Sinnlos krabbeln die Nazi-Käfer

Wintermärchen. Bild: © W-film / Heimatfilm

In Dumpfgewittern: Der NSU-Film "Wintermärchen" von Jan Bonny ist glänzend gemacht, hält sich aber am Ende raus

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Warum schreiben die nichts über uns?
Becky/ Beate Zschäpe nach dem ersten Mord in "Wintermärchen"

Von "unmotiviert langen und ständig wiederkehrenden ekligen Sexszenen", von Suff und Rassismus schreibt die NZZ. "Unbedingt hässlich". Und weil das offenbar nicht reicht: Von "grenzenlos hässlich" schreibt Spiegel Online und behauptet: "Ficken und Migranten hinrichten verschmilzt hier zu einer widerwärtigen Triebabfuhr."

"Sie saufen, sie fallen in trostlosem Sex übereinander her, und sie brüllen Vernichtungsparolen gegen 'Kanaken', das ist der Alltag in der Dreier-WG von Becky (Ricarda Seifried), Tommi (Thomas Schubert) und Maik (Jean-Luc Bubert). Manchmal brechen die drei jungen Leute zum Morden auf und schießen wie im Blutrausch mit ihren Pistolen auf arabisch- oder türkischstämmige Händler und Kassiererinnen, die sie in abgelegenen Läden überfallen." (Spiegel 16.03.2019)

"Nach den Morden wird gegrölt, gesoffen, gefickt." (FAS, 17.03.2019). "Weil (...) das Töten sich aus einer monotonen Abfolge aus Besäufnissen, Keifereien und animalischem Sex entwickelt, wirkt das Schreckliche hier so banal." (Berliner Zeitung, 21.03.2019). "Wenn nicht gemordet wird, wird gevögelt, wenn nicht gevögelt wird, wird gesoffen und gestritten." (SZ 21.03.2019)

Sogar in der Überschriften: "Sex haben, saufen, morden" (SZ 21.03.2019). Als ob das eine mit dem anderen zu tun hätte. Hier liegt der erste von vielen Kurzschlüssen, denen viele, die über diesen Film schreiben, unterliegen. "Es gibt keine Filter, keine Möglichkeit zur Distanzierung", schreibt Andreas Busche im Berliner "Tagesspiegel". Wieso eigentlich nicht?

Und dann auch bei diesem Autor, fast wortwörtlich der Dreisatz: "Ficken, töten, saufen - eins führt zum anderen." Als hätten sie voneinander abgeschrieben.

Wintermärchen (8 Bilder)

Bild: © W-film / Heimatfilm

"Wintermärchen" vom Kölner Regisseur Jan Bonny erzählt von einem teuflischen Terror-Trio: Eine Frau, zwei Männer, viel Hass auf alles Fremde, das sich in einer Mordserie entlädt. Natürlich denkt man da an den NSU - aber dies will, theoretisch zumindest, kein "NSU-Film" sein.

Darum verzichtet er auf Erklärungen und direkte Verweise. Aber das ist ein Manierismus des Films und des Geredes der Macher, das ihn umrankt. Denn er zehrt doch von unserem Wissen um die tatsächlichen Morde der Neonazis. Ohne sie ist er gar nicht denkbar.

Er ist damit also Teil jener ganz eigenständigen medialen Erzählung, die die NSU-Ermittlungen und vor allem der Münchner Prozess neben der rechtsstaatlichen Bankrotterklärung, die "eher die öffentliche Desinformation förderte, statt der Aufklärung zu dienen" (Tagesspiegel), auch produziert haben. Der Film versucht sich demgegenüber an einer eher unentschiedenen Position und daher auch einer prekären Gratwanderung.

Es wird gemordet, immer wieder. Brutal, kurz und schmerzhaft, auch für die Zuschauer

Schießübungen im Wald. Sie stehen am Anfang des Films. Bald werden die Ziele weich und echt und aus der Übung der Ernst des Lebens und des Sterbens.

Zwei sehr junge Männer und eine junge Frau, unreife Wesen, in Bomberjacken und Springerstiefeln, die ziemlich viel dummes Zeug reden. Wenn überhaupt. Denn eigentlich sprechen sie lieber mit Waffen. Der Kölner Regisseur Jan Bonny folgt in "Wintermärchen", seinem zweiten Kino-Spielfilm neben vielen Fernseharbeiten, unter anderem für den ARD-"Polizeiruf", der blutigen Spur des rechtsextremen NSU-Terrors - in einer Spielfilmform, die nahe an den bekannten Teil der Fakten angelehnt ist, für die "Einfühlung" oder "Nachempfindung" aber das falsche Wort wäre.

Es wird gemordet, immer wieder. Brutal, kurz und schmerzhaft, auch für die Zuschauer, die diesen nüchternen Bildern ausgesetzt sind. Dazwischen wird gegessen, geschlafen, gedöst, man hat Sex, auch zu dritt, übt Schießen - und es gibt immer wieder lange, sehr lange Autofahrten.

Das hat dann mitunter sogar einen schrecklichen tiefschwarzen Humor. So wenn die angehenden Mörder nach potentiellen Opfern spähen, aber keinen passenden Kandidaten finden können: "Was ist mit dem? Mit dem? Der da", zischt das Mädchen. "Nee", zögert der Junge auf dem Beifahrersitz. "Der da vorn" - "Geht nicht, der hat mein Gesicht erkannt." - "Ist doch egal, wen ich vorschlage. Du hast einfach nur Schiss. Was ist mit dem?" - "Das ist ein Deutscher!" - "Das ist doch kein..." "Fahr weiter!" - "Wo ist denn der deutsch, Mann?"

Die kleinen Frustrationen entsprechen den großen. Es geht auch um Geschlechtermachtverhältnisse. Sie sitzt am Steuer, sie lacht ihn aus. Ist er Mann genug? Sie erzählen sich Fantasien. Hervorzuheben sind die Schauspieler: Allen voran Ricarda Seifried als Becky, die Frau zwischen den zwei Männern. Tommi gespielt von Thomas Schubert und Jean-Luc Bubert als Maik, der Dritte im Bunde.

So muss man sich die NSU-Taten vielleicht vorstellen

"Wintermärchen" bietet eine beklemmende Innenansicht des Terrors, eine Innenansicht, die allerdings auf wenig Fragen eine Antwort gibt und wohl auch nicht geben will. Allenfalls wird das Bedürfnis befriedigt, zu wissen "Was geht in diesen Köpfen vor?" - Nichts, behauptet der Film, außer Hass.

Noch nicht mal irgendeine krude oder menschenverachtende Ideologie spielt in den Gesprächen eine große Rolle. Ob das jetzt stimmt, ist hier nicht die Frage, sondern welche Funktion diese Haltung hat, für das Publikum und für den Filmemacher.

So muss man sich die NSU-Taten vielleicht vorstellen. So kann man sie sich aber auch bequem vom Leib halten. Denn die richtig unbequemen, weiterführenden Fragen stellt "Wintermärchen" nicht. Etwa die Frage, ob es Mitwisser gab? Und welche Rolle eigentlich die "verdeckten Ermitter" des Verfassungsschutzes spielten? Oder auch die, wo es eigentlich Nähen zwischen dem NSU und den Positionen bestimmter politischer Parteien gibt?

Hier verzichtet Bonny immer wieder auf genau das, was der Spielfilm bei historischen Stoffen dem Dokumentarfilm im Prinzip voraus haben könnte: Auf die Möglichkeit zur Spekulation und zum Formulieren von Tatsachen, die eigentlich jeder im Prinzip weiß, die man aber nicht letztgültig beweisen kann.

Im Fall der linksradikalen "Baader-Meinhof-Gruppe" wurde noch diskutiert, inwiefern hier die Kinder der Nazis oder des Bildungsbürgertums zu Tätern wurden, wo der Pietismus oder Heidegger und Marx mit schuld waren - dieser Film zeigt die rechtsextremen Mörder als Fremde, als Außenseiter und monströse Schreckgespenster des Bürgerlichen.

Der Konsequenz aus dieser Differenz weicht der Regisseur Jan Bonny aus. Er erweist sich damit als typisches Kind unserer Zeit, seines Zeitgeists und seiner Lehren: "Gewalt darf nicht sein, Gewalt ist immer schlecht, Gewalt bringt nix."

Auf die Frage von "Spiegel Online"-Autor Sven von Reden: "Würden Sie linke und rechte Gewalt unterscheiden?" antwortet Bonny: "Natürlich, aber in der Frage steckt auch die Idee, dass es eine bessere und schlechtere Gewalt geben kann. Die gibt es nicht."

Frage: "Kann man nicht zwischen Gewalt mit emanzipatorischen und mit rassistischen Zielen unterscheiden?"

Jan Bonny weicht der Frage aus: "Ich glaube, dass in 'Wintermärchen' und in vielen vergleichbaren realen Fällen Narzissmus und Ich-Bezogenheit die zentralen Motive sind: sich selbst Geltung zu verschaffen durch Gewalt, sich sichtbar zu machen - um jeden Preis. Das ist total narzisstisch. Und das verbindet linke, rechte und religiös motivierte Gewalt. Oft wird viel Aufwand getrieben, dem Ganzen höheren Sinn angedeihen zu lassen, aber der Kern ist häufig banal."