Terroranschläge in Madrid 2004: Lügen wie gedruckt

Ministerpräsident Sánchez mit Ángel Garrido und Manuela Carmena auf der Gedenkveranstaltung, 11. März 2019. Foto: Ministry of the Presidency. Government of Spain

Nun kommen neue Details darüber ans Licht, wie die rechte Volkspartei PP die schwersten Anschläge in Europa mit Fake-News anderen Tätern zuschreiben wollte

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Am heutigen Montag ist in der spanischen Hauptstadt den Opfern des bisher schwersten Anschlags in Europa gedacht worden, der vor 15 Jahren Madrid, Spanien und ganz Europa erschüttert hat. Viele Opfer empfinden es so, als wären die islamistischen Anschläge erst "heute" passiert, so genau haben sie die Geschehnisse noch vor Augen, als in der morgendlichen Stoßzeit Bomben in vier Vorortzügen explodierten.

193 Menschen wurden dabei getötet und mehr als 1.000 verletzt. Die Anschläge in New York am 11. September waren nicht einmal drei Jahre her, als Madrid zum Ziel von radikalen Islamisten wurde und die Stadt beim schwersten Anschlag in Europa in ein Inferno verwandelt wurde.

Die damals regierende ultrakonservative Volkspartei (PP) unter José María Aznar hatte sofort versucht, das Massaker der baskischen Untergrundorganisation ETA in die Schuhe zu schieben. Sie wollte von einem Zusammenhang zum völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak ablenken, in den Aznar Spanien an der Seite der USA und Großbritannien geführt hat, obwohl sich 90% der Bevölkerung im Land gegen diese Beteiligung massiv ausgesprochen hatte.

Gegen besseres Wissen

Wir wissen seit heute nun, dass die Versuche, die Anschläge der ETA zuzuschreiben, gegen besseres Wissen vorangetrieben wurden. Schon um 15 Uhr am 11. März 2004 war eigentlich alles klar. Zuvor war ein Auto gefunden worden, das die Terroristen benutzt hatten. Und in diesem Wagen wurden nicht nur eine "Kassette mit Koranversen" gefunden, sondern sofort auch "Spuren von Goma 2 Eco". Das hat nun im Interview der Chef der Einheit zur Entschärfung von Sprengstoff (Tedax) erklärt.

Damit war nach Ansicht von Juan Jesús Sánchez Manzano bereits zu diesem Zeitpunkt, als Telepolis die Story von der ETA-Täterschaft auch ins Märchenreich verbannt hatte, klar, dass es die Basken definitiv nicht waren. Die ETA verwendete meist in Frankreich gestohlenen Sprengstoff der Marke Titadyn und nicht das spanische Goma 2. Zudem passten derlei Anschläge in keiner Weise zu ihrem Vorgehen. Trotz allem wurde sie auch nach ihrem offiziellen Dementi meist noch als Täter gehandelt.

Der Tedax-Chef spricht davon, dass es schon vor dem Goma 2-Fund "Indizien für eine Tat von Dschihadisten" gegeben habe. Als die Bomben-Taschen in den Bahnhöfen El Pozo und Atocha gefunden wurden, konnten die Tedax-Beamten feststellen, dass es sich um weißen Sprengstoff handelte und nicht um einen rötlichen wie Titadyn. Zudem hätten die Verwüstungen schon früh darauf hingewiesen, dass ein stärkerer Sprengstoff als Titadyn zum Einsatz gekommen sein musste. "Mit absoluter Sicherheit wurde die ETA-Täterschaft ausgeschlossen und das wurde am 11. März um 15 Uhr den Polizeiführungen vermittelt."

Im weiteren Verlauf des Interviews beschreibt Sánchez Manzano, wie trotz dieser klaren Sachlage an der ETA-Lüge kurz vor den Wahlen am 14. März gestrickt wurde. Um 17.35 gingen Telegramme der Aznar-Regierung an die internationalen Organismen und Botschaften heraus, in denen der ETA die Täterschaft zugewiesen wurde. Vertreter großer Medien wurden sogar persönlich von Aznar auf diese Linie eingestimmt.

Entschuldigung bei der UN

Auf Drängen Spaniens verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) noch am 11.3. die Resolution 1530. Darin werden die "von der ETA verübten Anschläge in Madrid" auf schärfste verurteilt, wie einstimmig beschlossen wurde und noch heute nachzulesen ist. Dabei musste sich Spanien einige Tage später bei der UN dafür entschuldigen, die die Resolution korrigieren musste.

Der Polizist erklärt, dass er vor der Untersuchungskommission die Verantwortung übernehmen sollte, wonach die Tedax von Tidadyn gesprochen habe. "So hätte die Regierung ihren Fehler begründen können." Doch niemals habe man in der Tedax vom ETA-Sprengstoff gesprochen. Der Polizist erklärt: "Ich habe mich geweigert."

Die Spuren hätten über die Zünder zudem schnell nach Asturien geführt und nicht ins Baskenland. Jeder Polizist, der schon in Sachen ETA gearbeitet habe, habe deren Täterschaft ausschließen können. Denn die sei auf ihre soziale Basis angewiesen und hätte sich mit einem solchen Anschlag gegen einfache Menschen selbst erledigt, weil ihr sofort die Unterstützung entzogen worden wäre.

Klar ist, dass sich das von Aznar, seiner PP und zugehörigen Medien aufgebaute Lügengebilde nicht lange halten ließ und über das Ausland bald auch in Spanien die Menschen erkannten, dass sie an der Nase herumgeführt wurden. Es kam bald zu spontanen Mobilisierungen. Letztlich zeigte sich am Wahlsonntag, dass Lügen auch in Spanien kurze Beine haben. Statt die vorhergesagten absoluten Sitzmehrheit zu bekommen, verlor die PP die Wahlen.

Dunkle Flecken bleiben

Wie an dieser Stelle mehrmals darauf hingewiesen wurde, ist über die Aufklärungen zwar vieles ans Licht gekommen, aber es blieben auch etliche dunkle Flecken. Es ist bekannt, dass es Spitzel der Sicherheitskräfte waren, die praktisch unter Aufsicht den Islamisten den Sprengstoff geliefert haben. Und es waren Geheimdienstler und Polizisten in die Vorgänge verwickelt.

Doch zur Verantwortung gezogen wurden von ihnen nur wenige, es gab nur Bauernopfer. Der Prozess endete 2007 mit einem sonderbaren Gefühl, dass es eigentlich noch viel aufzuklären gibt, vor allem zu den Verwicklungen der Sicherheitskräfte.

Das ist besonders mit Blick auf die Anschläge im August 2017 im katalanischen Barcelona und Cambrils interessant, weil sich viele Parallelen zeigen. In diesem Fall war der Chef der Truppe ein Informant der spanischen Sicherheitskräfte. Informationen über Abdelbaki Es Satty, dem Imam von Ripoll, gaben sie nicht an die katalanischen Kollegen weiter, womit die Anschläge mit 17 Toten vermutlich verhindert worden wären.

Die Informationen flossen nicht einmal, nachdem Es Satty bei der Herstellung von großen Sprengstoffmengen selbst in die Luft flog. Allein das hat ein vielleicht noch größeres Massaker wie 2004 in Madrid verhindert. Wie inzwischen bekannt ist, gehörte auch ein Spiel des FC Barcelona oder die Sagrada Familia zu den Zielen.

Kam einst der Chef der Madrider Attentäter Allekema Lamari über einen "Richterfehler" frühzeitig aus spanischer Haft frei, nachdem er Besuch von einem-Geheimdienstmitarbeiter bekam, wurde auch der verurteilte Drogenhändler Es Satty frühzeitig nach Besuchen von Beamten der Guardia Civil entlassen. Er wurde erstaunlicherweise nicht nach Marokko abgeschoben, wie es ausdrücklich im Urteil festgeschrieben war.

Auch in diesem Fall ist das Interesse an offizieller Aufklärung reichlich begrenzt. Die drei großen spanischen Parteien verhinderten im Parlament gemeinsam, dass die Verbindungen des Imams zu den Sicherheitskräften untersucht wurden.

Bekannt wurden inzwischen trotz allem weitere Details. So hat die Zeitung Público kürzlich veröffentlicht,, dass die "staatlichen Sicherheitskräfte den Kopf des Massaker bis zum letzten Moment kontrolliert haben". Haben sie wirklich nichts davon mitbekommen, dass die Terrorzelle 120 Gasflaschen gehortet hat, um sie mit dem selbst hergestellten Acetonperoxid (TATP) zu füllen?

Bis zu 500 Kilogramm des bei den Dschihadisten beliebtesten Sprengstoffs wollten sie herstellen. Bei den Untersuchungen, die das katalanische Parlament anstellen konnte, wurde klar, dass sich spanische Sicherheitskräfte bis kurz vor den Anschlägen mehrfach nach dem Imam erkundigt haben. Für Opfer ist es unverständlich, dass die Aufklärung sogar blockiert wird. Und man fragt sich tatsächlich, was es zu verbergen gibt.