Deutschland: Proteste gegen den "Mietwahnsinn"

Foto: Matthias Brake

In Berlin startet die Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" eine Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren

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In Berlin, Hannover, Göttingen, Bremen, Hamburg, Frankfurt am Main, Dresden und München gibt es am heutigen Samstag Demonstrationen unter dem Titel "Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn". In Berlin ist der Protest mit einem Volksbegehrens des Bündnisses "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" verbunden und hat damit eine besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt schon durch das Reizwort "Enteignen".

20.000 Unterschriften brauchen die Initiatoren, um die erste Hürde zu nehmen. Dafür hat man sechs Monate Zeit. Danach müssten sich 170.000 wahlberechtigte Berliner in die Listen eintragen.

Ein Sprecher der Initiative, Rouzbeh Taheri, zeigt sich überzeugt, dass die 20.000 Stimmen von Aktivisten in "lila Warnwesten" schnell eingesammelt sind, da die Ungeduld groß sei. Für Taheri ist ein Erfolg schon sicher:

Die Diskussion in Berlin hat sich komplett verschoben, hin zu den Interessen der Mieterinnen und Mieter. Die Parteien versuchen, sich gegenseitig mit Vorschlägen zu überbieten, wie man Mieten regulieren kann. Das ist schon jetzt, bevor wir die erste Unterschrift gesammelt haben, ein Erfolg.

Rouzbeh Taheri

Geht es ans Eigentum, so bekommt Politik eine ganz andere Dimension. Dann geht es ans Eingemachte, was zu Reaktionen führt. Seit Jahren gibt es in Berlin Initiativen und Aktionen gegen Mietwucher und Wohnungsräumungen.

Auch in der Bundesregierung ist die Problemlage, die nicht nur Empfänger von Hartz-IV empfindlich spüren, sondern längst auch Familien mit Doppelverdienern, angekommen. Bisherige Gipfel haben aber nichts Spürbares erreicht (Eine Minute Redezeit für einen Mietervertreter), auch wenn vonseiten der Politik betont wird, dass man etwas tue und diese Position von Kommentatoren herausgestrichen wird:

Neben mehr Eigentum will die Große Koalition auch den Bau von Mietwohnungen ankurbeln. Hierfür gibt es neue Abschreibungsmöglichkeiten. Die Förderung von Sozialwohnungen läuft weiter auf hohem Niveau: mit zwei Milliarden Euro im Jahr. Und: Die Mietpreisbremse wurde verschärft, Mieterhöhungen bei Modernisierung wurden gedeckelt. Dass nichts geschieht, stimmt also nicht. Allerdings ist der Einfluss der Bundespolitik begrenzt. Es fehlt zunächst einmal an Bauland. Das müssten die Kommunen zur Verfügung stellen, doch die haben oft mit dem Widerstand von Anwohnern zu kämpfen.

Tagesschau

Allerdings wird trotz der Betonung, dass es Anzeichen für Veränderungen gebe - die Zahl der neu gebauten Wohnungen in Deutschland sei von 160.000 im Jahr 2010 auf rund 300.000 im vergangenen Jahr gestiegen - in der anderen Hauptsache, der Höhe der Mieten, - eingeräumt, dass eine Senkung "zumindest in den beliebten Großstädten" nicht zu erwarten ist.

Genau in dieses Problemfeld hinein zielt die "Enteignungs-Initiative". Man erwartet nicht, dass es bei der Aktion, die namentlich gegen "das meistgehasste Unternehmen in Berlin" vorgeht, neuer Wohnraum entsteht, sondern man will ein Zeichen der Gegenmacht zur Spekulation mit Wohnraum setzen. Ziel sei es den Bestand von bezahlbaren Wohnungen zu schützen, so Rouzbeh Taheri im Interview mit ntv.

Aber wenn man den Bestand solcher Wohnungen jetzt nicht schützt, muss man für die Menschen, die aus ihnen vertrieben werden, noch zusätzlich neue Wohnungen bauen. Da würde man mit dem Neubau nie hinterher kommen. Neubau von bezahlbaren Wohnungen und der Schutz des Bestands sind die zwei Standbeine einer sozialen Wohnungspolitik. Wer nur auf einem Bein steht, fällt auf die Nase.

Rouzbeh Taheri

Während sich der Regierende Bürgermeister Müller klar gegen Enteignungen ausgesprochen hat, ist es laut SZ unsicher, ob er die Mehrheit seiner SPD hinter sich hat. Teile des Senats würden "Sympathie für die Enteignungs-Aktivisten" bekunden.

Doch kommen auch deutliche Absagen aus der Politik, wie zum Beispiel vom FDP-Chef Lindner. Er spricht davon, dass die allermeisten Vermieter fair seien und oft die gesetzlichen Möglichkeiten für Mieterhöhungen nicht mal ausschöpfen. Die Bürger sollten nicht gegen Immobilienunternehmen, sondern gegen die Politik demonstrieren, in der die Wohnungspolitik Fehler gemacht habe.

Auch der Vorstand der Immobiliengesellschaft "Deutschen Wohnen", Michael Zahn, kritisiert, "eine Politik, die immer über bezahlbares Wohnen spricht, aber noch nie gesagt hat, wie das aussehen soll".

Demgegenüber hält allerdings der Sprecher der Initiative dem Unternehmen vor, das es selbst in konkreten Fällen eine gnadenlose Mietpolitik betreibt.

Die Deutsche Wohnen ist in den letzten Jahren wie ein Invasor in Berlin aufgetreten, wie ein Fremdkörper, der in diese Stadt eingefallen ist und nur das Ziel hatte, die Mieten in seinen Wohnungen nach oben zu treiben. Viele Berliner haben mittlerweile negative Erfahrungen mit diesem Konzern gemacht oder von Freunden, Bekannten oder Verwandten erfahren, wie dieser Konzern funktioniert: nur im Interesse der Aktionäre, ohne Rücksicht auf Mieterinnen und Mieter.

Rouzbeh Taheri