Impfgegner sind wie betrunkene Autofahrer

Masern-Impfset. Bild: Dctrzl/CC BY-SA-4.0

Die Diskussion über die Einführung einer Impfpflicht ist in Deutschland wie in den USA ausgebrochen, Wissenschaftler schlagen für Impfgegner ein Opt-Out-Modell für die Gesellschaft vor

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den USA gibt es wie in Deutschland keine Impfpflicht für Masern. 2000 wurden die USA für masernfrei erklärt, aber sie ansteckende Krankheit verbreitet sich auch dort wieder wie gerade in Deutschland die Masern bei Kindern. In 15 US-Bundesstaaten wurden dieses Jahr Masern festgestellt. Zurückgeführt wird das von den CDC vor allem auf Reisende, die von Israel und der Ukraine in die USA gekommen sind. Rockland County, New York, hat bereits nach 151 bestätigten Masernerkrankungen den Notstand ausgerufen. 30 Tage lang dürfen Unter-18-Jährige, die nicht geimpft sind, keine öffentlichen Räume betreten.

Nicht geimpfte Kinder und Erwachsene fördern auf jeden Fall die Verbreitung, im Hintergrund stehen die Impfgegner (anti-vaxxer), deren Zahl zunimmt. Man geht zwar davon aus, dass es dann, wenn etwa 95 Prozent der Schüler geimpft sind, ein "Herdenimmunität" gibt, die eine Epidemie unmöglich macht. Aber es gibt an vielen Schulen in den USA auch schon 10 Prozent und mehr nicht geimpfte Schüler, wodurch das Risiko hoch ist.

Scott Gottlieb, der Chef der Food and Drug Administration (FDA), hatte kürzlich davor gewarnt, dass in den USA wegen der Impfgegner bald eine Wendepunkt erreicht werden könnte. Es würde sich um keine langsame Entwicklung bei der Wiederkunft einst verschwundener Krankheiten handeln, sondern Epidemien könnten ganz plötzlich auftreten - und vielleicht Schlimmeres.

Die WHO hatte Anfang des Jahres einen Bericht über die 10 größten Bedrohungen der Gesundheit für 2019 veröffentlicht. Neben der Warnung vor Luftverschmutzung, einer neuen Grippeepidemie oder dem Unwirksamwerden der Antibiotika wird auch das wachsende Problem der Impfverweigerer genannt. Impfen sei eines der kostengünstigsten Mittel zur Verhinderung von Krankheiten. 2-3 Millionen Todesfälle pro Jahr könnten damit verhindert werden, weitere 1,5 Millionen, wenn Impfprogramme erweitert würden. Weltweit sei nicht nur, aber vor allem durch Impfverweigerung die Zahl der Masernerkrankungen um 30 Prozent angestiegen, in manchen Ländern, in denen die Masern bereits ausgerottet waren, seien sie wiedergekehrt.

Drastisch haben der Mikrobiologe Alex Berezow und der Astrophysiker Ethan Siegel kürzlich im Scientific American die Impfgegner verurteilt und sie moralisch mit betrunkenen Autofahrern verglichen. Die Argumentation ist hart, aber eigentlich nach dem Kantschen Imperativ schlüssig:

Die Masernerkrankungen in den USA und Europa beweisen endgültig, dass unsere persönlichen Entscheidungen jeden um uns betreffen. Auch wenn jeder ein Recht auf den eigenen Körper hat, endet die Entscheidung, absichtlich krank zu werden, dort, wo das Recht eines anderen auf Gesundheit beginnt. Aus diesem Grund sollten Menschen, die keine Impfungen machen (opt out), aus der amerikanischen Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft

Auch wenn Amerika das Land der Freien ist, heiße das nicht, dass jeder machen kann, was er will. Da wird wahrscheinlich gleich wieder das Geschrei angehen, dass die individuellen Freiheiten durch einen Nanny-Staat eingeschränkt werden, was aber dann ähnlich wie bei der freien Fahrt ohne Tempolimit, großen Fleischverzehr, mit SUVs herumzufahren oder viele Flugreisen zu machen der Allgemeinheit und künftigen Generationen Schaden zufügt. Viele der angeblichen Freiheitsfreunde haben nichts gegen Verbote einzuwenden, wenn sie die Sicherheit oder das Eigentum betreffen.

Unendlich viel wird von Staaten geregelt, zum Schutz der Gesellschaft, aber zu dem der Einzelnen. Das ist oft widersprüchlich, wenn etwa Drogen verboten sind, aber Alkohol erlaubt ist und Trunkenheit auch noch als strafmindernd anerkannt wird. Oder warum sollte Eigentum geschützt sein, wenn es ausbeuterisch erworben wurde oder wenn die einen zu viel haben, während die anderen verhungern oder darben? Andererseits sollte jeder das Recht haben, dann aus dem Leben auszusteigen, wenn er dies will - und dafür auch die Mittel erhalten, aber nicht zwangsweise als Staatsbürger am Leben gehalten werden.

Die beiden Wissenschaftler argumentieren mit dem Allgemeinwohl, dessen Beachtung dem Kapitalismus und dem individuellen Egoismus des homo oeconomicus zuwiderläuft, auch wenn die Theorie mit dem Voodoo-Heilsversprechen argumentiert, dass die unsichtbare Hand des freien Marktes alles schon irgendwie zum Besten regelt, gerade wenn alle egoistisch handeln. Wer in einer Gemeinschaft leben will, so hingegen die beiden Autoren, gehe auch Verpflichtungen ein und dürfe die Rechte und Freiheiten der anderen nicht verletzen.

Die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft würden eben auch Verfassungsrechte einschränken. So dürfe man nicht so laut, wie man will, Musik in der eigenen Wohnung hören, da die Nachbarn ein Recht auf Frieden und Stille haben. Aber das ist oft eine heikle Abwägung, denn oft genug muss Lärm etwa an Straßen oder Flughäfen hingenommen werden. Aber sich nicht zu impfen, ist keine bloße Belästigung, sondern eine Gefährdung des Lebens. Insofern sagen die Autoren, es gebe keinen moralischen Unterschied zwischen einem betrunkenen Fahrer und einer willentlich ungeiimpften Person: "Beide sind egoistisch, rücksichtslos und gefährden wissentlich das Leben eines jeden, der ihnen begegnet."

Der Vergleich hinkt allerdings, wenn es um Kinder geht, deren Eltern nicht daran denken, sie impfen zu lassen, oder dies nicht wollen. Die ungeimpften Kinder sind Gefährder, aber so lange es keinen Impfzwang gibt, kann man weder sie noch die Eltern verantwortlich machen. Zudem sind Impfungen kein absoluter Schutz und manche Menschen dürfen nicht geimpft werden, Kinder unter einem Jahr dürfen auch nicht geimpft werden. Hier müsse auf die Herdenimmunität Verlass sein, also dass alle, die geimpft werden können, auch eine Impfung erhalten haben.

Alternative: Opt-Out aus der Gesellschaft

Es gebe eine moralische Pflicht, sich impfen zu lassen, die Autoren sind auch für eine gesetzliche Impflicht. So lange diese nicht vorhanden ist und man eine Person nicht überzeugen, sich impfen zu lassen, bieten sie einen Vorschlag des sozialen Opt-Out an. Schulen, Arbeitgeber oder andere Institutionen dürften keine ungeimpften Menschen einlassen, der Preis der Partizipation ist eben, andere nicht zu gefährden.

Impfgegner könnten überdies einfach aus der Gesellschaft austreten und von dieser isoliert leben, wenn sie die moralische Impfverpflichtung nicht einsehen. Das sei so ähnlich wie bei Menschen, die laut Musik hören, ziellos herumschießen oder betrunken Autofahren wollen. Das könnten sie so lange machen, so lange sie sich auf ihrem Grundstück aufhalten. Impfgegner müssten auch nicht zu ihrem Glück bzw. ihrer Gesundheit gezwungen werden, "so lange sie akzeptieren, permanent irgendwo im Nirgendwo oder am Ende der Welt zu leben, wo sie niemanden begegnen.

Aber selbst wenn man zu dieser radikalen Lösung neigt, dürfte sie schlicht nicht praktikabel sein, es wird schwierig, wenn nicht unmöglich sein, zumindest in Deutschland, alleine oder mit einer Familie in einer Einöde zu leben und sich dort versorgen zu können. Man muss auch davon ausgehen, dass Impfgegner kaum freiwillig in die Isolation gehen werden, weil sie ja vermeintliche Gründe haben, warum eine Masernimpfung schlecht ist, und sie das Nichtimpfen vermutlich als Empfehlung für alle sehen, zumindest so lange, bis nicht ein Familienangehöriger schwer erkrankt ist oder gar an Masern stirbt. Man müsste dann schon die Impfgegner auf einer Insel aussetzen, wie man dies früher mit Kriminellen machte, die in Strafkolonien auf kleine Inseln, nach Australien, Südamerika oder Sibirien gebracht wurden. Oder sollte man an Weltraumkolonien denken, nachdem die Erde zu dicht bevölkert ist?

Solche Überlegungen sind vielleicht ganz amüsant, aber man käme, wollte man tatsächlich die Masern ausrotten und durch Herdenimmunität einen Schutz vor einer Infektion herstellen, um eine gesetzliche Impfpflicht nicht herum, die sich natürlich auch auf die Menschen erstrecken müsste, die in das jeweilige Land einreisen wollen.

In Deutschland tritt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach für eine Impflicht eins: "Ich glaube, dass ohne eine Impfpflicht die Ausrottung der Masern in Deutschland nicht möglich sein wird." Auch FDP- Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer ist bei Kindern dafür. Etwas gewunden auch Jan Korte, der parlamentarische Geschäftsführer der Linkspartei, der sagte, wer öffentliche Einrichtungen besuche oder dort arbeite, müsse geimpft sein - wenn eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bestehe, sei Zeit für eine gesetzliche Impfpflicht. Gesundheitsminister Jens Spahn "begrüßt" zwar die Diskussion über eine Impfpflicht, ist aber zögerlich, wie auch andere aus dem Unionslager. Aber die Bundesregierung prüfe eine Impfpflicht.

Aus der Reihe scheren die Grünen. Kordula Schulz-Asche lehnt verpflichtende Masernimpfungen bei Kindern ab: "Ich halte es für besser, wenn Gesundheitsdienste wie früher in die Schulen gehen, dort die Eltern informieren, die Impfung anbieten. Und ich glaube, dass wir damit garantiert zu einer besseren Durchimpfungsrate kommen." Sie zweifelt daran, wie sich die Impflicht umsetzen ließe, zumal die Impfquote bei den Kindern über 90 Prozent liege, aber bei Über-30-Jährigen auch schon unter 50 Prozent.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.