Krise der Gewerkschaften in Griechenland

Faustschläge, üble Arrangements und Gewerkschaftsbosse in dicken Limousinen

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In Griechenlands größter Gewerkschaft GSEE rumort es. Bei einem Treffen des Verwaltungsrats fallen am Mittwoch sogar Faustschläge. Was ist faul in der Angestelltengewerkschaft, die 2019 in ihr zweites Jahrhundert geht? Die GSEE ist eine Dachgewerkschaft, in der die übrigen Gewerkschaften der Privatwirtschaft vertreten sind.

Gewerkschaftsspitze in einem Fünf-Sterne Hotel verschanzt

Es ist offensichtlich, dass sich die Spitze der GSEE nach anfänglichem Widerstand gegen die Sparmaßnahmen immer mehr mit den Auflagen der Memoranden der internationalen Kreditgeber arrangiert hat. Auf der Straße mobilisiert sie kaum noch Massen für ihre bei Generalstreiks ausgerufenen Protestdemonstrationen.

Der Gewerkschaftskongress in Kalamata am vergangenen Wochenende scheiterte. Die Gewerkschaftsspitze hatte sich in einem Fünf-Sterne Hotel verschanzt und erschien nicht in der Kongresshalle. Sie warf der kommunistischen Gewerkschaft PAME Rowdytum vor.

Die PAME ihrerseits wirft der Gewerkschaftsspitze um Giannis Panagopoulos unter anderen Wahlbetrug vor. Das Hotel wurde mit Geldern der Gewerkschaft bezahlt. Nach sechzehn Stunden Aufenthalt verließen die Gewerkschaftsbosse mit ihren Limousinen den Ort. Sie wollten das Hotel vorher nicht verlassen, weil vor den Toren von der PAME organisierte Demonstranten auf sie warteten.

Tatsächlich wurden zum Gewerkschaftskongress in Kalamata von der GSEE Delegierte eingeladen, deren Firmen, bei denen sie angeblich beschäftigt sind, seit Jahrzehnten nicht mehr existieren. Unter den Delegierten befanden sich als "gewählte Arbeitnehmervertreter" auch Arbeitgeber. Zudem waren die Vertreter der Seeleute nicht gewählt. Vielmehr nutzt die GSEE statt des für gewerkschaftliche Wahlen geltende Gesetz 1265 das berüchtigte Gesetz 330 der Militärjunta von 1967-74.

Demnach werden die Seeleute nicht bei der GSEE nicht von gewählten Vertretern repräsentiert, sondern von den Büroleitern der Reedereibüros. Der Vorsitzende der PNO, der Panhellenischen Vereinigung der Seefahrer, ist fünfundachtzig Jahre alt. Den heutigen Berufsalltag kennt er nur vom Hörensagen.

Die GSEE Führung hat sich selbst institutionalisiert. Sie wollte sich beim Kongress in Kalamata mit ausgewählten Delegierten schlicht erneut bestätigen lassen. PAME-Mitglieder waren von Arbeitnehmern als Delegierte gewählt worden. Sie haben seit Monaten die Vorgänge innerhalb der GSEE angeprangert.

PAME: Kein zimperliches Auftreten

Dabei füllt die PAME, die ihren Gewerkschaftsnamen auf Englisch mit All-Workers Militant Front angibt, ihre Selbstbezeichnung durchaus aus. Die PAME-Repräsentanten treten bei GSEE-Treffen nicht zimperlich auf. Sie entwaffnen verblüffte, als Arbeitnehmervertreter getarnte Personenschützer der Gewerkschaftsbosse und schmeißen diese regelmäßig aus dem Versammlungsaal hinaus. Hin und wieder halten sie selbst das Vorgehen auf Video fest.

Die Regierung unterstützt ihrerseits, aus durchaus nachvollziehbaren Gründen, die aktuelle GSEE-Führung. Über den Staatssender ERT, der unter Premierminister Tsipras mehr als unter seinen Vorgängern zu einem Propagandasender geworden ist, wird überwiegend die Sichtweise von Gewerkschaftsboss Panagopoulos präsentiert.

Die PAME ihrerseits wirft Panagopoulos Mafia-Gebaren vor. Sie protokollierte, dass mancherorts in Geisterfirmen Delegierte für Kalamata gewählt wurden, die fast mehr Wahlstimmen erhielten, als die Orte Einwohner hatten. Die GSEE-Spitze kontert mit der Androhung von Strafanzeigen. Sie fühlt sich bedroht und wirft der PAME undemokratische Gewaltmethoden vor. Die PAME steht nicht allein in ihrem Kreuzzug gegen die GSEE-Führung. Zahlreiche zur GSEE gehörende Gewerkschaften unterzeichnen ähnlich Aufrufe, wie die der kommunistischen Partei KKE nahe stehende PAME.

Die Krisen haben Tradition

Die aktuelle Krise ist für die GSEE eigentlich nichts Neues. Der Vorwurf, dass die jeweilige GSEE-Führung statt die Arbeitnehmerinteressen zu wahren, sich lieber mit der Regierung arrangiert, ist so alt wie die Gewerkschaft selbst.

Als sie 1918 zeitgleich mit der KKE gegründet wurde, beschloss der erste Kongress mit 158 zu 21 Stimmen den marxistischen Klassenkampf. Dagegen standen die Befürworter der Regierung von Eleftherios Venizelos und die Anarchisten, welche die Gewerkschaftsarbeit fern von parteipolitischen Interessen halten wollten.

Die erste Gewerkschaftsführung bestand aus sechs Kandidaten, die Venizelos zugeneigt waren und fünf Sozialisten. Letztere wurden vom Staatapparat verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Die Venizelos-Vertreter ließen die Inhaftierten absetzen.

Der nationale Kongress der GSEE setzte daraufhin die Venizelos-Vertreter ab, und berief die fünf zwischenzeitlich frei gekommenen erneut ins Präsidium. Es folgte eine weitere Verhaftung und danach die Verbannung der Fünf. Ein Generalstreik erpresste danach deren Freiheit.

Beim dritten GSEE-Kongress, der unter der Diktatur von Theodoros Pangalos stattfand, war die KKE verboten. Trotzdem hatten ihre Vertreter beim Kongress die absolute Mehrheit, sie stellten 278 Delegierte, die Gegenseite nur 179.

Pangalos ließ 110 der KKE-Sympathisanten verhaften und sperrte sie in ein Schiff, das so lange übers Meer schipperte, bis die 179 Regierungsfreundlichen ihre Wahl mit 179 zu 168 gewonnen hatten. Beim vierten Kongress, 1928, wurden vor den Wahlen 213 der insgesamt 230 kommunistischen oder sozialistischen Vertreter samt knapp den sie entsendenden 75.000 Arbeiter und Angestellten vor den Wahlgängen aus der Gewerkschaft geworfen. Die 136 konservativen und sozialdemokratischen Vertreter gewannen auf diese Weise erneut die Gewerkschaftsführung.

1929 gründeten die Ausgeschlossenen ihre eigene GSEE, die Vereinigte GSEE, welche den Großteil der gewerkschaftlich organisierten und aktiven Arbeiter und Angestellten sammeln konnte. Zwischenzeitlich regierte erneut Eleftherios Venizelos. Dieser erklärte per Gesetz sämtliches marxistisches Gedankengut als illegal und verbot damit kurzerhand auch die neue Gewerkschaft.

Unter dem ab 1936 herrschenden Diktator Ioannis Metaxas wurden dann Gewerkschaften und demokratische Gesinnung verboten. Es folgte der zweite Weltkrieg samt Besetzung des Landes durch Nazi-Truppen.

Nach der Befreiung von den Nazis wurde Griechenland fast umgehend zum Schauplatz eines Stellvertreterkriegs des "Kalten Krieges". Der griechische Bürgerkrieg brachte es mit sich, dass gewählte GSEE-Verwaltungsratsmitglieder verhaftet wurden, wenn sie des Marxismus verdächtig waren. Einer von ihnen, der 1946 gewählte Gewerkschaftssekretär Mitsos Paparigas, starb bei der Folter im berüchtigten Zentrum der Staatsschutzpolizei in der Bouboulinas-Straße in Athen. 1948 fand der neunte Kongress der GSEE unter der Aufsicht der Botschafter der USA und Vereinigten Königreichs statt.

Die Eingriffe der Regierung in die Gewerkschaftsarbeit bestimmten auch die erste Hälfte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Zentrumsregierung von Georgios Papandreou ließ von 1964-65 die ihr nicht genehmen Gewerkschaftsvertreter gerichtlich aus dem Amt entfernen.

Eine Praxis, die Georgios Papandreous Sohn, Andreas Papandreou, als Premierminister der PASOK 1985 wiederholte. Beim 23. und beim 24. Kongress der GSEE, 1986 und 1988, gab es gar nur Vertreter der PASOK nahen PASKE. Die übrigen Vertreter zogen aus Protest ab.

Eine angekündigte Konfrontation

Es gibt in der Geschichte der GSEE zahlreiche weitere Beispiele. Die aktuelle Krise ist nur ein weiteres, eher unrühmliches Blatt in den Chroniken von Griechenlands größter Angestelltengewerkschaft. Die Eskalation war zu erwarten.

Die PAME hatte bei ihrem vierten Panhellenischen Kongress im November 2016 insgesamt 12 Verbände, 15 Arbeiterzentren, 457 Gewerkschaften und 52 Arbeitskampf-Komitees gesammelt, die alle zusammen beschlossen hatten, keinen weiteren "faulen Kongress mit verfälschten Wahlstimmen und falschen Arbeitnehmervertretern" sowie "Handlangern des Kapitals" zuzulassen. Dieses Vorhaben möchte die PAME nun in der Praxis durchsetzen. Es bleibt abzuwarten, ob es ihr gelingt.