Bulgarisches Monopoly

Sofia. Bild: F. Stier

Fahrstuhl zum politischen Schafott

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Affären und Skandale lösen sich in Bulgarien in rascher Folge ab. "Ein Wunder dauert in Bulgarien drei Tage", lautet eine Volksweise dazu. Das aktuelle "Apartmentgate" erregt die bulgarische Öffentlichkeit aber bereits seit drei Wochen. Es hat zu einem in der jüngsten Vergangenheit präzedenzlosen Köpferollen geführt.

Die Justizministerin, die stellvertretenden Minister für Energie und Sport und der Vorsitzende der Parlamentsfraktion der Regierungspartei GERB mussten abdanken. Ihnen wird vorgeworfen, Wohnungen von der Baufirma Arteks entweder zu Spottpreisen erworben und dafür möglicherweise Gegenleistungen gewährt zu haben oder aber die Kaufpreise ihrer Wohnungen zu niedrig deklariert zu haben, um Steuern zu sparen.

Dass die Bulgaren beim Kauf ihrer Wohnung im notariellen Kaufvertrag einen niedrigeren Preis angeben als den tatsächlich bezahlten, ist nicht unüblich. Nach dem deklarierten Kaufpreis berechnet sich die fällige Grundsteuer. Dass aber hohe Politiker, die ständig den Kampf gegen die Korruption im Munde führen, dasselbe tun, findet Ivan Normalbulgare gar nicht gut. Wenige Wochen vor der Europawahl bringt Apartmentgate die Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissov in Bedrängnis. Umfragen zufolge liegt seine Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) in der Wählergunst nurmehr gleichauf mit der oppositionellen "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP).

Vor drei Wochen enthüllte die Nichtregierungsorganisation Anti-Korruptionsfonds (AKF), dass der amtierende GERB-Fraktionsvorsitzende im Parlament Tsvetan Tsvetanov von der Baufirma Arteks eine luxuriöse Dachwohnung mit separatem Fahrstuhl erworben hat, für einen Preis rund vier Mal unter dem marktüblichen. Wenige Tage später meldete das investigative Online-Medium Bivol, dass auch Justizministeriun Tsetska Tsatcheva, Ex-Kulturminister Veschdi Raschidov und die stellvertretenden Minister für Energie und Sport Wohnungen von Arteks Wohnungen weit unter Wert erhalten haben.

Die Enthüllungen von AKF und Bivol lösten einen Domino-Effekt aus; inzwischen wirft jeder seinem politischen Gegner Schummelei beim Wohnungskauf vor. Je nach politischer Orientierung und redaktioneller Linie verbreiten Medien derlei Verdachtsmomente gegen Staatspräsident Rumen Radev oder gegen Generalstaatsanwalt Sotir Tsatsarov, gegen BSP-Vorsitzende Kornelia Ninova oder den Vorsitzenden Richter des Obersten Kassationsgericht Losan Panov usw. usf.

Einer der brisantesten Vorwürfe richtet sich gegen Plamen Georgiev, Vorsitzender der "Kommission zur Gegenwirkung gegen Korruption und zum Entzug unrechtmäßig erworbenen Eigentums" (KPKONPI). Seine Aufgabe ist es, korrupte Geschäftspraktiken zu ermitteln und illegal erworbenes Vermögen zu entziehen. Doch nun steht er selber unter Verdacht, bei der Deklarierung seiner Vermögensverhältnisse die zu seiner Wohnung gehörende 186 Quadratmeter große Dachterrasse mit Sauna und Barbecue verschwiegen zu haben.

Bei seiner Rechtfertigung verstrickte sich Georgiev in Widersprüche und gab sich stur. "Ich werde mich mit diesen kompromitierenden Dummheiten nicht mehr befassen und mich nicht mehr erklären", konterte er kritische Journalistenfragen. Auf Aufforderung von Regierungschef Borissov ging er schließlich in Urlaub, um anstehende Ermittlungen gegen ihn nicht zu behindern. Dass er aus diesem zurückkehren könnte, um die Antikorruptions-Kommission wieder zu führen, ist unwahrscheinlich.

Neuestes Bauprojekt von Arteks. Bild: F. Stier

Die Vorwürfe gegen ihn hält Georgiev für eine "kompromitierende Attacke" von "Oligarchen, deren Vermögen wir beschlagnahmt haben, die Medien besitzen und 198 Millionen Gründe haben, gegen mich einen Krompromatenkrieg zu führen". Er spielt damit auf Ivo Prokopiev an. Dem Herausgeber des regierungskritischen Wirtschaftsblatts Kapital hat Georgievs KPKONPI Vermögenswerte in Höhe von 198 Mio BGN mit Beschlag belegt.

Die Affäre Apartmentgate hat Staatspräsident Rumen Radev inzwischen zur Einberufung des Konsultativen Rats für Nationale Sicherheit (KSNS) veranlasst. In ihm verständigen sich für gewöhnlich die Führer der parlamentarischen Parteien und Vertreter staatlicher Organe auf gemeinsame Maßnahmen im Krisenfalle. Nach gut dreistündiger Sitzung konnten sich die Rats-Teilnehmer am vergangenen Montag aber weder auf die Vorschläge des Präsidenten für Maßnahmen gegen die Korruption in den Höheren Etagen der Macht einigen noch auf eine gemeinsame Erklärung.

"Apartmentgate ist nur der Eisberg der Korruption", sagte Präsident Radev, als er nach der KSNS-Sitzung allein vor die Presse trat. Er rief die Bulgaren auf, unduldsam zu sein gegen jede Form der Korruption. "Meiner Ansicht nach wächst die Vertrauenskrise. Sie wird entweder durch energische Maßnahmen der zuständigen staatlichen Institutionen beherrscht werden oder sie wird sich vertiefen und zu völligem Verlust von Legitimität führen, mit unabsehbaren Folgen", warnte er. "Wir haben keine Zeit! Wir müssen zeigen, dass es einen Staat gibt und dieser Staat an seinem Platz ist."

In der Öffentlichkeit sei die Überzeugung verbreitet, dass es vielfältigen Missbrauch mit öffentlichen Mitteln in besonders großem Umfang gebe, kritisierte Radev. Die bulgarischen Politiker gäben den Anschein, über große finanzielle Ressourcen zu verfügen, Immobilien im In- und Ausland zu besitzen, durch Strohmänner große Firmen zu führen und Konten in Offshore-Zonen zu unterhalten, sagte der Präsident. Politiker und Staatsbeamte, die ihr ganzes Leben nur staatliche Gehälter bezogen hätten, schämten sich nicht, einen für die Bürger unerklärlichen Luxus zu demonstrieren, dies alles vor dem Hintergrund beleidigend niedriger Renten und minimaler Löhne. Für seine kritischen Äußerungen musste sich Radev von Ministerpräsident Borissov den Vorwurf gefallen lassen, er habe den Sozialisten ein Geschenk für den bevorstehenden Wahlkampf zum Europaparlament gemacht.

Ein zentrales Thema der Sitzung des Konsultativen Rats war auch die Arbeit der KPKONPI. Ein Vertreter der Kommission ließ sich auf der Sitzung aber nicht blicken. Stattdessem vervielfachte die KPKONPI-Führung in einer Presseerklärung den zuvor von ihrem beurlaubten Vorsitzenden Plamen Georgiev vorgebrachten Erklärungsansatz. "Die Attacke gegen die Kommission kommt von zwei Oligarchen und einer politischen Partei, für die es 2 Mrd und 200 Mio Gründe gibt, die sie motivieren, so etwas zu tun".

Wo sich die kleine und die große Korruption berühren

Das von seinem politischen Gewicht bedeutendste Opfer von Apartmentgate heißt Tsvetan Tsvetanov. Rund zehn Jahre war der stellvertretende GERB-Vorsitzende einer der mächtigsten Männer des Balkanlandes. Im Sommer 2009 berief ihn der neugewählte Regierugnschef Boiko Borissov zum Innenminister. Es folgte eine beispiellose Kampagne zur vorgeblichen Bekämpfung von Korruption und Organisiertem Verbrechen mit unzähligen großmaßstäblichen Polizeiaktionen und Hunderten von Festnahmen (Netzwerke von Kriminellen und Geheimdiensten).

Tsvetanov persönlich gab den Operationen originelle Alias-Namen wie Killerite (die Killer), Oktopod (Oktopus), Naglite (die Frechen), Peperudite (Schmetterlinge) oder Fakirite (die Fakire). Auf Pressekonferenzen führte Innenminister Tsvetanov en detail aus, was den Verhafteten jeweils zur Last zu legen sei, lange bevor die Polizeibeamte ihre Ermittlungen abschließen und die Staatsanwälte ihre Anklageschriften vor Gericht bringen konnnten.

In den wenigsten Fällen folgten Tsvetanovs Vorverurteilungen rechtskräftige Gerichtsurteile. Dafür wurde Bulgarien vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach wegen Verletzung von Bürgerrechten zu Strafzahlungen verurteilt, in der Summe in Höhe von mehreren hunderttausend Euro. Tsvetanovs Kritiker forderten deshalb, der GERB-Politiker solle sich mit eigenem Geld an den Bulgarien auferlegten Geldstrafen für die von ihm verantworteten Aktionen beteiligen. Dem kam Tsvetanov bisher nicht nach.

Bereits im Jahr 2010 sah sich Tsvetan Tsvetanov mit seinem ersten persönlichen Apartmentgate konfrontiert. Damals wurde bekannt, dass er, der stets lediglich staatliche Gehälter bezogen hat, in kurzer Zeit sechs Wohnungen erworben hatte. Dies brachte ihm den Alias-Namen "Tsetso, 6te Apatamenti" (Tsetso mit den sechs Wohnungen) ein. Wie eine Untersuchung der zuständigen Behörden schließlich ergab, verdankte er die finanziellen Möglichkeiten zum Erwerb mehrer Immobilien seiner Schwiegermutter.

Obwohl er in den Kabinetten Borissov II und III keine Ministerposten einnahm, blieb Tsvetanov als Vorsitzender der GERB-Parlamentsfraktion weiterhin eine von Bulgariens bestimmenden politischen Persönlichkeiten. Künftig bleibt ihm nur noch die Funktion des stellvertretenden GERB-Parteivorsitzenden und Wahlkampf-Organisators der Regierungspartei.

"Hier berühren sich die kleine und die große Korruption", kommentierte der Politologe Ivan Krastev in einem Interview für die Deutsche Welle das Apartmentgate. Die Leute seien so sauer, weil sie sich die zur Diskussion stehende Korruption lebhaft vorstellen könnten, während ein Diebstahl von 10 Mio USD angesichts von Durchschnittslöhnen von 550 € ihr Fassungsvermögen übersteige. Viele Bulgaren umgingen beim Wohnungskauf das Gesetz und sähen dies als zulässige Korruption, als eine Art Optimierung ihrer eigenen Ausgaben und Möglichkeiten. "Bei den Mächtigen sehen sie aber, dass dies auf ganz anderem Niveau betrieben wird und tatsächlich einen Handel mit Macht darstellt, bei dem es um große Summen Geld geht", sagt Krastev.

Nun schaue die bulgarische Öffentlichkeit genau auf die Immobilien der Macht. Dies werde es künftig erschweren, politischen Nachwuchs zu finden. "Denn jeder der in die Politik will, muss sich fragen, wie sieht es eigentlich mit meinen Apartments aus? Ob nicht auch ich einen viel zu niedrigen Preis deklariert habe, um weniger Steuern zu bezahlen?" Apartmentgate offenbart nach Ivan Krastev eine Erschöpfung der politischen Herrschaft von GERB und das Ende eines Zyklus in der bulgarischen Politik. "Dass die Affäre mit solcher Wucht ausgebrochen ist, liegt einfach daran, dass die Behörden über Jahre hinweg bewusst blind und untätig waren", sagt Nikolai Staykov vom Anti-Korruptionsfonds. Er hat eine Affäre ins Rollen gebracht, deren Ende noch nicht absehbar ist.