Mehr als 100.000 protestierten zur Unterstützung der Katalanen in Madrid

Mit 500 Bussen und 15 Sonderzügen haben sich Menschen aus dem ganzen Land auf den Weg gemacht, um die Angeklagten im Prozess zu unterstützen und das Selbstbestimmungsrecht zu fordern

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Seit Wochen wird in der spanischen Hauptstadt Madrid unter höchst sonderbaren Umständen gegen katalanische Politiker und Aktivisten zu Gericht gesessen, wofür "alle Regeln geändert wurden", wie die Verteidigung gegenüber Telepolis beklagt hatte. "Das Selbstbestimmungsrecht ist kein Verbrechen - Demokratie bedeutet zu entscheiden", lautete deshalb das Motto einer Großdemonstration an diesem Samstag, mit der das Zentrum Madrids in eine gelbe Flut verwandelt wurde, um die 12 Angeklagten zu unterstützen.

Das Ziel, mit dem Paseo del Prado den zentralen Boulevard in der Hauptstadt zu füllen, wurde mehr als erfüllt. Statt spanischen Fahnen waren die Straßen mit katalanischen, baskischen, galicischen und andalusischen gefüllt. Zu sehen waren aber auch viele Fahnen der durch die Putschisten gestürzten spanischen Republik und die lilafarbenen Fahnen, mit einem roten Stern in der Mitte, in dem eine Burg thront. Das ist die Fahne der "Izquierda Castellana" die sich besonders für diese historische Demonstration in der Hauptstadt eingesetzt hatte.

Die Sprecherin der Formation Elena Martínez hatte angekündigt, dass sich das "andere Madrid" zeigen werde. "Diese Demonstration ist nicht nur eine Demonstration von Katalanen in Madrid", erklärt sie. "Heute ist es an uns, zu sagen, dass die Verteidigung von Katalonien die Verteidigung Madrids ist", sagte sie mit Blick auf die Demonstration kürzlich. Die drei rechten und ultrarechten Parteien gingen gemeinsam gegen jeden Dialog mit Katalonien auf die Straße. Sie konnten allerdings nur 45.000 Menschen versammeln. Obwohl sie ihre Anhänger umsonst mit Bussen in die Hauptstadt kutschiert hatten, wurde ihr Protest ein Rohrkrepierer und blieb weit hinter diesem heutigen Protest für Grundrechte zurück.

Die Demonstration am Samstag kann als voller Erfolg und als historisch genannt werden. Wie bei den Katalanen üblich verlief sie friedlich und in Feststimmung, obwohl es zu kleineren Provokationen von Rechtsradikalen kam und die paramilitärische Guardia Civil sich auf dem Weg in die Hauptstadt viele Schikanen einfallen ließ, um die Busse aufzuhalten. In Madrid machten sich 20 verlorene Falangisten zudem mit einer Gegendemonstration lächerlich. Die Beteiligung an der Demonstration für das Selbstbestimmungsrecht war dagegen enorm. Einige Quellen sprechen von bis zu 180.000 Menschen, andere von 120.000. Die spanische Regierung schraubt die Zahl auf völlig untertriebene 18.000 herunter.

Diese Zahl grenzt an eine Beleidigung der Intelligenz, denn die Katalanen sind für ihre riesigen Demonstrationen bekannt. Und sie mobilisieren auch kräftig zu fernen Zielen. Im Dezember 2017 waren mehr als 50.000 sogar ins belgische Brüssel gereist, um ihren Exilpräsidenten zu unterstützen. Nach Madrid waren mehr als 500 Busse aus dem gesamten spanischen Staat gereist, das waren allein gut 25.000 Menschen. Von den 15 Sonderzügen und den zahllosen Privat-PKWs erst gar nicht zu sprechen, mit denen Madrid geflutet wurde. Deshalb kaufte diesmal nicht einmal die Tagesschau den spanischen Behörden ihre unsägliche Zahl ab. Schließlich war sie diesmal vor Ort, da die Demonstration nun vor der Haustür der deutschen Korrespondenten stattgefunden hat. "Das gab es noch nie: Nicht in Barcelona, Tarragona oder Girona demonstrierten Zehntausende Katalanen - sondern mitten in Spaniens Hauptstadt Madrid", muss angesichts der enormen Masse auch die Tagesschau berichten.

Demo in Madrid (7 Bilder)

Bild: CDR

"Spanien, höre diesen Schrei nach Freiheit"

Zentral ging es den Demonstrationsteilnehmern um die Unterstützung der neun Gefangenen, die zum Teil seit eineinhalb Jahren inhaftiert sind. "Freiheit für die politischen Gefangenen" war einer der zentralen Slogans, der immer wieder skandiert wurde. "Dieser Prozess ist eine Farce", wurde ebenfalls immer wieder gerufen und die "Unabhängigkeit" gefordert. "Wir sind gekommen, um uns zu verabschieden", war auch auf Spruchbändern zu lesen.

12 Katalanen sitzen seit einem Monat im bisher ersten Prozess auf der Anklagebank in der Hauptstadt, die sich angeblich der "Rebellion", "Aufstand", "Veruntreuung" oder des "Ungehorsams" schuldig gemacht haben sollen. Die Hauptanklagepunkte konnten weder deutsche Richter noch andere Gerichte in Europa feststellen, weshalb angebliche "Rebellen" und "Aufrührer" nicht auf der Anklagebank sitzen, schlicht weil sich halb Europa geweigert hat, sie an Spanien auszuliefern. Einer davon ist der ehemalige Regierungschef Carles Puigdemont, der nun Spitzenkandidat seiner Formation zu den Europaparlamentswahlen ist.

Die angebliche Untreue und Ungehorsam durften die Richter in halb Europa nicht prüfen, doch im bisherigen Prozess ist schon mehr als deutlich geworden, dass auch dafür die Beweislage mehr als dünn ist. Bei den Zeugenaussagen glänzten nun auch die Vertreter der früheren Regierung wie der ehemalige Regierungschef Mariano Rajoy mit enormen Gedächtnislücken, er konnte sich an die Vermittlung des baskischen Regierungschefs nicht mehr erinnern und zum Teil verwickelten er und seine früheren Untergebenen sich in massive Widersprüche oder erzählten schlicht unhaltbaren Unfug. Einige Zeitungen haben berichtet, dass sie schlicht gelogen haben.

José Antonio Martín Pallín, ehemaliger Richter an dem Obersten Gerichtshof, an dem nun über die Katalanen verhandelt wird, hat seinerseits längst ein klares Urteil gefällt: "Man kann schon jetzt das Urteil schreiben, bestenfalls Ungehorsam", erklärte er angesichts der völligen Abwesenheit von Beweisen. Der Richter kommt zu der Einschätzung, zu der angesichts der eigenen Beobachtung des Prozesses auch schon Telepolis kam. "Es schält sich also heraus, dass man den Angeklagten eigentlich nur Ungehorsam vorwerfen kann und damit eine Höchststrafe von zwei Jahren, doch dann hätte man sich blamiert und viel Rauch um Nichts produziert." (Für Pallín befindet sich die Staatsanwaltschaft in einer fatalen Lage, denn die Lage "ist, wie sie ist". Real sei nicht das Narrativ der Guardia Civil, sondern was im Fernsehen gezeigt wurde. Und da können Regierungsvertreter lange von der angeblichen Gewalt am 20. September oder während des Unabhängigkeitsreferendums fabulieren, von der es trotz der Anwesenheit vieler Medien keine Bilder gibt. Von einem bewaffneten Aufstand, für Rebellion nötig, oder erheblicher Gewalt wie bei Aufruhr, fehlt jeder Hinweis.

Der katalanische Regierungschef Quim Torra hat sich von der Demonstration direkt an die spanische Bevölkerung gerichtet, bei der sich im Rahmen des Schauprozesses die Wahrnehmung zu ändern scheint, wie ihn auch hochrangige spanische Juristen nennen. "Spanien, höre diesen Schrei nach Freiheit, diesen Schrei nach Unabhängigkeit!", erklärte Torra in Madrid.

Man darf gespannt sein, ob die sozialdemokratische Regierung unter Pedro Sánchez den Schrei der Masse erhöht. Vor der Demonstration der Rechten und Rechtsradikalen zog er sofort den Schwanz ein, erteilte dem zaghaften Dialog eine Absage, weshalb seine Regierung stürzte, da ihm dafür die Katalanen die Zustimmung zum Haushalt verweigerten. Kein Weg sei zu weit für das Selbstbestimmungsrecht, hat Torra angefügt. "Wir werden nicht stoppen, bis wir die Freiheit der Gefangenen und den Respekt vor unserem Selbstbestimmungsrecht sehen."

Der Sprecher der linksradikalen CUP Carles Riera bedankte sich wie der katalanische Parlamentspräsident Roger Torrent bei den vielen solidarischen Menschen aus dem gesamten Land. Es gehe nicht im Besonderen um Katalonien, nicht einmal zentral um die Selbstbestimmung, meinte Riera. Es sei eine "große republikanische Mobilisierung" gegen das vom Diktator installierte "Regime von 78 und seiner antidemokratischen Monarchie". Diktator Franco hatte die Monarchie restauriert und den König als seinen Nachfolger und Militärchef bestimmt. Torrent ist erfreut, dass viele in Spanien begreifen, dass es in dem Prozess um die "Ausübung von Grundrechten" geht, das sei sehr gefährlich für alle. "Heute hat es uns als Unabhängigkeitsbefürworter getroffen, aber ist die rote Linie einmal überschritten, kann es bald Feministinnen, Gewerkschaftler oder Umweltbewegte treffen." Die einzige Lösung zur Lösung des Konflikts seien "Wahlurnen", denn "die Leute müssen entscheiden", forderte er ein Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild.

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