Bald Bisphenol A-freie Beschichtungen von Getränkedosen?

Tetramethylbisphenol F (TMBPF). Bild: Bernd Schröder

US-Chemieunternehmen lässt Zulassung eines neuen Materials in Europa prüfen

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Bisphenol A (BPA) hatte in der Vergangenheit in der Debatte um endokrine Disruptoren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt (Umwelthormone); die Verwendung in der Herstellung von Konsumprodukten ist in die Diskussion geraten. Ende Dezember 2016 hatte das Komitee der Mitgliedsstaaten der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) die Verbindung wegen ihrer Toxizität auf die Fortpflanzung als besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC) auf die REACH-Kandidatenliste gesetzt. Der Eintrag war 2018 aktualisiert worden, um zusätzlichen Befunden zu besorgniserregenden Eigenschaften Rechnung zu tragen, die nahelegen, dass BPA aufgrund seiner endokrinschädigenden Eigenschaften wahrscheinlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt mit sich bringen könnte.

BPA ist ein wichtiges Ausgangsmaterial für die industrielle Produktion von Polycarbonaten und Epoxidharzen. Nahrungsmittelverpackungen und Plastikflaschen gelten als Hauptquellen für die menschliche Belastung mit BPA. In der EU sind Produktion und Verkauf von Babyflaschen aus BPA-haltigem Polycarbonat seit 2011 verboten.

Rund 75 Prozent der weltweit eingesetzten Epoxidharze fußen auf BPA. Die Kunstharze werden unter anderem zur Beschichtung von Metalldosen verwendet, die Lebensmittel oder Getränke enthalten. Das verwendete Kunstharz kann Spuren von während der Polymerbildung nicht abreagiertem BPA enthalten, das dann beim Kontakt mit Lebensmitteln oder Getränken aus der Wandung gelöst wird und in das zu konservierende Gut übergeht.

Ein Vorstoß für ein Verbot von BPA in Materialien mit Lebensmittelkontakt war Anfang 2018 im Umweltausschuss der Europaparlaments gescheitert. Eine Mehrheit des Ausschusses hatte einen entsprechenden, von mehreren Abgeordneten eingebrachten Verbotsantrag abgelehnt. Nun gilt weiterhin ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission, der lediglich eine Absenkung geltender Grenzwerte für BPA vorsieht.

In den Vereinigten Staaten hatte die Food and Drug Administration (FDA) 2012 die Lebensmittelzusatzstoff-Verordnung dahingehend geändert, dass die Verwendung bestimmter auf BPA basierender Materialien in Babytrinkflaschen, Trinkbechern und Säuglingsmilchverpackungen nicht mehr vorgesehen ist, da auf eine derartige Verwendung bereits verzichtet wurde. Dem lagen nach FDA-Angaben keine Sicherheitsbedenken zugrunde, sondern lediglich die freiwillige Aufgabe der Verwendung von BPA durch die Hersteller. 2013 fragte sich die FDA auf ihrer Website: "Ist BPA sicher?" Die Antwort, basierend auf der wissenschaftlichen Überprüfung der vorliegenden Erkenntnisse durch die Behörde: "Ja". Demnach sind die verfügbaren Informationen auch weiterhin ein Indiz der Sicherheit von BPA für die zugelassenen Verwendungen in Lebensmittelbehältern und -verpackungen.

Die Environmental Protection Agency (EPA) wiederum vertritt die Auffassung, dass nach dem Stand der Dinge von BPA kein Gesundheitsrisiko ausgeht.

Alternativen zu BPA

Trotzdem versuchen viele Marken und Einzelhändler, BPA in Lebensmittelverpackungen und Getränkedosen durch andere Stoffe zu ersetzen. Ein Austausch gestaltet sich vor allem deshalb als schwierig, weil Epoxidharze ungewöhnlich gut für das Verhindern von Korrosion bei allen Arten von Lebensmitteln und Getränken geeignet sind - sowohl bei Stahl- als auch bei Aluminiumdosen, unabhängig von den Verarbeitungsverfahren. Eine wichtige Funktion dieser Beschichtungen ist insbesondere der Schutz der Lebensmittel vor mikrobieller Kontamination und damit vor Lebensmittelvergiftungen.

Lebensmittelmarken sowie Lack- und Dosenhersteller arbeiteten mehrere Jahre lang an der Entwicklung und Einführung neuer Auskleidungen für Stahldosen. Hier überwiegen heute Acryl- und Polyesterformulierungen. Nach Angaben des Can Manufacturers Institute waren Anfang 2018 bereits 90% der Konservendosenproduktion auf alternative Materialien umgestellt.

Die Getränkeindustrie, die Aluminium anstelle von Stahl verwendet, hat bisher nicht für eine vergleichbare Zunahme der BPA-Freiheit ihrer Dosen gesorgt. Das soll sich nun bald ändern: dank intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet neuer Materialien, vorangetrieben von Wissenschaftlern des in Minneapolis ansässigen Farben-und Beschichtungsherstellers Valspar. Das Unternehmen war 2017 vom Chemiekonzern Sherwin-Williams für rund neun Milliarden US-Dollar übernommen worden.

valPure V70: Grundlegend Neues bei der Beschichtung von Getränkedosen?

Anstatt auf bekannte Epoxid-Alternativen für Lebensmittel- und Getränkedosen zurückzugreifen, versuchten die Wissenschaftler von Valspar, ein neues Epoxidharz zu entwickeln, dessen Monomere nicht das endokrine System beeinflussen. Das ist für die Beschichtungsbranche schon allein deshalb wünschenswert, weil so die Fertigungslinien nicht grundlegend modifiziert werden müssten. Zusätzlich wurden Umweltchemiker mit ins Boot geholt, die sich wegen ihres Know-hows in der Bewertung des Risikos von BPA für die menschliche Gesundheit zuvor einen Namen gemacht hatten und die nun ihren Segen zu einem unbedenklichen Produkt geben sollten.

Nach einem Jahrzehnt der Entwicklungsarbeit wird das neue Epoxidharz bereits kommerzialisiert. Der neuen Kunstharz-Polymertechnologie mit dem Namen valPure V70 liegt ein neues Monomer zugrunde, das unbedenklich sein soll und genauso gut wie BPA funktioniert. Das Epoxidharz wird bereits in Getränkedosen in Kalifornien eingesetzt. Die Anwendung soll nun auf andere US-Bundesstaaten und auch in die Sparte anderer Lebensmittelbehältnisse ausgedehnt werden.

Die Herausforderung der Wissenschaftler: die Monomer-Familie der zugrundeliegenden Bisphenole nach geeigneten Vertretern zu scannen und zu verstehen, wie sie in Hormonrezeptoren passen und ob sie ein geeignetes Epoxidharz bilden würden.

Dazu wurde zunächst die Anzahl und Länge der Kohlenwasserstoff-Seitenketten an den Phenylringen systematisch vergrößert. Das führte zu Molekülen, die zwar nicht mit Zellen oder Rezeptoren reagierten, dafür jedoch auch für die Polymerbildung ungeeignet waren. Es stellte sich heraus, dass ein Bisphenol mit vier kurzen Seitenketten biologisch inert und gleichzeitig reaktiv genug ist, um ein Polymer und damit eine Beschichtung herzustellen. Als optimales Monomer fanden die Forscher Monomer Tetramethylbisphenol F (TMBPF).

Die nächste Herausforderung bestand darin, einen Hersteller zu finden, der TMBPF in ausreichender Menge herstellen würde. Fündig wurde man bei Deepak Chemicals, einer indischen Firma, die schnell einstieg und die Produktion seitdem hochgefahren hat.

Deepak Chemicals stellte zudem frühzeitig TMBPF zur Messung der endokrinen Aktivität bereit. Valspar stiftete Forschungsgelder, ebenso Material, das aus den mit dem neuen Epoxidharz beschichteten Dosen stammte. Die hinzugezogenen externen Wissenschaftler schlugen ihrerseits Tests vor, die über die von den Aufsichtsbehörden geforderten Standarduntersuchungen hinausgingen.

Das Team um Ana M. Soto, Professorin für Immunologie an der Medizinischen Fakultät der Tufts University in Boston, Massachusetts, kam 2017 nach diversen In-vitro- und In-vivo-Tests mit dem neuen Beschichtungsmaterial und dem Ausgangs-Monomer TMBPF zu zwei Grunderkenntnissen: Zum einen fanden sie in Bioassays oder Experimenten mit Ratten keine Östrogen-Aktivität, zum anderen lag das mögliche Austreten vom Monomer aus dem gebildeten Epoxidharz unterhalb der Nachweisgrenze - für die Forscher ein triftiger Grund, vom Nichtvorhandensein einer endokrinen Aktivität und einer vernachlässigbaren menschlichen Exposition auszugehen.

Sherwin-Williams beantragt momentan eine Zulassung gemäß den Chemikalienvorschriften der Europäischen Union. Die Tests an Tieren laufen unterdessen weiter, da die Prüfung über mehrere Generationen erforderlich ist. Die bisherige Einschätzung der Unbedenklichkeit hat einen vorläufigen Charakter.

Auch andere Unternehmen engagieren sich beim Ersatz von BPA. Coca-Cola informiert zwar über die Verwendung BPA-basierter Beschichtungen in den Getränkedosen des Unternehmens, die durch die Befunde der FDA als sicher gelten. Ein Rechtsstreit, bei dem es um den Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen ging, förderte im Februar 2019 jedoch zutage, dass das Unternehmen daran arbeitet, Ersatz für die BPA-Beschichtungen zu finden. Der Getränkehersteller hatte eigens dafür sechs Chemieunternehmen angeheuert, die bis zum Sommer 2017 zusammen mehr als 100 Millionen US-Dollar für ihre Versuche ausgaben.

Ob sich valPure V70 am Markt der Lebensmittel- und Getränkeverpackungen durchsetzen wird, steht in den Sternen. Der Ansatz von Valspar senkt zumindest das Risiko für Kunden, die die überstürzte Einführung einer neuen Chemikalie mit unbekannten Risiken für die menschliche Gesundheit skeptisch sehen, aber es kann noch Jahre dauern, bis Formel und Kosten optimiert wurden, um damit Marktanteile zu gewinnen.

Daneben sind auch noch andere Aspekte zu bedenken. So sind Epoxidharze beim gegenwärtigen Stand der Technik noch nicht recyclingfähig. Und grundsätzlicher: Wie sinnvoll ist der massive Einsatz von Getränkedosen eigentlich? 2012 landeten nach Schätzungen allein in den USA 38 Milliarden leere Aluminium-Getränkedosen auf Müllkippen.