Mali gerät zunehmend außer Kontrolle

Minusma-Einsatz der UN in Mali. Foto: Niederländisches Verteidigungsministerium/CC0

Ein Massaker in einem Dorf fordert 134 Tote. Mitglieder des UN-Sicherheitsrats tagen zur selben Zeit in der Hauptstadt. Das Bundeswehr-Mandat in Mali steht im Mai zur Abstimmung

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Ein Massaker am vergangenen Samstag in einem Dorf in Mali an der Grenze zur Burkina Faso fordert 134 Tote, wie gestern bekannt wurde. Die Opfer, darunter Schwangere und Kinder, wurden auf brutale Weise niedergemetzelt.

Beschuldigt werden Mitglieder einer "traditionellen Jägermiliz der Dogon-Volksgruppe": "Sie zündeten mindestens 400 Hütten an und schlachteten ab, wen sie fanden, auch Alte und Kinder. Manche Leichen wurden in Brunnen geworfen, manche Menschen wurden lebendig verbrannt." (Taz)

Die Opfer der Miliz gehören einer anderen Ethnie an, den Peul (auch: Fula, Fulla, Fullah oder Fulani), den vonseiten der Dogon vorgeworfen wird, dass sie mit Islamisten gemeinsame Sache machen.

In Zentralmali eskaliert seit Jahren die ethnische Gewalt. Radikale Islamisten der in Mali und Burkina Faso kämpfenden "Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime" (GSIM) haben Jugendliche der Peul-Volksgruppe rekrutiert. Dies treibt andere Volksgruppen dazu, Peul kollektiv als Terroristen und Feinde anzusehen. Das traditionelle friedliche Zusammenleben von Peul-Viehzüchtern und Bauern aus anderen Volksgruppen ist damit zerstört. Eine ähnliche Gewaltdynamik erleben die Peul in Nigeria, wo sie Fulani genannt werden und wo solche Konflikte Tausende Tote gefordert haben.

Taz

Die Hintergründe des Konflikts sind kompliziert, es spielt die Armut des Landes mithinein, ethnische Spannungen, die akzentuiert und aufgeladen werden und vor allem Konkurrenzkämpfe um Ressourcen in einem Gebiet, das von Trockenheit, aber auch Überflutungen gekennzeichnet wird und von langen mühsamen Versorgungswegen: "Große Teile von Nord- und Zentralmali sind vernachlässigt. In Zonen nördlich von Timbuktu, östlich von Gao und im zentralen Niger-Delta braucht man Stunden, um kleine Entfernungen auf sandigen Wüstenstraßen und verschlammte Weg in überflutetem Gelände zurückzulegen."

Die Armee brauchte am Samstag auch Stunden, bis sie in dem Dorf ankam. Die ersten Informationen gab es um 6 Uhr morgens, Soldaten kamen dann zwischen 8 Uhr 30 und 9 Uhr, so Le Monde.

Milizenproblem ähnlich wie in Libyen

Sicherheit ist auf dem weitläufigem Terrain Malis ein Problem. Die Zentralregierung wie auch die Armee - "Forces armées et de sécurité du Mali" (FAMA) - haben wenig Kontrolle. Die Korruption spielt eine große Rolle und ähnlich wie im benachbarten Libyen die Milizen und Gruppierungen. Manche dieser "Selbstverteidigungstruppen" agieren wie Subunternehmen des Militärs, kommentieren Beobachter.

Die Armee Malis wird als unfähig kritisiert, Konflikte unter Kontrolle zu halten. Kürzlich gab es nach dem Anschlag einer Miliz auf die Armee Proteste der Angehörigen, weil die Armee nicht einmal ihre eigenen Mitglieder schützen kann. Die Schwäche der Armee spiegelt sich in der Schwäche der Regierung.

Diese zeigt sich beim aktuellen Fall exemplarisch darin, dass die Regierung ankündigt, die paramilitärische Organisation der Dogon "Da Na Ambassagou", die mit dem mörderischen Angriff verbunden wird, aufzulösen, dies aber in der Realität vermutlich ebenso wenig umsetzen kann wie eine Entwaffnung der Miliz. Entsprechend selbstbewusst fiel deren Antwort aus. Man habe ihr nichts zu sagen, so der Sprecher der Miliz.

Die Bewegung wird ihre Aktionen fortsetzen und betrachtet die Auflösung als "Nicht-Ereignis".

Antwort der Da Na Amassagou

Um Entschlossenheit und Stärke zu zeigen, verkündete der Premierminister nach einem Krisen-Treffen des Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita mit dem Ministerrat, auch die Entlassung der wichtigsten Chefs des Militärs. Entlassen wurde der Vorsitzende des Generalstabs der Streitkräfte, der Chef der terrestrischen Armee wie auch der Luftwaffe.

Die Internationalisierung des Konflikts

Die schlechte Verfassung der Armeen ist ein großes Problem in einer Region, die in der hiesigen Berichterstattung vor allem über das Wirken von Dschihadisten und Terrorgruppen, etwa al-Qaida im Maghreb (AQIM) (Al-Qaida bekennt sich zu Hotelgeiselnahme in Burkina Faso), über Drogen- und Menschenschmuggel, als "Drehscheibe der Migration" und als Ort schwieriger vom Klimawandel bedrohter Lebensbedingungen und großer Armut bekannt ist.

Mali liegt in der Sahelzone in der Nachbarschaft zu Libyen. Die dortigen Auseinandersetzungen spielten ebenfalls in das Land hinein. Die große Anzahl von Kleinwaffen, die durch den Krieg in Libyen 2011 verstärkt im Umlauf waren, wird als einer der Gründe dafür erwähnt, dass die Auseinandersetzungen um Gebiets- und Herrschaftsansprüche (etwa von den Tuareg) in Mali im Jahr 2012 zu einem regelrechten Bürgerkrieg eskalierten.

In dessen Folge griff die französische Armee im Januar 2013 ein ("Opération Serval"). Die Hauptstadt Bamako drohte in die Hände von Dschihadisten zu fallen (siehe: Doppelte Mission in Mal). Bernard Schmid zog im Herbst 2017 dieser Stelle den Vergleich mit Afghanistan. In seinem Hintergrundbericht ist von der Internationalisierung des Konflikts die Rede (Mali: Dschihadisten sollen isoliert werden).

Im August 2017 hatte die Regierung in Mali aufgrund mehrerer Attacken auf UN-Stationen im Land den Sicherheitsrat zu Hilfe gerufen. Es ging um die Möglichkeit der Aufstellung einer neuen internationalen Truppe für Mali und insgesamt für die Sahelzone. Fünf Länder (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad) sollten eine gemeinsame Armee bilden, um effektiver gegen die Dschihadisten vorzugehen. Man brauchte internationale Unterstützung und einige Millionen.

Auch die Bundesregierung beteiligt sich an der Unterstützung. Die Bundeswehr ist darüber hinaus mit einem größeren Kontingent, möglich ist der Einsatz von bis zu 1100 deutschen Soldaten, an der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA beteiligt. Sie ist hauptsächlich in Gao im Camp Castor stationiert und soll "aufklären und Präsenz zeigen".

Kritik an einer verfehlten westlichen Politik

Am Konzept der Minusma und anderer internationaler Missionen, auch von der EU, in der Region gibt es einige Kritik (größerer Überblick: hier). Doch wird Kritik an einer verfehlten westlichen Politik in Mali augenscheinlich von der Öffentlichkeit, so gut es geht, ferngehalten, wie die aktuelle Nachricht vom Stopp der Publikation Afrique Contemporaine anscheinend wegen einer allzu kritischen Auseinandersetzung. Offenbar hatte die Publikation wunde Punkte angesprochen.

Die Unzulänglichkeiten und Schwächen der Internationalen Gemeinschaft bei der Stabilisierung Malis und der Sahelzone wurden durch das Massaker deutlich vor Augen geführt, denn am selben Tag trafen sich alle UN-Botschafter der Länder, die im-Sicherheitsrat vertreten sind, in Mali. Ob es von der Miliz beabsichtigt war, ihre mörderische Handlungsmacht gegenüber der Präsenz des UN-Gremiums zu demonstrieren, ob das Massaker derart geplant war, ist allerdings nicht klar.

Unübersehbar ist, dass die Zentralregierung in Bamako, die Armee Malis und die Präsenz von Minusma nicht verhindern konnten, dass die UN-Sicherheitsratsmitglieder einen blutigen Anschauungsunterricht darüber bekamen, wie groß die unkontrollierten Zonen im Land und in der Region sind und wie nah man bei den dortigen Konfliktkonstellationen am Krieg ist.

"Ihre Nachtwache lässt auch dich ruhig schlafen", signalisiert eine Werbung der Bundeswehr zum Einsatz in Mali, über dessen Verlängerung im Mai abgestimmt wird.