Handelskrieger mit dem Rücken zur Wand

Cyberattacken, Handelskrieg und der Wunsch nach "technologische Souveränität". Was lernen wir aus dem Fall Huawei?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zieht Präsident Trump Deutschland hinein in den Handelsstreit mit China? Sind wir ein "Frontstaat im globalen Wirtschaftskrieg", wie die Wirtschaftswoche kürzlich schlagzeilte? Die Lage ist komplizierter.

Am 19. März begann die Versteigerung der 5G-Frequenz, der deutsche Staat erwartet von ihr Erlöse in Milliardenhöhe. Aber die Bieter in dieser Auktion - Telefónica, Telekom, Vodafone und 1&1 / Drillisch - wissen immer noch nicht, ob sie bei der Aufrüstung zu 5G mit dem chinesischen Unternehmen Huawei kooperieren dürfen oder nicht.

Das Bundeswirtschaftsministerium, das für den 5G-Ausbau zuständig ist, hat schärfere Sicherheitsbestimmungen angekündigt. "Die Unternehmen erhalten dank der Eckpunkte Klarheit für ihre weiteren Planungen" heißt es dort - aber klar ist ziemlich wenig.

"Kritische Kernkomponenten" dürfen die Provider in Zukunft nur von "vertrauenswürdigen Herstellern" kaufen - aber zählt Huawei als solcher? "Dies schließt auch eine Zusicherung der Vertrauenswürdigkeit seitens der Lieferanten/Hersteller ein", heißt es weiter. Huawei würde gegenüber der Telekom beispielsweise zusichern, keine Daten an Dritte weiterzugeben. Das mag dem Telekom-Management genügen, aber genügt es auch der Bundesnetzagentur (BNetzA)? Genügt es dem Bundesinnenministerium, das zuständig ist für die nationale Sicherheit?

Um die entsprechenden Gesetzestexte und konkreten Entscheidungsstrukturen wird nach wie vor gerungen. Die Vertrauenswürdigkeit wird nicht nur anhand des Stammsitzes eines Unternehmens entschieden, die neuen Regeln gelten für alle. Daher betreffen sie nicht nur chinesische Ausrüster. Im deutschen Mobilfunknetz sind die amerikanischen Hersteller Juniper und Cisco stark vertreten. Halten sie "die nationale Sicherheitsbestimmungen sowie die Bestimmungen zum Fernmeldegeheimnis und zum Datenschutz zweifelsfrei" ein? Die Mobilfunkanbieter unterbreiten gerade bei der Versteigerung Angebote, ohne zu wissen, welche Technik sie nutzen dürfen, und daher auch nicht, welche Kosten letztlich auf sie zukommen.

Im Fall Huawei prallen starke und unvereinbare Interessen aufeinander. Die Angst vor Spionage und Sabotage übers Internet - "Cyberwar" - liefert einer Konfliktpartei Argumente. In Wirklichkeit hat sich die tatsächliche "Bedrohung der inneren Sicherheit" aber kaum verschärft. Bei diesem Tauziehen zwischen Amerika, China und Deutschland geht es um eine Präzedenzfall: Welche Rolle wird China wird künftig spielen? So erklärt sich die enorme Härte, mit der für und gegen Huawei gestritten wird - und alle Kontrahenten haben viel zu verlieren.

Was wollen die Chinesen?

Kurz gesagt: Raus aus der sogenannten middle income trap. China will selbst Hightech entwickeln, statt die verlängerte Werkbank westlicher Konzerne zu sein. Möglich ist das nur durch Innovation und gesteigerte Produktivität. Der Technologiekonzern Huawei ist bisher der einzige Weltmarktführer, den das Land vorzuweisen hat. Mit der Industriestrategie "Made in China 2025" strebt China die Technologieführerschaft in weiteren Branchen an, unter anderem in der Robotik, der Künstlichen Intelligenz, bei Elektroantrieben, Biomedizin und Maschinenbau.

Mittlerweile ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und trägt ein Drittel zum Weltwirtschaftswachstum bei. Chinesische Produkte machen ein Fünftel des grenzüberschreitenden Handels aus. China zählt somit eindeutig zu den Gewinnern der Globalisierung. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg wachsen die geopolitischen Ambitionen. Die KP-Führung hat niemals verheimlicht, dass sie in einer multipolaren Weltordnung eine wichtige Rolle spielen will. Mit dem gigantischen internationalen Investitionsprogramm "Belt and Road Initiative" (BRI) fördert China Handelswege über Land und Meer bis hinein nach Europa und investiert beispielsweise in portugiesische und italienische Häfen. Mit den "16+1"-Verhandlungen hat es eine eigene zwischenstaatliche Koordination in Osteuropa und dem Balkan aufgebaut.

Aber obwohl westliche Medien das Land fast ausnahmslos als geschlossene und streng kontrollierte Gesellschaft darstellen, sitzt die chinesische Staatsführung auf einem Pulverfass. Die stürmische kapitalistische Entwicklung hat eine krasse Ungleichheit mit sich gebracht. Gegenwärtig wächst die Arbeitslosigkeit. Täglich gibt es Streiks, Unruhen und Proteste.

Hinzu kommt ein Wertewandel gerade in der Jugend. Viele fühlen sich abgestoßen von einer Propaganda, die zu sittsamem und moralischem Verhalten ermahnt, während Vertreter von Partei und Regierung sich die Taschen mit Bestechungsgeldern füllen. Die Nationalregierung hat wiederholt scharf gegen Korruption auf regionaler Ebene durchgegriffen, wenn auch mit begrenztem Erfolg. Sie weiß, dass der luxuriöse Lebensstil von Minderheiten an der Zustimmung zum System nagt. Das geplante Sozialkreditsystem, das erwünschtes Verhalten in allen möglichen Lebensbereichen belohnt oder abstraft, von der Politik bis zur Familie, ist auch eine Reaktion auf eine zunehmend gespaltene und instabile Gesellschaft.

Ideologisch stützt sich die chinesische KP auf das gewachsene nationale Prestige in der Welt und die Vermehrung des Wohlstands. Beides trifft unzweifelhaft zu. Aber wird die Bevölkerung die Herrschaft der KP noch akzeptieren, wenn sie stagnieren oder gar wegfallen? Gegenwärtig verlangsamt sich das chinesische Wachstum und die Weltkonjunktur insgesamt. Der Handelsstreit mit den USA kommt für die chinesische Regierung daher zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Lea Deuber, China-Korrespondentin der Wirtschaftswoche und anderer Zeitungen, analysiert:

Im Januar musste Präsident Xi bei einer Rede vor Parteifunktionären "große Gefahren" einräumen, die gar die "langfristige Herrschaft der KP" gefährden könnten. Dazu gehören die sich abkühlende Wirtschaft und die rasant steigenden Schulden. Peking investiert jedes Jahr Milliarden in die Infrastruktur, um die Konjunktur am Laufen zu halten.

Lea Deuber

Die KP-Regierung braucht Handelsfrieden und muss sich nachgiebig zeigen. Ein Ausschluss von Huawei wäre eine schmerzhafte symbolische und politische Niederlage. Zuletzt wurden bei den Verhandlungen angeblich Fortschritte erzielt. China soll angeboten haben, seine Währung nicht abzuwerten, landwirtschaftliche Erzeugnisse von den Amerikanern zu kaufen und im Übrigen die Welthandelsorganisation (WTO) aus dem Konflikt herauszuhalten. Möglicherweise einigen sich die beiden Seiten im April.

Was wollen die Amerikaner?

Kurz gesagt: Die Amerikaner wollen China zum Einlenken zwingen. Aber außenpolitische Thinktanks und Politiker debattieren seit langem, wie der Aufstieg des asiatischen Riesen langfristig gestoppt oder wenigstens gebremst werden kann. Decoupeling lautet ein Stichwort in dieser Debatte, womit die Entflechtung von chinesischen Herstellern gemeint ist. Manche fordern, alle Lieferketten der einheimischen Industrie zu überprüfen und sich unabhängig von chinesischen Herstellern zu machen. Ihnen gilt China als "strategischer Rivale" und 5G und Huaweis Beitrag dazu als Präzedenzfall.

Allerdings ist die Anti-China-Front weniger geschlossen, als es zunächst den Anschein hat. Auch innerhalb der Trump-Administration existieren zwei Linien: Eine will den chinesischen Einfluss zurückdrängen und ist bereit, dafür diplomatische und wirtschaftliche Folgekosten zu tragen. Eine andere benutzt Huawei als Verhandlungsmasse, um von den Chinesen Zugeständnisse zu erhalten.

Als der oberste Staatsanwalt der Vereinigten Staaten im Januar Huawei wegen Betrugs und Industriespionage anklagte und deshalb die Auslieferung der Huawei-Managerin Meng Wanzho beantragte, die zuvor in Kanada verhaftet worden war, erreichten die diplomatischen Beziehungen zwischen USA und China einen Tiefpunkt. Kurz darauf erklärte Präsident Trump, er werde "selbstverständlich" in das Gerichtsverfahren "intervenieren", sofern dies gut sei für den "größten trade deal, der jemals geschlossen wurde" - Wasser auf die chinesischen Propaganda-Mühlen und für die Justizbehörden äußerst peinlich.

Wenige Wochen später stießen Trumps Vizepräsident Mike Pence, sein Außenminister Mike Pompeo und diverse Diplomaten die Partner und NATO-Verbündeten in Sachen Huawei vor den Kopf, indem sie kaum verhüllte Drohungen äußerten. Donald Trump wiederum twitterte am 21. Februar: "Ich will, dass die Vereinigten Staaten im Wettbewerb gewinnen, nicht indem wir fortgeschrittenere Technologien blockieren."

280 Zeichen und so viele Rätsel - was meint er? Wie üblich machten sich Regierungsvertreter und Journalisten an die Auslegung der Kurznachricht. Klar ist, es geht um Huawei. Wenn man sich über chinesische Zölle und Handelsüberschüsse einigt, so deutet Trump wohl an, dann könnte sich der Konflikt um Huawei und die nationale Sicherheit in Wohlgefallen auflösen. Dieses Vorgehen könnte aus Trumps Buch "Die Kunst der Verhandlungsführung" stammen und wurde von ihm in einem ähnlichen Fall bereits eingesetzt (Globaler Wettlauf um die schlauesten Algorithmen). Der chinesische Mobilfunkausrüster und Smartphone-Hersteller ZTE wurde im März 2018 vom amerikanischen Markt ausgeschlossen. Der Präsident intervenierte, nachdem der Staatskonzern eine Strafzahlung von einer Milliarde Dollar (und eine Zusatzzahlung von 400 Millionen auf ein Treuhandkonto) geleistet hatte.

Der Handelsbeauftragte Robert Lighthizer und der Vorsitzende der Nationalen Handelskammer (National Trade Council) Peter Navarro halten China für das wesentliche Problem der amerikanischen Wirtschaft (Navarro veröffentlichte 2011 ein Buch mit dem bezeichnenden Titel "Death by China". Beide stehen Donald Trump nahe, dennoch agiert der Präsident unberechenbar. Nächstes Jahr finden Präsidentschaftswahlen statt. Donald Trump braucht für eine zweite Amtszeit Erfolge. Aber seine Aktionen lassen keine strategische Linie erkennen und werden deshalb in den USA heftig kritisiert.

Was wollen die Deutschen?

Kurz gesagt: Weitermachen wie bisher, aber es geht nicht. Ein Verzicht auf Huawei-Technik bedeutet einen langwierigen und teureren 5G-Ausbau. Von zusätzlichen zwei Jahren spricht etwa Vodafone-Chef Nick Read. Der neue Mobilfunk-Standard gilt als Voraussetzung für zentrale Digitalisierungsprojekte wie das "Autonome Fahren", vernetze Fabriken oder digitalisierte städtische Infrastrukturen, die sogenannten Smart Factories und Smart Cities. Sollten sie tatsächlich die Zukunft sein, dann entspricht der Ausschluss von Huawei einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Bei der angewandten Digitalisierung führt Deutschland nicht das Feld an, so würde es zusätzlich Zeit verlieren.

Außerdem fürchtet sich die deutsche Exportindustrie vor chinesischen Vergeltungsmaßnahmen. Ohne Zugang zum chinesischen Markt müssten eine Menge große und mittelständische Unternehmen dicht machen. Volkswagen verkauft bekanntlich jedes dritte Auto in China. Aber auch in der Wirtschaft sind die Interessen nicht eindeutig. Lange Zeit harmonierten die chinesischen und deutschen Interessen. Beiden Mächten nutzte die Globalisierung, beide setzten auf Wachstum durch Export. Nun wandelt sich der dankbare Abnehmer deutscher Produkte zu einem Konkurrenten deutscher Produzenten.

Die Schwerpunkte in Chinas Industriestrategie "Made in China 2025" (wie erwähnt unter anderem Robotik, Elektroantriebe, Biomedizin und Maschinenbau) sind Grundlage für die Stärke der deutsche (Export-)Industrie. "Eine Kampfansage" nannte daher Die ZEIT die chinesische Industriepolitik.

"Zwischen unserem Modell einer liberalen, offenen und sozialen Marktwirtschaft und Chinas staatlich geprägter Wirtschaft entsteht ein Systemwettbewerb", heißt es in einem Strategiepapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) vom Dezember. China schotte den eigenen Markt ab und fördere gleichzeitig strategische Auslandsinvestitionen mit staatlichen Geldern. Obwohl die Bundesregierung die Übernahme deutscher Konzerne Ende letzten Jahres bereits erschwert hat, fordert der BDI weitere Maßnahmen für die "Subventionskontrolle". Andere Unternehmensverbände wie etwa die Industrie- und Handelskammern lehnen diese konfrontative Haltung dagegen vehement ab.

Das BDI-Papier ist ein hilfreicher Fingerzeig, um herauszufinden, was die Bundesregierung wahrscheinlich als nächstes tun wird. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat eine "Nationale Industriestrategie 2030" angekündigt, um Deutschland gegen "Made in China 2025" zu "wappnen". Die Maßnahmen sollen die leistungsfähigen Kerne der deutschen Industrie schützen und gleichzeitig "Zukunftstechnologien" und europäische "Weltmarktchampions" fördern. Zu diesem Zweck wollen die Deutschen erreichen, dass die Fusionskontrolle in Europa gelockert wird. Der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung soll auf 25 Prozent steigen.

Solche industriepolitischen Ideen entsetzen den Mainstream der deutschen Ökonomen, die Markteingriffe als Teufelszeug ablehnen. Aber auch hierzulande bereitet der chinesische Aufstieg Unternehmen und Staat Kopfzerbrechen. "Deutschland schickt sich an, in den globalen Wirtschaftskrieg um Hightech einzutreten", bilanziert der China-Experte Stefan Schmalz.

Wenn deutsche Politiker sich für den Freihandel stark machen, sitzen sie im Glashaus. Letztes Jahr verhinderte das Bundeswirtschaftsministerium drei Übernahmen chinesischer Investoren: Leifeld Metal Spinning (Flugzeugindustrie), Aixtron (Maschinen für die Halbleiterindustrie) und 50Hertz (Stromnetze) - mit dem Argument, der Verkauf bedrohe die nationale Sicherheit. Auch die Fusion von Deutscher und Commerzbank wurde vom Bundesfinanzminister Olaf Scholz angeschoben, um wenigstens ein großes deutsches Institut auf dem Finanzmarkt vorweisen zu können.

Auch geopolitisch sieht sich Deutschland herausgefordert. Innerhalb der Europäischen Union versucht die Bundesregierung, den chinesischen Einfluss zurückzudrängen und will eine einheitliche Linie bei chinesischen Investitionen - gegen den Widerstand von Ländern wie Italien, Portugal, Ungarn und Tschechien, die sich von der chinesischen "Belt and Road Initiative" einiges versprechen.

Auf Druck der deutschen Regierung scheint nun auch die EU-Kommission auf eine harte Haltung gegenüber China umzuschwenken. Anfang März veröffentlichte die Kommission eine "Gemeinsame Mitteilung" zu den europäisch-chinesischen Beziehungen. Wie im Fall von Huawei sollen die Mitgliedsländer eine gemeinsame Linie finden. Davon allerdings ist Europa weit entfernt. Die italienische Regierung beispielsweise will mit China im Rahmen von BRI kooperieren, um von chinesischen Investitionen in die italienische Infrastruktur zu profitieren. Angedacht sind Investitionen in den Hafen von Triest und das Stromnetz. Auch osteuropäische Staaten versprechen sich nichts von einem gemeinsamen Auftreten gegen China.

Daher ist völlig offen, ob sich EU-Kommission durchsetzen wird. Intern werde deshalb über eine "Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips nachgedacht", berichtet die Süddeutsche. Auch das läge auf der Linie des Strategiepapiers aus dem BDI. Dort heißt es:

Unterschiedliche Interessen gegenüber China (z. B. kurz- und langfristige Interessen, Einzel- und Gruppeninteressen, unterschiedliche Interessen der EU-Länder) werden nach Möglichkeit ausbalanciert oder, wenn nicht möglich, einer Prioritätensetzung unterworfen.

BDI

Deutschland wird also nicht etwa von den wild gewordenen Amerikanern in den Handelsstreit hineingezogen, sondern verfolgt durchaus eigene Interessen. Um wirksam agieren zu können, bräuchte es allerdings Europa und eine gemeinsame europäische Linie gegenüber beiden Großmächten - und dieses Projekt einer europäischen Weltmacht hat Deutschland mit seiner eigenen Europapolitik hintertrieben.