Blühpflanzen statt Ackergifte!

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Trotz Bürgerproteste werden immer neue bienengefährliche Chemikalien zugelassen. Währenddessen geht das Insektensterben weiter

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Südtirol ist das größte zusammenhängende Apfelanbaugebiet Europas. Von hier stammen mehr als zehn Prozent der europäischen Apfelernte. 95 Prozent der Südtiroler Obstproduzenten wirtschaften nach den Richtlinien des sogenannten integrierten Anbaus. Dieser schone die Widerstandskräfte der Natur und fördere gleichzeitig deren Ausbreitung durch gezielte ökologische Maßnahmen, heißt es in einer Werbebroschüre von 2016.

Eine Maßnahme sei das Anbringen von Nistkästen für Höhlenbrüter wie z. B. Meisen. Doch wovon sollen die Vögel leben, wenn alle Insekten mit Chemikalien getötet werden?

"Integrierter Anbau" - das bedeutet nichts anderes, als das Versprühen von Giften, um Schädlinge und Krankheiten zu bekämpfen. Im Obstanbaugebiet Vinschgau nahm das Umweltinstitut München 2018 an vier Standorten 29 Wirkstoffe näher unter die Lupe. Ergebnis: Die Pestizide verbreiten sich unkontrolliert über die Luft und sind häufig kilometerweit von ihrem Ausbringungsort nachweisbar.

"Auf über 1600 Höhenmetern in einem Seitental haben wir sechs Wirkstoffe gefunden", erklärte der Referent für Agrarpolitik des Umweltinstituts München, Karl Bär, gegenüber der Süddeutschen Zeitung, "mehrere Kilometer von den nächsten Obstplantagen entfernt". 55 der 68 in Südtirol verwendeten Pestizide, stehen auf der Liste hochgiftiger gesundheits- und umweltschädlicher Wirkstoffe - die giftigsten Chemikalien, die in der EU eingesetzt werden. In Südtirol ist nicht nur das Heu etlicher Biobetriebe mit Chemikalien belastet, in einer Untersuchung von 2017 wurden Pestizidrückstände auch auf Spielplätzen nachgewiesen.

Besonders giftig ist das Fungizid Captan, das gegen Pilzkrankheiten eingesetzt wird. Nachgewiesen wurden auch die Insektizide Thiacloprid und Imidacloprid, die zur Gruppe der Neonikotinoide gehören. Imidacloprid, das als "extrem giftig" für Bienen gilt, ist in Freilandkulturen inzwischen verboten.

Die Anwendung von Thiacloprid hingegen ist weiter erlaubt Dabei sind die Auswirkungen des so genannten Cocktail-Effektes, der Kombination verschiedener Substanzen, noch längst nicht hinreichend untersucht.

Wie hoch sind die Pestizidrückstände in Deutschland?

In welchem Maße sind eigentlich deutsche Bio-Äcker, Wohngebiete und Naturschutzflächen mit Pestiziden belastet? Um das herauszufinden, plant das Umweltinstitut ab April 2019 Messungen in unterschiedlichen Naturräumen, Schutzgebieten und Städten. An insgesamt 200 Messpunkten in der Luft sollen Pestizidrückstände untersucht werden. Auch für Glyphosat, das in Südtirol nicht getestet wurde, sollen Sammler aufgestellt werden. Rund 500 Wirkstoffe will die Organisation nach eigenen Angaben überprüfen. Die Ergebnisse sollen Anfang 2020 veröffentlichen werden.

Mehr als 40.000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe werden hierzulande jedes Jahr versprüht. Erst kürzlich hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), dem Agrarministerin Julia Klöckner vorsteht, 18 Ackergifte zugelassen - im Alleingang und ohne Zustimmung des Umweltbundesamtes (UBA). Die Pestizide enthalten unter anderem das umstrittene Glyphosat und das für Bienen giftige Cyantraniliprol.

Umweltministerin Svenja Schulze befürchtet negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, insbesondere auf Insekten. Wenn überhaupt, sollten sie unter strengen Auflagen zum Schutz der biologischen Vielfalt zugelassen werden und unter der Bedingung, dass die Landwirtinnen und Landwirte spätestens ab 2020 auf zehn Prozent ihrer Flächen "gänzlich" auf den Einsatz von Ackergiften verzichten.

Diese Vorgaben wurde vom BVL, der Verbraucherschutzbehörde Julia Klöckners, komplett sabotiert. Zwar gilt die Zulassung nur bis Jahresende, doch kann sie danach durch das BVL problemlos verlängert werden - ganz ohne die Zustimmung des UBA - ein klarer Verstoß gegen die Regeln des Zulassungsverfahrens gemäß dem Pflanzenschutzgesetz.

Aufgeweichtes Neonicotinoid-Verbot

Die Neonicotinoide Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam wurden als Granulat und Saatgut-Beizmittel in Zuckerrüben und Wintergetreide angewendet. Seit Ende April 2018 sind sie EU-weit im Freiland verboten.

Nun wird diese begrüßenswerte Maßnahme durch die Zulassung neuer gefährlicher Substanzen wieder zunichte gemacht und EU-weite Freilandverbot für die bienengefahrlichen Neonikotinoide wieder aufgeweicht. Konkret handelt es sich um die Wirkstoffe Sulfoxaflor, Cyantraniliprol und Flupyradifuron. Die drei neuen Insektengifte haben eine ähnlich verheerende Wirkung für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge und andere Insektenarten.

So können sie sich in Pflanzen, Boden und Wasser anreichern und dort schwerwiegende Schäden anrichten. Der Wirkmechanismus von Flupyradifuron und Sulfoxaflor ist sogar identisch: Schon in geringen Mengen sind sie tödlich für Bienen und andere Insekten. Dem Umwelinstitut München zu Folge wurde ein weiteres cyantraniliprolhaltiges Insektizid mit dem Einverständnis des Umweltbundesamts für den Einsatz auf Zierpflanzen in Gewächshäusern genehmigt.

Bereits im März 2018 forderten die Grünen des Brandenburger Landtages ein Einfuhrverbot von Rapssaatgut, das mit dem in Deutschland verbotenen Insektizid Cyantraniliprol behandelt wurde. Bei Ausbringung auf die Felder seien nicht nur erhebliche Verluste bei Bienen und Insekten zu befürchten, sondern auch Pestizid-Rückstände im Honig.

Imker wie Benedikt Polaczek warnen schon lange vor der Gefährlichkeit von Neonikotinoiden für Bienen. Der Agrarwissenschaftler, der seit mehr als 50 Jahren mit Bienen arbeitet, beobachtet, dass die Bienenvölker immer neue Krankheiten bekommen. Die Gifte beeinträchtigen nicht nur das Lernvermögen und die Orientierungsfähigkeit von Wild- und Honigbienen, sie lähmen und töten sie auch.