Migration: Die Befürchtung der Afrikanischen Union

Die Gastgeber des Gipfeltreffens: Donald Tusk und Abdel-Fattah al-Sisi. Foto: EU-Presse

Das Gipfeltreffen zwischen der EU und der Arabischen Liga in Ägypten bringt das Thema "regionale Ausschiffungszentren" auf afrikanischem Boden neu ins Spiel

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Den Staaten der Afrikanischen Union ist das Gipfeltreffen zwischen der EU und der Arabischen Liga (League of Arab States - LAS) offensichtlich nicht geheuer. Bei dem Treffen der Staatschefs, das am gestrigen Sonntag im ägyptischen Scharm el Scheich begonnen hat und für zwei Tage angesetzt ist, geht es um die Kooperation in Fragen der Migration. Das steht weit oben auf der Themenliste des Treffens mit der Überschrift "Investing in Stability", wie auch die Tagesschau berichtete.

Wie sehr das Thema Migration die Gemeinschaft strapaziert, ist weit über die EU hinaus bekannt. Die Ablehnung des UN-Migrationspaktes durch Ungarn hatte bereits bei den Vorbereitungen zum Gipfeltreffen zwischen der EU und der Arabischen Liga zu einem "Eklat geführt" (Tagesspiegel). Eine einheitliche Linie der EU gab es nicht, was noch einmal verdeutlichte, wie die Spielräume in der Europäischen Union aussehen.

Sicherung der Außengrenzen

Das Primat der EU liegt eindeutig auf Sicherung der Außengrenzen. Am liebsten wäre es den EU-Mitgliedstaaten, wenn Flüchtlinge oder Migranten schon in Einrichtungen außerhalb Europas behördlich erfasst und aufgeteilt werden in Migranten mit Aussichten auf Asyl oder auf einen Arbeitsplatz und in andere, die in Europa unerwünscht sind und es erst auch gar nicht versuchen, dorthin zu gelangen - um die Interessen klar zu formulieren.

Dafür gibt es im Behördenjargon Formulierungen, die die Härten und den respektlosen Umgang mit Menschenrechten, der damit in der Praxis verbunden sind, möglichst verbergen. Das führt dann zu seltsamen Sprachschöpfungen wie etwa der Begriff "regionale Ausschiffungszentren" (siehe EU-Papier zu Steuerung der Migration). Bei EU-Treffen im vergangenen Jahr waren sie bis zum Sommer Thema. Danach setzte sich die Erkenntnis durch, dass es schwierig werden würde, sehr schwierig.

Es war kein einziges Lager entstanden, weil sich kein nordafrikanisches Land für solche Migrationszentren zur Verfügung stellen will. Nicht einmal Ägypten wollte solche Zentren, wie Eric Bonse an dieser Stelle schrieb:

Dabei ist Ägypten das Land, in das Ratspräsident Tusk seine größten Hoffnungen setzt. Tusk war am Wochenende gemeinsam mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sogar eigens nach Kairo gereist. Bei einem Treffen mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi lobten beide EU-Politiker dessen restriktive Politik. Sie führte dazu, dass seit Ende 2016 keine Bootsflüchtlinge mehr in Europa ankamen. Ägypten habe seine Außengrenze "erfolgreich geschützt" und könne nun sogar zum "Modell" für andere nordafrikanische Staaten werden, sagte ein Gipfel-Sherpa.

Zur Belohnung wollen Gastgeber Kurz und Tusk in Salzburg nun für einen Ausbau der Zusammenarbeit mit al-Sisi werben. Fest eingeplant ist bereits ein EU-Gipfel mit der Arabischen Liga im Januar in Kairo.

Eric Bonse, Stillstand auf höchstem Niveau

Nun ist es soweit. Als Gastgeber des EU-LAS-Gipfels in Ägypten fungieren der ägyptische Staatschef al-Sisi und der ständige EU-Ratspräsident Donald Tusk. Das Treffen ist hochkarätig besetzt, wie der österreichische Standard aufzählt. Es kommen: Angela Merkel, Theresa May, Mark Rutte, Sebastian Kurz, der libanesische Premier Saad al-Hariri, der irakische Präsident Barham Saleh, auch der saudische König Salman soll dabei sein. Und natürlich Vertreter nordafrikanischer Staaten, einschließlich Libyen, die zur Arabischen Liga gehören (die vollständige Teilnehmerliste: hier).

"Stabilität im Nahen Osten und Nordafrika ist für Europa immens wichtig", wird der österreichische Kanzler Kurz zitiert.

AU: Die Befürchtung "moderner Sklavenmärkte"

Das weiß auch die Afrikanische Union (AU). Dort baute man vor. Wie vom Guardian berichtet wird, hat man dort ein Papier beschlossen, das sich gegen die Schaffung von Zentren wendet, die in Zusammenarbeit mit der EU auf afrikanischem Boden errichtet werden sollen.

In der Afrikanischen Union (AU) hegt man ganz offensichtlich Befürchtungen, dass Ägypten oder Maghrebstaaten, die sowohl der Arabischen Liga wie auch der Afrikanischen Union zugehören, auf Vorschläge bzw. Angebote der EU eingehen könnten. "Wenn die EU etwas will, dann bekommt sie es gewöhnlich auch", zitiert der Guardian einen ranghohen ungenannten AU-Vertreter.

In den afrikanischen Hauptstädten macht man sich Sorgen, dass ein solcher Plan in der Folge so etwas wie einen modernen Sklavenmarkt schaffen könnte, der den "besten Afrikanern" erlaubt, nach Europa zu kommen und den Rest zurückstößt - und das ist nicht weit weg von der Wahrheit.

unbekannter Vertreter der Afrikanischen Union

Die Gefühle, die mit den von der EU gewünschten Zentren verbunden seien, seien "sehr, sehr deutlich", wie der Zeitung mitgeteilt wird. Man befürchte, dass die EU auf dem Gipfel versuchen werde, mit viel Geld zu locken. In EU-Kreisen gibt man sich diskret. Man sagt nichts dazu, so der Guardian.

Das Positionspapier der AU, das der britischen Zeitung nach deren Angaben vorliegt, betont, dass die Einrichtung der Ausschiffungszentren (engl: disembarkation platforms) auf afrikanischem Boden, wo über Asylgründe von Personen entschieden werden soll, die in Europa Zuflucht suchen, gegen Internationale Gesetze, EU-Gesetze sowie gesetzliche Regelungen der Afrikanischen Union zu Flüchtlingen und Vertriebenen verstoße.

Herausgestellt wird in dem Papier darüber hinaus, dass die Zentren de facto Haftanstalten - engl. detention centers - gleichkämen, wo Grundrechte von afrikanischen Migranten verletzt würden. Auch würde die biometrische Erfassung der Personen in diesen Zentren die Souveränität afrikanischer Staaten über ihre Bürger verletzen.

Insgesamt ist das Papier dem Zeitungsbericht zufolge deutlich von einem Misstrauen gegenüber bilateralen Gesprächen auf dem EU-LAS-Gipfel geprägt, bei denen die Afrikanische Union ausgespielt werden könnte.