"Den Kopf frei haben"

Bild: Bess-Hamiti/Pixabay

Gegen die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion" in Frankfurt regt sich Widerstand; vor allem seitens iranisch-stämmiger Feministinnen

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Am vergangenen Donnerstag eröffnete die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion" im Frankfurter Museum Angewandte Kunst. Bereits im vergangenen Jahr präsentierten Dutzende Modemacherinnen eine Schau ihrer Kollektionen im "de Young Museum" in San Francisco. Nun hat sie rüber gemacht über den großen Teich und bereits im Vorfeld für reichlich Wirbel gesorgt.

Zunächst protestierte eine Gruppe namens Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung, die größtenteils aus iranisch-stämmigen Feministinnen besteht, mit einem offenen Brief gegen die Ausstellung. Es folgte ein Protestbrief von mehr als 100 Unterzeichnenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an den Museumsleiter (das Schreiben liegt Telepolis vor) sowie eine Pressemitteilung des Zentralrats der Ex-Muslime, der eine mehrtägige Protestaktionen vor dem Museum plant.

Kritisiert wird vor allem die unreflektierte und unkritische Darstellung der Verschleierung als stylische Attitüde. Hijab, Niqab und zunehmend auch Burka sorgen auch jenseits der Ausstellung für heftige Debatten, in die die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TdF) mit der Unterschriften-Aktion "den Kopf frei haben" eingriff, in der ein Verschleierungsverbot für Schülerinnen gefordert wird.

Im Gegenzug trat das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik BW auf den Plan, die sich in einer Stellungnahme gegen die TdF-Aktion vehement für das Recht auf Verhüllung von Schulmädchen einsetzen.

Mode aus dem arabischen Raum wird islamisiert

Anders als der Titel der Ausstellung und deren Bebilderung auf der Webseite des Museums vermuten lassen, wird keine "muslimische", also dezidiert religiöse Mode, präsentiert, sondern arabische, die zum größten Teil weniger, sogar überhaupt nicht, religiös, sondern kulturell geprägt ist. Mit dem Ausstellungstitel wird diese kulturell bedingte Mode kurzerhand islamisiert.

Beispielsweise die Kollektion der Designerin Wadha Al Hajri aus Qatar ist eine Hommage an die Beduininnen, denen sie künstlerisch ein Denkmal setzt. Sie setzt auf "minimalistische Kollektionen, die Tradition und Moderne mit maskuliner und femininer Schneiderkunst verbinden". 2013 war sie die erste Designerin, die im "Museum für moderne Kunst" in Doha ausstellen durfte. Dort erregte sie das Interesse des Chefredakteurs der Vogue Italy und präsentierte alsbald ihre Mode in Mailand.

Ihre Herbst-Winter-Kollektion 2014/15 war "inspiriert von traditionellen Beduinen-Zelten, bei deren Herstellung Frauen ein große Rolle spielen". Die Kollektion sei inspiriert von der minimalistischen Struktur, den kräftigen Farben und dem Material, aus dem Beduinen-Zelte hergestellt werden, sagte sie in einem Interview mit der Vogue Italy.

"Das Beduinenzelt wurde ursprünglich von einer Frau gebaut. Frauen bauen Schutz, sie bauen Häuser - sie sind Architektinnen ohne Abschluss", erläuterte sie in der Vogue Arabia. Ein durchaus feministischer Ansatz. Dieser positive Bezug auf die Weberinnen hat indes nichts mit deren Glauben zu tun, sondern mit der Kultur und den knallharten Lebensbedingungen. Die Nomadinnen werden allein schon witterungsbedingt Kopfschutz tragen, aber die Kollektion ist definitiv nicht "muslim".

Die Designerin Kalya H. entwirft junge, praktische Mode, die ein durchaus modisch bewusstes junges westliches Publikum völlig unabhängig von religiöser Identität anspricht. Der Stil ließe sich als bequem beschreiben und hat ebenfalls nichts mit " muslim" fashion zu tun.

Unter 53 Ausstellerinnen, die der Katalog der Schau in San Francisco auswies, waren lediglich 12 zu finden, deren Entwürfe eindeutig die islamische Kleidervorschrift zugrunde liegt. Bzw., die nach dieser Prämisse "contemporary", sprich modische Neuheiten, kreiert haben. Darunter die Erfinderin des Burkinis, die auch ansonsten Halāl-Bademoden konzipiert.

Von diesen 12 wiederum hält sich etwa die Hälfte an die klassische "muslim fashion", die wir auch aus den hiesigen Hijab-Stores kennen. Die andere Hälfte produziert auch Hijab Wear, aber nicht streng klassisch, und die meisten von denen entwerfen ansonsten querbeet, z. T. klassische Mode, z. B. Abendgarderobe, z. T. kunterbunt, schrill und witzig, manche völlig schräg. Mit und - vorwiegend - ohne Kopfbedeckung.

Alles in allem eine Modenschau, wie sich Mode-Kultur-Banausinnen eine Modenschau so vorstellen: Manche Stücke gefallen, manche sind herrlich schräg und bei manchen schlagen wir die Hände überm Kopf zusammen. Fotos im Netz, auf denen die Designerinnen zu sehen sind, stellen sowohl Frauen mit als auch ohne Hijab dar. Mit Hijab eigentlich nur diejenigen, die ausschließlich halāl designen.

Unter diese vielfältigen Arbeiten dann Sport-Hijab, Burka, Abaya etc. zu mischen, ist ein raffinierter Trick: Völlig selbstverständlich wird der Fundamentalismus in unseren Alltag integriert und die Gesellschaft Stück für Stück hālal designed.

"Muslim Fashion" - für wen eigentlich?

Was glauben Sie, wie viele Frauen in den islamischen Ländern tatsächlich Zugang zu dieser "contemporary Fashion" haben? Es ist, wenn überhaupt, eine kleine, elitäre Schicht. Und selbst die tragen solche Kleidung nur zu bestimmten Anlässen, innerhalb der Familie, im Urlaub oder wenn sie ausschließlich unter Frauen sind.

Indem Sie Verhüllung und Schleier prioritär als Mode präsentieren, verharmlosen Sie den Ursprung, woher diese Mode kommt: Nämlich die Religion, mithilfe derer die Hälfte der Bevölkerung - die Frauen - in islamischen Staaten unterdrückt wird. Genau wie die westlichen ModemacherInnen verkennen Sie, dass die sogenannte Freiwilligkeit, mit der sich Models oder sogenannte modebewusste muslimische Frauen verhüllen, eine antrainierte Haltung ist.

Wir wissen aus eigener Erfahrung: Wenn ein Mädchen von klein auf vermittelt bekommt, dass eine unverschleierte Frau "unrein", "nicht sittsam", "unehrenhaft" ist, und wenn die Familie und das soziale Umfeld keine oder nur Alternativen aufzeigt, die mit Ausgrenzung und Schuld verknüpft sind, dann kann dies nicht als freiwillig bezeichnet werden. Insofern sind auch keine ehrlichen Aussagen zur freiwilligen Verhüllung zu erwarten. Die Kopfbedeckung als Mode könnte in Deutschland bei manchen als "Wahl" angesehen werden. In vielen islamischen Ländern haben die Frauen gar keine Wahl und müssen sich verhüllen.

Die Trennlinie verläuft daher nicht zwischen morgen- und abendländischer Mode, sondern zwischen solchen Frauen, denen ihr Umfeld die Wahl ihrer Kleidung überlässt und solchen Frauen, denen ihr Umfeld diese Wahl nicht lässt; zwischen verschleierten und freien Frauen.

Diese Ausstellung versucht, die Macht des "modischen Diktats" mit der Macht einer Religionsvorschrift zu vereinbaren. Mit der Darstellung von verschleierten Frauen übernehmen Sie das rückwärtsgewandte Frauenbild islamischer Staaten und der islamistischen Bewegung. Darin wird die Frau prioritär als Sexualobjekt begriffen, deren Reize zu verbergen sind. Um sich vor den lüsternen Blicken der Männer zu schützen, wird von den Frauen erwartet, sich zu verschleiern.

Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung

Auch der "Zentralrat der Ex-Muslime" spart nicht mit Kritik:

Sie sind die Organisatoren dieser "Modenschau". Es ist kaum vorstellbar, dass Sie nicht wissen, dass Sie damit den Finger auf eine große Wunde der Geschichte der Menschheit gerichtet haben und dass Sie uns - Millionen Frauen, die Opfer dieser "Mode" geworden sind - verspotten. Wir möchten daher ausdrücklich erklären, dass die islamische Verschleierung kein normales Kleidungsstück ist. Und wir möchten für alle, die an der Wahrheit interessiert sind, diese Frage nochmals näher betrachten.

Wenn man vom Schleier als einem göttlichen Gebot und einem wichtigen Teil des Islam spricht, steht dahinter die Philosophie, dass der islamische Gott durch seinen sexgierigen Propheten Mohammad zu den Männern auf der Erde spricht. Frauen werden dabei als eine der Segnungen für den Mann deklassiert, die jeweils einem Mann dienen und sich vor den lüsternen Blicken anderer schützen müssen. Solange sie im Elternhaus leben, müssen sie dem Willen von Vater oder Bruder gehorchen. In der Ehe haben sie sich ihrem Ehemann zu unterwerfen.

Der islamische Gott hat erklärt, dass Frauen von der Geschlechtsreife bis zum Tod ihre Haare nicht öffentlich zeigen sollen. Sie sollen weite Kleidung tragen und ihrem Körper und ihren Gefühlen fremd sein. Diese Haltung des Islam ist nicht nur eine theologische Theorie, sondern wurde im Laufe der islamischen Geschichte mit Nachdruck eingefordert und ausgeführt.

Deshalb werden Millionen von Frauen in sogenannten islamischen Ländern tagtäglich Opfer von Patriarchat und Frauenfeindlichkeit. Und das Leben von uns Frauen unter diesen Bedingungen war und ist voller Schmerz, Erniedrigung und Gewalt. Wir können Ihnen Hunderte von Artikeln und Lebensgeschichten zusenden, die davon erzählen.

Wichtiger als Tradition, Geschichte und Kultur ist jedoch der Einfluss der islamischen Bewegung, die vor etwa vierzig Jahren im Iran die Macht ergriffen hat. Seitdem wird die Verschleierung in vielen islamisch geprägten Ländern durch Agenten der islamischen Sittenpolizei und Repressionsorgane den Frauen aufgezwungen. Länder wohlgemerkt, die auch vor Auspeitschungen und Hinrichtungen nicht halt machen.

Die Verschleierung ist das Banner einer frauenfeindlichen Ideologie, welche im Iran und Afghanistan, im Sudan und in Somalia mittels Gefängnis und Folter aufgezwungen wird. Auch in Europa bzw. in den westlichen Ländern zwingt diese Bewegung mit Hilfe von Moscheen und islamischen Organisationen, die häufig mit islamischen Regimes verbunden sind, sogar Kindern den Schleier auf.

Die Verteidiger und Aktivisten dieser Bewegung sind überall präsent und reden davon, dass es in Europa "Religionsfreiheit" geben sollte. Sie etablieren den Mythos, dass Frauen und fünfjährige Kinder frei entscheiden würden, den Schleier zu tragen.

Zentralrat der Ex-Muslime

Genau darum geht’s: Nicht um einen Modestil, der einigen gefällt und anderen nicht, sondern um eine politische Entwicklung. Überall auf der Welt, wo sich in den letzten 40 Jahren der Islam ausbreitete, tat er es in einer fundamentalistischen, barbarischen Form.

Es begann mit einem vermeintlich harmlosen Stück Stoff und endete mit Hand abhacken und Steinigungen. Der Hijab ist das "seidene Band des Dschihad" und es liegt an uns, wie lang es noch werden kann.