Die Schulstreiks für Klimaschutz sind bürgerlicher Ungehorsam

FridaysforFuture-Demo in Berlin am 25. Januar. Bild: C.Suthorn, cropped by Frida Eddy Prober/CC BY-SA-4.0

Nichts zu verändern, passt besser zur kurzfristigen Gewinnsucht der Aktienmärkte, die Regierungen machen zu wenig

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Bürgerlicher Ungehorsam: So muss man wohl die aktuellen Schulstreiks nennen - diese Streiks, die bewusst durch entgangene Schulzeit provozieren. Wieder sind ihm Tausende gefolgt, wie schon so oft an Freitagen am Monatsanfang. Das Ziel: Tut mehr für den Klimaschutz! Denn sonst ist unsere Zukunft finster - und dann brauchen wir keine Bildung.

Wenn man sich den Blick auf die Realitäten spart, könnte man dieses "Schulschwänzen" für abmahnungswürdig halten - so wie viele der Schuldirektoren ja reagiert haben, mit Verweisen wegen Fernbleibens vom Unterricht. Nur so einfach ist das nicht, nicht einmal der Rechtsstandpunkt, vom pädagogischen Geschick ganz abgesehen.

Denn bisher ist es unseren Regierungen nicht gelungen, den Klimawandel ernsthaft einzubremsen. Vielmehr bleiben in Deutschland die klimaschädlichen Emissionen seit Jahren konstant und die Welt läuft auf eine mittlere Erhöhung von drei bis fünf Grad zu. Das führt zu Aufsteilungen im Wetterablauf, bei denen nach Meinung vieler Wissenschaftler der Globus in einigen Jahrzehnten in vielen heute bewohnten Gegenden nicht mehr bewohnbar sein wird.

Zur Beurteilung der Risiken ist dabei allerdings die global gemittelte Zunahme der Erwärmung wenig geeignet, so wie man den Ernst einer Fieberepidemie nur schlecht durch den über die Gesamtbevölkerung gemittelten Anstieg der Körpertemperatur aufzeigen kann. Es geht vielmehr um die bereits beobachtete exponentielle Zunahme der lokalen Extrema - Starkregen und Überschwemmungen, Hurrikans und Tornados, Dürre und Waldbrände -, und es geht auch um den beachtlichen Anstieg des Meeresspiegels und den Verlust vieler Küstenregionen.

Klimaabkommen sind verbindliches Völkerrecht

Deshalb haben sich alle Nationen im Pariser Klimaabkommen verpflichtet, ihren Teil zur Begrenzung des Anstiegs auf 1,5 bis 2 Grad beizutragen, auf Basis weltweiten wissenschaftlichen Konsens. Wörtlich heißt es im Abkommen: "Die Erderwärmung soll im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf deutlich unter zwei Grad Celsius, idealerweise auf 1,5 Grad begrenzt werden." Und das ist beispielsweise mit einem Braunkohle-Ausstieg von zwanzig Jahren nicht zu erreichen - und bei weiterer Dominanz des Verbrennungsmotors auch nicht. All das muss wesentlich schneller gestoppt werden als bisher beschlossen - Konjunkturprobleme, Arbeitsplätze und Stromausfall-Risiken hin oder her.

Nur Einsehen wollen das unsere Regierungen nicht. Vielmehr folgt man den angstmachenden Reden der Industrie, genehmigt Tausenden von Lobbyisten Zutritt und Gehör und schützt die Industrie-Geschäfte von gestern und vorgestern. Denn die notwendigen Veränderungen kosten - und nichts zu verändern, passt besser zur kurzfristigen Gewinnsucht der Aktienmärkte, auch wenn damit die Lebensqualität der nächsten Generationen geopfert wird. Der Staat tut also nachweislich zu wenig - und genau deshalb ist bürgerlicher Ungehorsam angebracht.

Bürgerlicher Ungehorsam? Wie beim Widerstand gegen die Gentechnik?

Die Situation erinnert an den Weg zum genfreien Europa, der in Deutschland begann. Auch da war unklar, ob die Gentechnik tatsächlich frei von jedem Risiko ist. Bagatellisieren konnte man sie nicht. Deshalb wurden die genveränderten Mais- und Kartoffelpflanzungen der Versuchsanstalten immer wieder von Aktivisten zerstört. Diese wurden gefasst, kamen vor Gericht - aber wurden schließlich, nach mehreren Gerichtsverfahren, freigesprochen! Wenn der Staat den Schutz seiner Bürger nicht konsequent gewährleistet, kann "bürgerlicher Ungehorsam" angebracht sein, so war die Begründung. Ob ein Vergehen vorlag, wurde also zur richterlichen Ermessensfrage.

Genau solche "Einmischung" kommt jetzt von den Schülern. Diese Gier der Wirtschaft und das Zögern der Politik gehen sie schließlich am meisten an als die Generation von morgen. Und über ihre Sorgen zu den Risiken von Klimaveränderungen gibt es einen viel eindeutigeren wissenschaftlichen Konsens als bei der Gentechnik. Die Streiks scheinen in jedem Fall berechtigt und erzeugen deutlich verstärkte Aufmerksamkeit, viel mehr, als die 35.000 Teilnehmer eines Streiks gegen die Braunkohle in Berlin vor einigen Monaten. Die Wahl der Schulzeit könnte also vielleicht richterliche Milde finden.

Es ist fünf nach zwölf - aber nicht zu spät

Wie ausgeprägt allerdings unsere fast drogenhafte Abhängigkeit von fossiler Energie die Welt nun genau verändern wird, wissen wir nicht. Sicher ist, es wird zumindest viel Anpassung und Innovationskraft erfordern. Und gerade deshalb wird gute Bildung mit entscheidend sein für die Zukunft unserer Zivilisation.

Es ist fünf nach zwölf, aber es ist noch nicht zu spät. In die Schule gehen, lohnt sich vielleicht doch noch.

Von Peter H. Grassmann ist gerade das Buch "Zähmt die Wirtschaft" im Westend-Verlag erschienen. Es zeigt die Methoden der Wirtschaft, die Abkehr von Öl und Gas zu verhindern, es zeigt die Veränderungen, auf die wir zusteuern, und es zeigt das schon jahrelange Zögern der Politik. Es ruft deshalb zum "Sich Einmischen" auf, so wie der Untertitel des Buches andeutet: "Ohne bürgerliche Einmischung werden wir die Gier nicht stoppen".

Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokartie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft.

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