich gezogen. Auch Manuel Murillo S. hatte ein kleines Waffenarsenal zur Verfügung und er sitzt vermutlich nur deshalb in Untersuchungshaft, weil er nur ein Wachmann und kein Polizist war.

Während versuchte Mordanschläge aus der rechten Ecke demnach keine Fälle von Terrorismus sein sollen, wird das aber offenbar bei den beiden jungen Menschen aus dem Baskenland so bewertet. Gefunden worden war - fern ihrer Wohnorte - im vergangenen Jahr ein Behälter, der angeblich "pyrotechnisches Material" enthalten soll, das üblicher bei der kale borroka (gewalttätiger Straßenkampf) zum Einsatz kommen soll, den es seit Jahren nicht mehr gibt.

Auf dem Behälter sollen sich Fingerabdrücke oder DNA-Spuren der beiden befunden haben, so wird unterschiedlich berichtet. Angeblich soll es sich um Vorgänge handeln, die auf das Jahr 2014 zurückgehen. Nichts davon ist wirklich klar, da auch die Ermittlungen, wie üblich in solchen Fällen, geheim vom Sondergericht geführt werden.

Parallelen drängen sich auf zu den Anarcho-Veganern aus Madrid. Die Anhänger von "Straight Edge" schmorten als angebliche Terroristen zum Teil bis zu 16 Monate in Untersuchungshaft. Bei ihnen wurden neben Silvesterkrachern auch normale Küchen- und Reinigungsutensilien gefunden, die von den spanischen Sicherheitskräften zu "Materialen zur Sprengstoffherstellung" umgedeutet wurden.

Auch die eine rote Flüssigkeit stellte sich nur als "hochgefährliche" Rotkohlbrühe heraus. Schließlich wurden auch sie freigesprochen.

Man kann die ungleiche Behandlung auch an anderen Fällen aufzeigen. So sitzen junge Leute aus dem baskischen Altsasua nun schon seit zweieinhalb Jahren, ohne rechtskräftiges Urteil, im Gefängnis, weil sie in einer Kneipennacht in einer Rangelei mit zwei Angehörigen der paramilitärischen Guardia Civil diese verletzt haben sollen. Auch hier hatte das Sondergericht ermittelt und noch immer fordert die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen "Terrorismus" - mit Höchststrafen von bis zu 62 Jahren.

Auch hochrangige Juristen halten die Strafforderungen und die Untersuchungshaft für völlig überzogen.

Eine ganz andere Behandlung bekommen die "Meute-Vergewaltiger" aus Andalusien. Sie sind weiter auf freiem Fuß, obwohl das Urteil gegen sie auch in der ersten Berufungsinstanz schon bestätigt wurde. Unter den fünf Männern befindet sich ein Militärangehöriger und einer der Guardia Civil. Sie wurden zu jeweils neun Jahren Haft verurteilt.

Doch sie erhalten sogar bis zur Bestätigung des Urteils vor dem Obersten Gerichtshof Haftverschonung, obwohl sie sich sogar in einem zweiten Vergewaltigungsverfahren in Cordoba vor Gericht verantworten müssen. Dort werden weitere sieben Jahre Haft für sie gefordert. An dieser Vergewaltigung einer jungen Frau sollen sowohl das Mitglied der Guardia Civil als auch der Militärangehörige beteiligt gewesen sein.

Anders als die Angehörigen der Ordnungs- und Sicherheitskräfte sitzen katalanische Politiker und Aktivisten zum Teil seit 16 Monaten in Untersuchungshaft. Die Anklagen sind absurd und an ihrer Lage änderte auch die Tatsache nichts, dass weder Deutschland, die Schweiz, Großbritannien oder Belgien Spanien die Erfindungen einer Rebellion oder Aufruhr abgekauft hat, weshalb Auslieferungen verweigert werden.

Über sie wird derzeit in einem unwürdigen politisierten Verfahren zu Gericht gesessen. Obwohl auch sie sich freiwillig gestellt haben - wie die jungen Leute aus Altsasua -, wird auch für sie weiterhin Fluchtgefahr angeführt. Im Fall der "Meute-Vergewaltiger" wird diese Gefahr verneint, obwohl auch für sie die Strafen noch im ersten Verfahren auf bis zu 22 Jahre ausgeweitet werden können, wie es die Anklage gefordert hat.