Die Dummheit der Amerikaner

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Von Cheney zu Trump: Adam McKays "Vice" zeigt, dass die USA in ihrer Mehrheit ein Land von moralisch korrupten selbstgerechten Vollidioten sind

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Revulsion and admiration lie as close together as the red and white stripes on the American flag, and if this is in some respects a real-life monster movie, it’s one that takes a lively and at times surprisingly sympathetic interest in its chosen demon.
A.O.Scott, New York Times, in der Rezension von "Vice"

Die Filme die einmal über Donald Trump gedreht werden, können von einem berühmten Satz des NS-Propagandaministers ausgehen: "Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen", so Dr. Joseph Goebbels am 17. April 1945.

Das Interessante an diesem Satz ist, dass hier einer weiß, was kommen wird, so wie er weiß, was ist. Er richtet sein ganzes Handeln nur nach dem Effekt aus, nach dem Schein und der Tauglichkeit für die ästhetische Wirkung. Und tatsächlich: Ästhetisch haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg auf ganzer Linie gewonnen. Bis heute bestimmen sie die Ikonographie des Bösen auf der Leinwand.

Wird das den Mächtigen Amerikas ähnlich gehen? Man kann im schlechten Abschneiden von "Vice" bei der diesjährigen Oscarverleihung ein Indiz für die Tugenden und Nachteile dieses Films sehen: "Vice" taugt nicht zur wohltemperierten politisch-korrekten Symbolhandlung wie etwa "Green Book". Adam McKays Spielfilm über den republikanischen "Dark Knight" Richard Cheney war der Film der diesjährigen Oscarverleihung, der am schärfsten auf die Unmoral und die Abgründe der US-amerikanischen Politik zielte.

Er zeigt nicht harmonisches Zusammenleben und Rassenversöhnung. Er zeigt ein Portrait des weißen politischen Amerika. Eines Amerika, das korrupt ist, kontrolliert von den großen Konzernen, vor allem von Waffen- und Energiekonzernen, die die Politiker wie Marionetten beherrschen.

Vice - Der zweite Mann (19 Bilder)

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Regisseur Adam McKay bedient dabei die Mythen der Macht: 9/11 - was für ein Moment! Der Film zeigt, was wir nicht kennen können: Das Krisenzentrum im White House-Bunker, Unsicherheit, Chaos, ein durchdringender Alarmton und alle Blicke auf dem Vertreter des Chefs. Dessen rundes, rosa-teigiges Gesicht blickt ausdruckslos nach unten. Nur die Mundwinkel bewegen sich, die Unterkiefer mahlen. Cheney überlegt.

Er ist entschlossen und nur wir interpretieren rückblickend ein "finster" dazu. Er ist ein Ruhepol. Arbeit am Mythos, denn soviel Ruhe und kaltes Blut muss man erstmal haben. Wäre es Krieg, man wünschte sich, dass man so einen Mann auf seiner Seite hätte. Knapp gibt er seine Befehle - ein Mann, wo er seiner Natur nach hingehört: Im Zentrum der Macht - und hinter ihm steht, ein bisschen zärtlich, ein bisschen beruhigend, ein bisschen kontrollierend, Cheneys Ehefrau Lynn, die ungemein faszinierend, großartig abgründig von der tollen Amy Adams gespielt wird.

Denn Amy Adams, nicht Christian Bale ist der Star dieses Films. Bale verwechselt wie viele seiner Kollegen wieder einmal Schauspielleistung mit äußerer Ähnlichkeitsannäherung ans Objekt; er frisst sich dutzende von Fettkilos an, lässt sich täglich mehrere Wurstpellen von Make-Up und Prothesen über den Kopf stülpen, bis er aussieht wie ein fleischgewordener Volleyball, und von Mimik sowieso nichts mehr zu erkennen ist. Adams genügt eine Perücke.

Es beginnt mit einer Überraschung: Ein junger Mann fährt 1963 in Kansas besoffen Auto, wird von einem Polizisten angehalten, zum zweiten Mal. Und hier taucht Lynn auf. Sie sind schon verheiratet, aber nun faltet sie ihn zusammen, macht ihn klein, nimmt ihn auseinander, zerlegt ihn in seine Einzelteile und baut ihn danach als neuen Menschen wieder auf: Was Frauenmacht auch heißt, als untrennbare Mischung aus Sex und Gewalt, das zeigt dieser Film.

Sie macht ihn zu ihrem Avatar

Denn Lynn Cheney ist hart, steif, all-american, ein Klassenprimus mit lauter Einsern und ehrgeizig. Und weil man als Frau in den Sechzigern diesen politischen Ehrgeiz trotz aller Einser nicht erfüllen kann, setzt sie alles auf ihren Mann. Sie macht ihn - und das ist die waghalsige These dieses Films - zu ihrem Avatar.

Zuerst versagt er, dann sorgt sie dafür, dass sich das nicht wiederholt. Es entsteht ein Powerpaar zweier Machtmenschen, die einander entsprechen, und dessen Geschichte der Film als Farce erzählt, und moderne Variante von Shakespeares "Macbeth", allerdings einem ins Komödiantische gedrehten. Der Richard Cheney, den wir kennen, ist Lynns Geschöpf.

So wird er ab den späten Sechzigern eher zufällig Republikaner, wird gerade weil ihn keine Überzeugung und Ideologie vom Wesentlichen ablenken, zum perfekten zweiten Mann hinter Donald Rumsfeld, der als fröhlicher Zyniker erscheint, dem Berater des neuen Präsidenten Richard Nixon.

"Rummie"

Neben Lynn ist "Rummie" (gespielt voller Energie von Steve Carell) der zweite Mann, der Cheney zu dem machte, der er ist: Dick und Don sind ein jahrzehntelanges Paar, wie es Machiavelli und Shakespeare nicht besser hätten erfinden könnten. "What do we believe in?" fragt der junge Cheney seinen Mentor einmal in einer Schlüsselszene des Films. Worauf der spätere Verteidigungsminister sich vor Lachen kaum halten kann und in sein Büro verschwindet. Die Pointe der Szene scheint den Machern entgangen zu seín: Offenbar glaubt Cheney, dass man an etwas glauben sollte.

Cheney ist still und effektiv, er erledigt seine Arbeit, und so geht es aufwärts: Zum eigenen, noch fensterlosen Büro, bis zum Präsidentenberater und White-House-Stabschef unter Gerald Ford. Dann Verteidigungsminister unter George Bush, und dann bei dessen Sohn George W. Vizepräsident. Zwischendurch Jobs bei der Wirtschaft,verlässlicher Lobbyismus für Waffen- und Energiekonzerne.

"Theorie der einheitlichen Macht"

Einen hochinteressanten Punkt unterspielt der Film allerdings konsequent, wohl, weil dieser ihm als "zu intellektuell" erscheint. Denn immer wieder interessiert sich Cheney für die "Theorie der einheitlichen Macht", also der Bündelung möglichst vieler Einflussmöglichkeiten in einer Hand. Das zeigt der Film in furiosen Verfremdungseffekten: Mit Rittern, Pharaonenmasken und einer jagenden Raubkatze. Rumsfeld scheint plötzlich ein Gangster-Springmesser in der Faust zu haben.

Adam McKay ist nicht irgendwer. Als Autor, Regisseur und Produzent arbeitete er jahrelang bei "Saturday Night Live". McKay konnte sich in der Montage offenkundig nicht entscheiden, ob er eine Komödie drehen wollte oder ein Drama, eine Tragödie oder eine Satire. Tonfall und Atmosphäre seines Films schwanken nun zwischen einer für Michael Moore typischen wutschnaubenden Unfähigkeit, den politischen Gegner ernst zu nehmen, politischer Belehrung und gemütlicher oft alberner Klamotte.

Das Publikum hat immer recht

Am besten ist McKay noch da, wo der Regisseur aus seiner Verachtung für die große Mehrheit der Amerikaner kein Hehl macht. Dafür haben ihn die amerikanischen Kritiker, vor allem die politisch-korrekten großbürgerlichen Liberalen gehasst.

Denn das Publikum hat immer recht: Wenn es Trump wählt, war das eine demokratische Entscheidung und nicht die Folge von niederen Instinkten und manipulativer Feindpropaganda, die die Wahlen verfälschten. Dass die USA vielleicht einfach in ihrer Mehrheit ein Land von moralisch korrupten selbstgerechten Vollidioten sind, das darf man nicht mal denken.

"Vice" ist ein Film über die Dummheit der Amerikaner. Es geht um Cheney, aber noch mehr um die, die ihn möglich machten, die ihm erlaubten, der zu werden, der er wurde. Dick Cheney ist schlimm, ok. Ein herzloses Monster, na und?

"Ihr habt mich schließlich gewählt" wirft Cheney am Ende dem Publikum in direkter Ansprache vor. Zu Recht.

Die Entertainmentification der Politik, nicht nur der amerikanischen, hat all dem den Boden bereitet.

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