Libyen am Scheideweg

Shahara-Ölfeld im Südwesten Libyens. Das Ölfeld wird von Repsol betrieben. Bild: Javier Blas, CC BY-SA 3.0

Neue Eskalation im Kampf um das libysche Öl

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Erst Anfang März 2019 war bekannt geworden, dass das staatliche Mineralölunternehmen Libyens (National Oil Corporation - NOC) den Zustand der höheren Gewalt am Sharara-Ölfeld aufgehoben hat. Libysche Beamte erklärten, dass die Kontrolle des Ölfeldes zuvor von Truppen der Libysch Nationalen Armee (LNA) an eine Schutztruppe für Ölinstallationen übergeben wurde.

In der Vergangenheit ist des Öfteren die Kontrolle über solche Einheiten entglitten, weshalb Al-Sharara nach der Sicherung der Anlage zum Testlauf einer neuen nationalen Spezialeinheit werden soll, einem von Stammesstrukturen unabhängigen Sonderkommando, das Attacken marodierender Milizen auf Einrichtungen und Personal der Ölbranche verhindern soll. Die Truppe ist dabei nicht zu verwechseln mit der Petroleum Facilities Guard (PFG), einer Art Ölmiliz mit ursprünglich ähnlicher Ausrichtung, die 2013 die Exportterminals im Nordosten des Landes übernommen und später versucht hatte, Öl zu verkaufen. Die PFG untersteht eigentlich dem Verteidigungsministerium, ist jedoch in verschiedene örtliche Gruppierungen zersplittert und mischt in wechselnden Allianzen im libyschen Bürgerkrieg mit.

Obwohl die 1970 gegründete NOC in Tripolis ansässig ist, das in der Hand der vom Westen und den Vereinten Nationen unterstützen Übergangsregierung (Government of National Accord - GNA) ist, befindet sich die Mehrheit der Ölfelder des Landes unter der Kontrolle der LNA-Streitkräfte von General Chalifa Haftar. Die hatten im Februar 2019 das Shahara-Feld übernommen, nach einem Deal mit dem Sicherheitspersonal und örtlichen Stammesangehörigen, die den Betrieb des Ölfelds im Dezember 2018 unterbrochen hatten. Hier wird seit 1996 Öl gefördert - doch seit der Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen wurde, mit Unterbrechungen.

Insignie der Petroleum Facilities Guard. Bild: DatBot, fair use

Ein Satellitenbild vom 8. März 2019 legt nahe, dass die Förderung zumindest teilweise wieder aufgenommen wurde. Der Betrieb des Shahara-Felds ist zudem wichtig für die Förderoperation im benachbarten Elephant-Feld, denn die steht und fällt mit der Stromerzeugung von Al-Shahara. Beide zusammen tragen bei voller Auslastung mit 390.000 Barrel pro Tag zu Libyens Ölförderung bei.

Auch in anderen Feldern des Landes gestaltet sich die kontinuierliche Ölförderung schwierig, immer wieder kam und kommt sie durch veränderte Sicherheitslagen in den Wirren des Bürgerkriegs zum Erliegen - das Gesamtbild ist äußerst komplex und dynamisch. Die im Land tätigen ausländischen Förderer können ein Lied davon singen, zum Beispiel die BASF-Tochter Wintershall.

Dennoch nimmt die Ölproduktion im Land nun wieder zu. Es herrscht eine vorsichtige Aufbruchsstimmung. Beispielsweise hatten Eni, BP und die NOC im Oktober 2018 eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Erkundung und Förderung vereinbart. 2018 wurden wieder mehr als eine Million Barrel gefördert. Das Land ist von beschlossenen Förderdrosselungen der OPEC-Mitglieder aufgrund seiner kriegsbedingten schlechten Wirtschaftslage ausgenommen. Mustafa Sanalla, Vorstandschef der NOC, rechnet für 2021/2 mit einer Förderung jenseits der Zwei-Millionen-Barrel-Marke - wenn die Zentralbank die für Investitionen nötigen Gelder locker macht.

Libyen, bekannte Öl- und Gaslagerstätten (Daten nach Petrodata v1.2, Konzessionsgebiete und Pipelines (WorldMap, Global Oil Pipelines, Jeff Blossom ). Karte: Bernd Schröder/QGIS)

Libyens Öl gilt aufgrund seiner niedrigen Förderkosten, seines geringen Schwefelgehalts und seiner Nähe zu den europäischen Märkten als äußerst attraktiver Rohstoff. Unter dem Boden des Landes werden die bedeutendsten Ölvorkommen Afrikas vermutet. Die Herausforderungen für die Branche liegen in der Aufrechterhaltung der Förderung in zur Neige gehenden Feldern und im Finden und Erschließen neuer Ölfelder. Außerdem muss der großmaßstäbliche Schmuggel mit Treibstoffen zurückgedrängt werden.

Shahara-Ölfeld im Südwesten Libyens. Bild: googlemaps

Explosive Lage: Großoffensive oder Diplomatie?

LNA-Vertreter hatten am 4. April 2019 erklärt, dass Haftar-treue Einheiten südlich von Tripolis mit rivalisierenden Kräften zusammengestoßen seien.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, der in Libyen weilte, um rivalisierende Gruppen zu einer nationalen Versöhnungskonferenz an einen Tisch zu bringen, twitterte: "Ich bin zutiefst besorgt über die militärischen Bewegungen in Libyen und die Gefahr einer Konfrontation. Es gibt keine militärische Lösung. Nur ein inner-libyscher Dialog kann libysche Probleme lösen. Ich rufe zur Ruhe und Zurückhaltung auf, während ich mich darauf vorbereite, die libyschen Führer im Land zu treffen." Nach einem Treffen mit Haftar am 5. April 2019 hat Guterres das Land "schweren Herzens" wieder verlassen. Haftar hatte im Gespräch geäußert, mit seinem Vorstoß auf Tripolis fortfahren zu wollen, bis der Terrorismus besiegt sei.

General Haftar hatte nur ein paar Tage zuvor bereits erklärt, Libyen könne die jahrelang anhaltende politische Krise durch die Schaffung einer einzigen Regierung noch in diesem Monat beenden.

Die nach wie vor chaotische Situation im Land ist vor allem ein Erbe der US-amerikanischen und alliierten Militärintervention von 2011, die unter dem Oberbefehl von Barack Obama als erstem afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten zum Sturz Muammar al-Gaddafis führte. Die Auswahl des Namens der Operation "Odyssey Dawn" erschien Beobachtern schon damals als ein Omen für den Beginn eines langen Abenteuers.

Seit Monaten haben Haftars LNA-Truppen im Libyen-Konflikt die Oberhand - die volle Kontrolle der Öl- und Gasfelder Libyens wurde dabei zu einer Priorität für die Begrenzung der Finanzkraft der Übergangsregierung in Tripolis gemacht.

Es steht zu erwarten, dass die LNA weitere Schritte zur Beseitigung der immer noch starken Gegnerschaft im Westen des Landes unternehmen wird. Beobachter sehen in Haftars militärischem Vorstoß in den Süden des Landes - offiziell geführt, um "terroristische und ausländische Kämpfer" aus dem Gebiet zu vertreiben - das Präludium für eine Großoffensive. Dies würde vermutlich die Option einer landesweiten Wahl in Libyen beerdigen, die nach wie vor auf der Tagesordnung der von der UN unterstützten Gruppierungen steht. Bisher hatte die LNA von Angriffen Richtung Norden abgesehen.

Andere Analysten hielten bis vor kurzem noch für wahrscheinlich, dass General Haftar eine Politik der kleinen Schritte einer militärischen Lösung des libyschen Bürgerkriegs aus verschiedenen Gründen vorziehen würde: Ein erbitterter Endkampf beider Seiten sei für seine Vision einer nationalen Versöhnung schlichtweg kontraproduktiv. Er bevorzuge demnach die Positionierung der LNA als Königsmacher, an dem bei der Gestaltung des künftigen, geeinten Libyens kein Weg vorbeiführt.

Der erneuten Eskalation waren diplomatische Begegnungen in den zurückliegenden Wochen vorangegangen. So hatte der UN-Gesandte in Libyen, Ghassan Salame, im Februar 2019 bei einem Treffen mit dem Parlamentspräsidenten des Ostlibyschen Parlaments, Aguila Saleh, in Bengasi gefordert, dass die politische Pattsituation im Land beendet werden müsse. Salame sprach bei dieser Gelegenheit auch mit Haftar, der einen Tag später wiederum mit italienischen Beamten zusammentraf, um Roms Unterstützung für das Vorgehen der LNA zu gewinnen und Möglichkeiten der bilateralen Zusammenarbeit auszuloten.

In Tripolis war ebenfalls im Februar 2019 der vom Westen hofierte Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch mit Khaled al-Mishri, dem Vorsitzenden des Obersten Staatsrats, zusammengetroffen, der gerade von einem Briefing aus Washington zurückgekehrt war. Denn die 2016 gebildete Übergangsregierung in Tripolis steckt in einer tiefen Krise - sie hat einen großen Teil ihrer Macht an Milizen im Land verloren. Die LNA wittert ihre Chance - einige Kommandeure hatten bereits früher gelobt, Tripolis schon bald zu befreien.