Venezuela: Humanitäre Hilfe für den Regime-Change

Die Politisierung und Instrumentalisierung humanitärer Hilfe ist wohl einmalig in der Geschichte - Ein Gastkommentar

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Die von den USA angeführte Koalition der Willigen für einen Regime-Change in Venezuela, an dem sich auch die Deutsche Bundesregierung offen beteiligt, wollte vergangenes Wochenende mittels US-Hilfslieferungen Präsident Maduro stürzen. Diese Politisierung und Instrumentalisierung humanitärer Hilfe ist wohl einmalig in der Geschichte. Die mediale Inszenierung, angefangen mit einem von Milliardär Richard Branson organisierten "Live Aid"-Konzert an der Grenze zu Venezuela bis hin zur Schar an TV-Kameras und Übertragungswagen, die den Konvoi der "Humanitären Krise" bis an die Grenzlinie auf einer Brücke zwischen Kolumbien und Venezuela begleiteten, hatte die Welt so noch nicht gesehen.

Die humanitäre Krise im Land ließe keine andere Wahl, als mit der gut inszenierten Aufstellung von zehn LKWs an einer bisher nicht in Betrieb genommenen Autobahnbrücke auf kolumbianischer Seite ein Überlaufen des bisher treu an Maduros Seite stehenden Militärs zu provozieren. Andererseits steht eine militärische Intervention im Raum, die selten einem Land so unverhohlen angedroht wurde, wie es derzeit mit Venezuela geschieht. "Alle Optionen liegen auf dem Tisch", äußerten bereits US-Präsident Trump und Außenminister Pompeo einhellig. Auch der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó bat am Montag die USA und die Staaten, die sich in der Lima-Gruppe gegen Venezuela verbündet haben, um "Prüfung aller Optionen". Das kann Krieg oder auch Bürgerkrieg bedeuten.

Diese Hilfslieferungen wurden insbesondere mit dem Argument der durch die Regierung Maduro verweigerten Hilfe begündet. Anhänger des Regime-Changes in Politik und Medien wiederholen seit Wochen, es würde keine andere Möglichkeit geben, auf den Mangel an Nahrungsmitteln und Medizin in Venezuela zu reagieren. Maduro verweigere jede internationale Hilfe. Auch die Bundesregierung argumentiert hartnäckig, auf mehrere Nachfragen, sie könne keine Hilfe ins Land bringen, da die Partner in Venezuela fehlten. Die bereits beschlossenen 5 Millionen Euro könnten bisher nicht umgesetzt werden.

Das ist doch sehr verwunderlich, denn ein Anruf der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen oder dem Internationalen Roten Kreuz (IRKR) hätte gereicht, um zu erfahren, dass beide Organisationen bereits seit langem in Venezuela arbeiten, das IRKR versorgt nach eigenen Angaben bis zu einer Million Venezolaner und Venezolanerinnen, will die Hilfe sogar aufstocken und hat zudem erst vergangene Woche eine Lieferung aus dem Hauptquartier aus Genf erhalten. Auch UN-OCHA ist im Land aktiv. Dies wäre unmöglich, würde die venezolanische Regierung sich verweigern.

Zudem hat diese in der vergangenen Woche technische humanitäre Hilfe der UN im Wert von zwei Mrd. US-Dollar akzeptiert. In derselben Woche waren 300 Tonnen Hilfsgüter aus Russland geliefert worden. Auch China, Indien und die Türkei haben Güter geliefert. Die Deutsche Botschaft in Caracas hingegen verbreitet per twitter Fotos, auf denen der Deutsche Botschafter Kriener gemeinsam mit venezolanischen Oppositionspolitikern zu sehen ist, die mit deutschen Hilfsgeldern finanzierte Suppe an Bedürftige ausgeben. Aufgrund "fehlender Partner" im Land müsse man also selbst aktiv werden. Dies ist ein grober Verstoss gegen die Neutralitätspflicht humanitärer Hilfe. Der Generalsekretär der UN, António Guterres, hat alle Beteiligten dazu aufgerufen, die Spannungen abzubauen und alles zu unternehmen, eine Eskalation zu vermeiden. Doch das genaue Gegenteil passiert.

Dieses Vorgehen der provozierten Eskalation wird bisher auch von dem kolumbianischen Präsidenten Iván Duque unterstützt, der eigens an die Grenze reiste, um den selbsternannten Präsidenten Guaidó zu unterstützen. Er stellte Polizeieinheiten zur Verfügung, um mit dem LKW-Konvoi und der Aufforderung an venezolanische Militärs, zu Guaidó überzulaufen, den Regime-Change herbeizuführen. Das ungeachtet der Tatsache, dass im Grenzgebiet Cucutá auf kolumbianischer Seite wie auch im Rest des Landes viele Menschen unter extremer Armut und Hunger leiden. In der nördlichen La Guajira sterben Kinder und Erwachsene an Unterernährung und mangelndem und verseuchtem Trinkwasser. Mehr als die Hälfte der Menschen lebt dort in absoluter Armut, erhält aber keinerlei Hilfe von der eigenen Regierung. Welch ein Zynismus.

Auch die deutsche Bundesregierung pocht noch immer auf das Narrativ, eine Alternative zum Hilfskonvoi sei nicht gegeben. Eine Antwort darauf, weshalb man sich konsequent weigert, als Mitglied des UN-Sicherheitsrates mit den nachweislich im Land aktiven unabhängigen UN-Organisationen zusammenzuarbeiten, gibt das Auswärtige Amt bis heute nicht.

Ein Gastbeitrag von Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.

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