Das Horrorprogramm eines "white supremacist"

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Australischer Hyper-Rassismus im schon über die Maßen von der Natur geplagten Christchurch: Eine Mail aus Neuseeland

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Die sonst recht gut informierten ORF News nannten Christchurch diese Tage die "Hauptstadt Neuseelands". Die Hauptstadt ist Wellington, ebenfalls erdbebengefährdet, und regelmäßig ein wenig durchzuckt und geruckelt. Erst kürzlich fibrillierten bei mir alle Bücherregale, rund 3 Minuten lang.

Aber Christchurch ist die Horror-Kapitale von Neuseeland. Die Stadt, in der man sich keine Erdbeben vorstellen konnte, erlitt zweimal massive Erdbeben, die weite Areale der Stadt flachlegten. Am 4. September 2010 gab es keine Todesopfer, dann am 22. Februar 2011 und beim größeren Nachbeben am 13. Juni 2011 waren es insgesamt 185 Todesopfer. In dem Einwanderungsland Neuseeland kamen sie aus nahezu 20 verschiedenen Ländern.

Jedem dieser Erdbeben folgten 10.000 bis 15.000 (!) Nachbeben, sodass rund 200.000 der 500.000 Bewohner der Stadt aus Christchurch fortzogen.

Ein Bekannter, der aus Wellington nach Christchurch zog, weil ihm dort ein Job angeboten wurde, kam nach wenigen Monaten wieder zurück, die permanenten Erschütterungen in Christchurch hielt er nervlich einfach nicht aus.

Menschen aus jedem Land der Erde

Zu den Muslimen in Neuseeland ist zu sagen, dass hier Menschen aus jedem Land der Erde leben, Russland, Irak, Somalia, z.B. etc., und meistens bringen sie auch ihre Religionen mit. Die Äthiopier haben ihre eigene Kirche, die Russen dito, und in Wellington gibt es auch eine Moschee, in der an jedem Freitag Afrikaner, Afghanen, Pakistaner und Religionsangehörige aus zahlreichen anderen Ländern zusammenkommen.

Probleme, die in Deutschland virulent sind, sind hier unbekannt. Vollverschleierte Frauen sitzen im Bus oder im Café und ihre Mode wird nicht einmal als bizarr empfunden. Einzig Banken dürfen diese Frauen nicht betreten, genauso wenig wie andere Bürger, die eine Sonnenbrille, einen Hut oder einen Motorradhelm tragen. Wie sie ihre Bankgeschäfte erledigen, ohne einen nicht-verkleideten Mann zu bemühen, ist ihnen selbst überlassen — ein Problem, mit dem sich niemand befasst.

Es gibt auch kein Kopftuchverbot in den Schulen, ebenso wenig wie es ein Turbanverbot für Sikhs gibt. Aber auch sie müssen in der Schule Schuluniformen tragen.

Ausgerechnet ein "white supremacist" aus Australien

Dass nun ausgerechnet ein white supremacist - ein Vertreter der Ansicht, dass weißhäutige Menschen allen anderen überlegen seien -, ein 28-jähriger Mann aus Australien, einem traditionell und bis heute super-rassistischem Land, das sich zur vollen Gänze mit den Südstaaten der USA und dem Südafrika der Apartheidszeit vergleichen lässt, sich mit seinem grotesken Horrorfilmprogramm nach Neuseeland begeben musste - und nun zusätzlich auch noch in das über die Maßen vom Horror der Natur geplagte Christchurch -, gehört zu den perversesten Grauslichkeiten, die hier passieren konnten und jemals passiert sind.

Wer als europäischer Reisender jemals in Sydney oder Melbourne war oder in den anderen Großstädten Australiens, wird dort ihr mondänes Flair genossen haben, die Selbstverständlichkeit, wie dort Griechen, Libanesen, Jugoslawen Seite an Seite wohnen. Freilich gab es schon lange vor der kriegerischen Auflösung Jugoslawiens in Australien immer wieder blutige Bombenattentate zwischen Ustascha-Angehörigen und serbischen oder anderen Dalmatinern. Die aggressive nationalistische Note der Fußballteams aus Ex-Jugoslawien führt davon noch heute einen lebendigen Abklatsch vor.

Der Wahn einer Überlegenheit der "weißen Rasse", dazu die legalisierte Diskriminierung von Asiaten, insbesondere Chinesen, die offen ausgesprochene Diskriminierung von Juden, Griechen und anderen "nicht-weißen" Ethnien in Australien vermitteln hier allerdings ein sehr wenig weltmännisches Image. Die buchstäblich seit über 200 Jahren zum Abschuss freigegebenen Aborigines von Australien und die praktisch komplett ausgerotteten einheimischen Bewohner von Tasmanien unterstreichen diesen rassistischen Tenor nur noch weiter.

Es gibt einige "gemischtethnische" Nachfahren der Ur-Tasmanier, aber die offiziell letzte "Original Tasmanierin", Truganini, wurde nach ihrem Tod nochmal gut ein Jahrhundert lang in einem Museum in Tasmanien ausgestellt bzw. aufbewahrt.

Es ist also wenig verwunderlich, dass der australische Premierminister Scott Morrison sich beeilte, den australischen Täter zu verurteilen und den Neuseeländern sein Mitgefühl zu übermitteln. Umsonst.

Aus dem immer schon hyperrassistischen und faschistoiden australischen Bundesstaat Queensland meldete sich noch am Tag des Attentats ein Senator namens Fraser Anning, der den Neuseeländern selbst die Schuld an dem Fiasko gab - sie hätten eben keine Muslime ins Land lassen sollen. Ein junger Mann, der den Senator daraufhin mit einem Ei bewarf, kriegte die Antwort sofort, nicht nur postwendend, sondern sofort: eine Reihe von Faustschlägen voll ins Gesicht.

Immerhin hat es in Neuseeland jetzt rasche Bemühungen gegeben, semi-automatische Waffen zu verbieten, es wird also nicht, wie in den USA, endlos herum geeiert. Dass der australische Massenmörder seine Tat mit einer an seinem Kopf befestigten Kamera filmte und live ins Internet stellte, hat viele Leute hier konsterniert. Ebenso hier wie in den ORF News haben sich "Religionsdoktoren" zum Thema "Ende der Aufklärung?" ausführlich verbreitet.

Die Polizei muss sich vorwerfen lassen, dass sie nicht aufmerksam genug war, aber jeder beliebige Attentäter hätte bis eben noch jede beliebige Moschee in Neuseeland attackieren können. Kirchen galten hier nicht als angriffsgefährdet und waren daher ungesichert. Dagegen steht an den Eingängen zu den Work & Income Ämtern ein Sicherheitsbeamter (oder manchmal auch zwei), nachdem in einem dieser Ämter 2014 ein Mann zwei Angestellte erschoss und einen Dritten schwer verletzte.

Subfaschistoide Szene in Christchurch

Ich vergaß Malaysia zu erwähnen, ein muslimisches Land, von wo ja auch viele Menschen hierherkommen. Sie kommen nach Neuseeland, weil sie eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder wollen, aber auch eine normale Gegenwart, ohne Verfolgung, Polizeiwillkür und all die anderen negativen Dinge in ihrer Heimat.

Ich hatte in diesem Kontext nicht die Absicht, die Situation in Neuseeland zu beschönigen, will das Land auch nicht unnötig miesmachen. Es gibt in Christchurch aber seit langem schon - sicherlich über zwei Jahrzehnte - eine ganz eigene subfaschistoide Szene, eine aktive, aber scheinbar nicht sonderlich organisierte white supremacist-Gruppierung, die durchaus bei diesem Attentat dem australischen Einzeltäter Hilfestellungen geboten haben könnte.

Dass die Polizei vor Ort davon so gar nichts mitbekommen hat, mag auch daran liegen, dass man auf dem rechten Auge eben blind ist.