Die "Bündnispartei" im Umfragehoch

Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Foto (September 2018): Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0 DE

Den Grünen wird mit 38 Prozent das Wählerpotential einer Volkspartei beschieden

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"Unzählbar viele Ideen, 600 Teilnehmer*innen, mehr als 100 Diskussionen in Kleingruppen, 2 Tage, ein Ziel: Ideen für das neue Grundsatzprogramm. Und das bei strahlendem Frühlingswetter draußen vor der Halle", twitterte Bündnis 90/Die Grünen am Samstag zu ihrem zweittägigen Konvent. Der sollte den Zwischenbericht zum Grundsatzprogramm auf den Weg bringen.

Fertig werden soll Grundsatzprogramm erst im Sommer 2020. Der 74-seitige Zwischenbericht trägt den Titel wie ein Motto: "Veränderung in Zuversicht". Mit Zuversicht im Programm steht die Partei derzeit ziemlich allein in der deutschen Parteienlandschaft. Allerdings zeigt der Titel auch wenig mehr als eine Stimmung an.

Zuversichtlich nimmt man sich Zeit für die genauere Ausarbeitung des Grundsatzprogramms und sammelt erstmal "unzählbar viele Ideen". Ende Mai gibt es ein paar Zwischenergebnisse von den Wählern, die dann zeigen, wie sie die Grünen einschätzen. Für den 26. Mai ist die große Wahl zum EU-Parlament angesetzt, wie auch die Bürgerschaftswahl in Bremen, vor der die SPD laut Spiegel zittern muss, und Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Thüringen.

Momentan ist die Zeit günstig für die Grünen; der Trend ist ganz auf ihrer Seite. Konnte man vor einigen Monaten hier und da noch hören, dass die CDU unter Merkel nicht nur den Sozialdemokraten einiges an Inhalten abgeschaut und zum eigenen Erfolg gemacht hat, sondern auch das Umweltthema der Grünen, nicht zuletzt durch Merkels Atomausstieg, so hat sich das mit den Schülerdemonstrationen für eine schneller umgesetzte und entschiedenere Klimapolitik geändert (Schulstreiks: Erst der Anfang des Anfangs).

Sie bekommen viel Medienaufmerksamkeit und sie werden mit den Grünen in Zusammenhang gebracht. Dass manche Aktivistinnen, die auch Grünen-Parteimitglied sind, selbst als Vielflieger keine gute Klimabilanz haben, hat zwar hier und dort für Empörung gesorgt, aber auch für eine neue Idee bei den Grünen: die Begrenzung von Flügen für Parteipolitiker.

Die meiste Luft nach oben

In den Umfragen zeigt sich die Empörung jedenfalls nicht merklich, der Höhenflug der Grünen hält an. Die konservativ ausgerichtete Zeitung Merkur schreibt gar von einem "Umfrage-Beben". Zitiert wird ein "Trendbarometer von RTL und N-TV", wonach die Grünen die meiste Luft nach oben haben, wenn es um die Wählergunst geht.

Sie hätten das Potential zur Volkspartei, ist heute in vielen Kurzmeldungen dazu zu lesen. Durchschnittlich liegen die Grünen bei Umfragen mit Sonntagsfrage derzeit bei soliden 18 bis 20 Prozent, aber es seien bis zu 38 Prozent drin, hat das Trendbarometer ermittelt. Demnach liegt das "Wählerpotenzial der Grünen" nur einen Punkt hinter dem der Union (37 Prozent). Der Union werden bei der Sonntagsfrage derzeit 29,7 Prozent zugerechnet.

Die SPD kommt bei der Sonntagsfrage von Civey für Spiegel online auf 17, 5 Prozent. Das ist ein Prozentpunkt weniger als die Grünen, den Sozialdemokraten wird aber vom Trendbarometer nur ein Wählerpotential von 31 Prozent bescheinigt. Der FDP werden hier 28 Prozent Potential zugestanden. Bei der Sonntagsfrage von SpOn kommt sie auf 8,4 Prozent.

Das Wählerpotential der AfD (SpOn-Sonntagsfrage 12,5 Prozent) und der Linken (SpOn-Sonntagsfrage 8,6 Prozent) werden beim Trendbarometer in den Pressemitteilungen gar nicht erwähnt. Es ist ein eigenartiger Wert, der ganz auf Stimmung ausgerichtet ist.

Das Wählerpotenzial drückt nicht aus, wie viele Wähler die Partei wirklich wählen, sondern wie viele sich vorstellen könnten sie zu wählen. Das kann sich im Wahlkampf jederzeit ändern und drückt erstmal nur eine Stimmung in der Bevölkerung aus

RTL

Stimmungsmäßig schaut man gerade besonders auf die Grünen und deren Potential. Dass der Weg zur Kanzlerpartei allerdings sehr weit ist, zeigt nicht nur die erwähnte Sonntagsfrage bei SpOn, sondern auch bei Forsa (CDU/CSU 28 Prozent, Grüne 20 Prozent, SPD 16 Prozent, AfD 12 Prozent, FDP 10 Linke 8 Prozent). Alles ist darauf ausgerichtet, dass sie Partner einer Regierungskoalition werden.

Nach vielen Seiten offen

Schon die Betonung des Begriffs "Bündnispartei" dokumentiert, dass man sich für mehrere Seiten offenhält. Es sieht nicht danach aus, als ob der großen Koalition noch eine große Zukunft bevorsteht. Bei den jüngsten Umfragen rutscht sie wieder auf einen Wert unter der Mehrheit.

Der Ko-Vorsitzende Robert Habeck, der kürzlich ein ganz eigenes Umfragehocherlebnis ("beliebtester Politiker in Deutschland" im ZDF-"Politikbarometer) hatte, fasst das Konzept "bündnisfähig" sehr weit - über Parteien hinaus:

Es gilt, bündnisfähig zu sein in einer Gesellschaft, die nicht mehr so homogen ist wie früher. Als Bündnispartei definieren wir Ziele, suchen dafür Partner und organisieren Mehrheiten für die nächsten Schritte. Bei der europäischen Einigung sind dabei vielleicht die Arbeitgeberverbände gute Partner, bei der ökologischen Krise können wir uns mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammentun, aber sicher auch mit Teilen der Wirtschaft, mit denen wir früher nicht viel am Hut hatten.

Robert Habeck

Was Koalitionen mit anderen Parteien angeht, so stellt Habeck heraus, dass die Grünen "in mehr unterschiedlichen Koalitionen als jede andere Partei" sind. Das sei eine Stärke in dieser Zeit. "Es rückt unsere Partei ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte."

Wohin die Richtung genau geht, wurde vom Konvent der Grünen am Wochenende freilich nicht beantwortet, wie Ansgar Graw in der Welt beschreibt. Was künftige Koalitionen auf Bundesebene betrifft, ist die Auswahl allerdings ziemlich eng. Ob sich die SPD wird bis dahin erholt und zusammen mit den Linken eine Koalitionspartner mit Erfolgsaussichten abgeben, ist fraglich. Derzeit sieht es nicht danach aus. Realitisch ist die erste Adresse für die Grünen, die an die Regierung wollen, ist die Union unter Kramp-Karrenbauer. Das wird noch knarzen in der Basis.