Weber will als EU-Kommissionspräsident Nord Stream 2 blockieren

Der Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten wirbt in Polen mit Kritik an Russland um Stimmen

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Der wahrscheinliche Jean-Claude-Juncker-Nachfolger Manfred Weber hat in einem Interview mit der Newsweek Polska verlautbart, er lehne den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 "kategorisch ab" und werde als EU-Kommissionspräsident alle denkbaren Möglichkeiten prüfen und nutzen, um ihren Bau zu blockieren, auch wenn der bei seiner Amtsübernahme bereits weit fortgeschritten sein wird.

Zur Begründung seiner Ablehnung des Projekts führte der CSU-Politiker keine Interessen seines Heimatlandes an, sondern "europäische". Konkreter meinte er dazu allerdings nur, die Pipeline werde "ukrainische Interessen erheblich treffen und langfristig den Gaspreis für ganz Europa beeinflussen". In welche Richtung letzteres geschehen wird, ließ er offen. Im Regelfall gehen Volkswirtschaftler davon aus, dass mehr Transportalternativen das Angebot erhöhen und dass ein größeres Angebot potenziell den Preis senkt.

Nicht der EU-Kommissionspräsidentenkandidat der Deutschen, sondern "der größten Fraktion im Europäischen Parlament"

Auf die Frage, ob er "als deutscher Politiker an der Spitze der Europäischen Kommission die Position Deutschlands in der Union weiter stärken werde", meinte Weber, er sei in erster Linie Bayer, und nicht Deutscher (vgl. Umfrage: Fast ein Drittel der Bayern für Austritt aus der Bundesrepublik). Darüber hinaus sei er auch nicht der EU-Kommissionspräsidentenkandidat der Deutschen, sondern "der größten Fraktion im Europäischen Parlament", die ihm "in einer geheimen Abstimmung mit fast 80 Prozent der Stimmen" gewählt habe. Er sei deshalb "ein europäischer Politiker" und sein Ziel sei es, "europäische Politik zu machen".

Dazu gehört Weber zufolge die "große Errungenschaft" einer "gemeinsamen Politik gegenüber Russland". Diese gemeinsame Politik gegenüber Russland sieht der Wildenberger durch die Annäherung des polnischen Regierungsparteichefs Jarosław Kaczyński an "Populisten" wie den italienischen Innenminister Matteo Salvini gefährdet.

Das wirft die Frage auf, inwieweit Webers Äußerungen tatsächliche Absichtserklärungen oder eher Wahlkampf für die polnische Oppositionspartei Platforma Obywatelska (PO) sein sollen, die Webers christdemokratischer EVP-Fraktion angehört. Darauf, dass er eine fast fertige Nord-Stream-2-Pipeline bei seinem Amtsantritt möglicherweise trotz seiner Bekundungen nicht stoppen kann, deutet das Verb "beeinflussen" hin, das er an einer Stelle des Interviews anstatt von "blockieren" verwendet.

Wahlkampfcharakter

Ebenfalls Wahlkampfcharakter hat Webers Kritik an der polnischen Regierung, der er vorwirft, sie habe "ihre Beteiligung am Mitgestaltungsprozess der Europäischen Union aufgegeben". Die Prawo i Sprawiedliwość (PiS), die diese Regierung stellt, gehört nicht Webers EVP, sondern der von den britischen Tories angeführten konservativen EKR-Fraktion an. Ihr könnte sich auch die ungarische Regierungspartei Fidesz anschließen, wenn es dem Unionspolitiker nicht gelingen sollte, sie in der Vorstandssitzung am 20. März oder danach in der EVP zu halten (vgl. Artikel-Sieben-Verfahren gegen Ungarn: Wie geht es weiter?).

Wird Weber nur Selmayrs Ludwig XIII.?

Eine Recherche der französischen Tageszeitung Liberation wirft währenddessen die Frage auf, inwieweit Weber als EU-Kommissionschef tatsächlich das Sagen hätte, oder inwieweit er nur eine Fassade von Martin Selmayr wäre, wie Ludwig XIII. für Kardinal Richilieu. Selmayr soll angeblich schon den gesundheitlich auf die eine oder andere Weise angeschlagenen Jean-Claude Juncker (vgl. "Schwer krank oder sternhagelvoll?") mit dem Versprechen zur Kandidatur überredet haben, dass er sich um die Arbeit kümmern werde.

In jedem Fall wurde Selmayr unter Juncker durch eine faktische Sprungbeförderung Generalsekretär der EU-Kommission (vgl. Selmayrgate). Einen anderen Sprung machte später die damalige Kommissionsdirektorin Laura Pignataro, die ohne Vorwarnung und Abschiedsbrief von einem Dach fiel, nachdem sie rechtliche Bedenken gegen Selmayrs Sprungbeförderung angemeldet hatte. Ihr Nachfolger wurde der Libération zufolge ein deutscher Gewährsmann Selmayrs, der als erster Zugriff auf ihre Arbeitsdaten erhielt.

Nur 16 Prozent der Deutschen für Nord-Stream-2-Baustopp

Anders als Weber befürwortet eine Mehrheit der Deutschen den Bau von Nord Stream 2, wie eine YouGov-Umfrage aus dem Februar zeigt. Danach sind nur 16 Prozent der Auffassung des EVP-Spitzenkandidaten, während sich 56 Prozent explizit für einen Weiterbau aussprechen. Zu diesem Meinungsbild dürfte auch beitragen, dass Strom und Wärme nicht nur dann gebraucht werden, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint (vgl. Damit es in Deutschland nicht zum Blackout kommt).

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