Taliban: Angriff vor den Friedensverhandlungen

Taliban-Propaganda. Bild: Taliban-Sprecher Zabidullah, Twitter

Die islamistischen Milizen greifen eine Militärbasis in Helmand an, wo sich auch US-Soldaten aufhalten. Sie drängen darauf, dass die US-Truppen das Land verlassen

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Die Taliban haben ihre ganz eigene Verhandlungsweise mit sehr direkten Mitteln. Das demonstrierten sie einen Tag vor Weiterführung der "Friedensgespräche" mit US-Vertretern in Doha, Katar am heutigen Samstag.

Sie griffen gestern frühmorgens mit einer verhältnismäßig kleinen Truppe (angeblich 20 Kämpfer) einen wichtigen Militärflughafen in Helmand an, wo afghanische und auch US-Soldaten stationiert sind. Sie zeigten damit, dass es keinen Schutz vor ihren Angriffen gibt und dass sie böse zuschlagen können - und sie demonstrierten damit einiges Selbstvertrauen, was die Fortsetzung der Gespräche angeht. Normalerweise müssten sie nach einem solchen "Streich" beendet werden.

In der Taliban-Kriegspropaganda waren die Kämpfe auf der Shorab-Militärbasis (auf dem Gelände des früheren Camp Bastion) auch nach vielen Stunden noch nicht zu Ende, obwohl die gegnerische Seite längst meldete, dass alles unter Kontrolle sei. Auch bei den Opferangaben gab es große Unterschiede. Der Sprecher der Taliban meldete hohe Verluste auch unter US-Truppen und Vertragspartnern. Beim Bericht der Voice of America war ausschließlich von mindestens 25 Toten unter afghanischen Sicherheitskräften die Rede.

Der Sprecher der amerikanischen Truppen in Afghanistan teilte mit, dass es keine Verluste unter US-Soldaten gegeben habe. Zu überprüfen ist das nicht, aber jede andere Mitteilung hätte die Weiterführung von Friedensverhandlungen wohl auch sehr schwer gemacht.

Laut einem Sprecher des Provinzrates in Helmand war der Angriff, der frühmorgens begann und mehrere Stunden dauerte, eine Katastrophe für das 215te Corps der afghanischen Nationalarmee. Diese Katastrophe hält die Friedensverhandlungen offensichtlich nicht auf.

Gegen US-Pläne über Totalabzug erst in 3 bis 5 Jahren

Den Taliban war es wichtig, den US-Plänen, die vergangene Woche an die Öffentlichkeit kamen, jegliches Gewicht abzusprechen. Die afghanische Armee und die US-Armee können sich auf verlustreiche Aktionen einstellen, wenn sich der Abzug der Amerikaner und ihrer Verbündeten länger hinauszögert, so lautet die militärische Botschaft des Angriffs mit Selbstmordattentätern. Begleitet wurde der Angriff von einem Kommuniqué des "Islamischen Emirats Afghanistan", wie sich die Taliban amtlich nennen wollen.

Dort hieß es, dass ein Plan, wonach es fünf Jahre bis zum vollständigen Abzug der internationalen Truppen dauern könnte, in den Augen der Taliban kein Verhandlungsgegenstand ist. Man ist mit dergleichen Vorschlägen ganz und gar nicht einverstanden und drängt, wie es der Angriff untermauert, auf einen schnelleren Abzug.

Die Pläne der USA sind laut New York Times mit europäischen Partnern abgesprochen. In der Zeitung erschien Mitte der Woche ein Bericht mit ein paar Einzelheiten zum geplanten Abzug, Quellen waren mehrere Vertreter der USA und europäischer Länder. Demnach sollen in den nächsten Monaten 7.000 US-Soldaten abgezogen werden. Später sollen auch die Koalitionstruppen folgen. In "drei bis fünf Jahren" sollen dann sämtliche ausländischen Truppen abgezogen sein.

Bis dahin sollen die Aufgaben geteilt werden. Die Truppen der internationalen Koalition, darunter die Bundeswehr, sollen für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte sorgen. Die US-Truppen sind für Anti-Terror-Maßnahmen zuständig. Als Gegner werden vornehmlich der IS und al-Qaida erwähnt. Der Angriff auf die Shorab-Militärbasis führt allerdings vor, dass in Wirklichkeit, Friedensverhandlungen hin oder her, der hauptsächliche Gegner ist der alte bleibt, nämlich die Taliban.

Den Taliban trauen?

Die Verhandlungspartner, die mit den US-Vertretern am Tisch sitzen, sind ein weiteres Teil einer bizarren Realität. Es sind Personen darunter, die von den USA als Extremisten im berüchtigten Guantanamo-Gefangenenlager eingesperrt waren, und es sind Mitglieder der früheren Talibanregierung dabei, die mit exzessiven Menschenrechtsverletzungen Schlagzeilen machte.

Die Frage ist, wie weit man diesen Verhandlungspartnern trauen kann, wenn sie versprechen, dass es "beim nächsten Mal" besser wird. Preis der Friedensverhandlungen ist, dass die Taliban an der künftigen Regierung beteiligt werden. Wie das funktionieren soll, ist kaum vorstellbar. Die Taliban bestanden darauf, dass die gegenwärtigen Verhandlungen ohne Vertreter der afghanischen Regierung geführt werden sollen.

Als Begründung ist in Berichten zu lesen, dass die Taliban die Regierung für illegitim halten und nicht akzeptiert. So stellt sich die Frage, welche Regierung die Taliban an ihrer Seite überhaupt akzeptieren würden und welches Gewicht die Nicht-Taliban-Seite haben "darf"?

Das ist ziemlich beunruhigend, wenn man sich vor Augen hält, wie es schon jetzt um die Verhandlungsstärke der Taliban bestellt ist, da sie doch die Forderung durchgesetzt haben, dass sie nur in Verhandlungen gehen, wenn die Kabuler Regierung ausgeschlossen bleibt. In den Monaten zuvor hatte die US-Führung noch verkündet, dass man eine Militärstrategie habe, die die Taliban an den Verhandlungstisch zwingen würde.

Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus. An solchen "Kleinigkeiten" zeigt sich das große Debakel.

Die Frage, ob die Taliban Versprechen einhalten wollen oder können, die sie in den Verhandlungen mit den USA geben, wird von Afghanistan-Kennern im Long War Journal mit "nein" beantwortet. Zu den Versprechen gehört etwa, dass die Taliban in der künftigen Regierung keine terroristischen Gruppen wie al-Qaida oder IS in Afghanistan dulden würden - "no threat will be posed to other countries from Afghanistan" ("von Afghanistan aus wird keine Bedrohung für andere Länder ausgehen").

Oder dass sie Frauen gut behandeln würden …

Frauen, die sich zu mehreren Hundert bei einer Versammlung in der vergangenen Woche trafen, haben große Sorgen, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wird. Beruht das Bildmaterial, das beim Long War Journal zu finden ist, auf Vorfälle der letzten Jahre, so ist Anlass zu allergrößten Befürchtungen. Man braucht sich allerdings gar nicht auf diese brutale Art der steinernen Scharia-Auslegung zu beziehen, um eine erneute Regression in mittelalterliche Zustände zu befürchten.

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