"Erdgas wird die neue Kohle"

Adriatic LNG terminal. Bild: Floydrosebridge/CC BY-SA-3.0

US-Politik verschärft Exportkrieg im europäischen Energiesektor

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Der US-Kongress bringt ein Gesetz auf den Weg, das die Energiepolitik der EU "positiv" beeinflussen soll. Die Importe von Fracking-Gas nach Europa steigen schnell an. Eine Fachkonferenz kritisiert bereits massive Überkapazitäten bei Erdgas.

Das Repräsentantenhaus in Washington hat Ende März eine besondere Gesetzesinitiative für Europa auf den Weg gebracht. Das "Gesetz für die Sicherheit und Diversifizierung der Europäischen Energieversorgung" soll der US-Regierung helfen, den russischen Einfluss auf den europäischen Energiemarkt zurückzudrängen. Kommt der Gesetzesentwurf durch den Senat, stehen dem Außenministerium in den kommenden beiden Jahren zusätzliche 580 Millionen Dollar aus Steuermitteln zur Verfügung, um Energieprojekte amerikanischer Unternehmen in Europa politisch und wirtschaftlich zu unterstützen.

Dabei geht es ausdrücklich auch darum, Infrastrukturen für Erdgas mit diplomatischen Mitteln und finanziellen Zuschüssen zu befördern. Bereits Barack Obama hatte im Außenministerium einen besonderen Posten für "Energiediplomatie" eingerichtet. In den vergangenen Jahren missionierten die verschiedenen "Energiebeauftragten" zahlreiche Regierungen in Europa, zuletzt insbesondere mit dem Ziel, die Pipeline Nord Stream 2 des russischen Unternehmens Gazprom zu behindern.

Diese Art der "Energiediplomatie" wollen die Abgeordneten aus dem Kongress nun offensichtlich massiv ausbauen. Das Ziel des Gesetzes mit dem Kürzel "H.R. 1616" besteht darin, der weiter boomenden Fracking-Industrie einen größeren Exportmarkt in Europa zu verschaffen. Die Initiative ging problemlos durch das Parlament, zunächst weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Eingebracht hat den Entwurf Adam Kinzinger, ein junger republikanischer Abgeordneter aus Illinois.

Der ehemalige Luftwaffenoffizier hatte bereits maßgeblich an dem "Countering Foreign Propaganda and Disinformation Act" mitgewirkt, einem Gesetz, das als Reaktion auf die angebliche russische Einmischung in den US-Wahlkampf des Jahres 2016 erlassen worden war. Allerdings fanden die republikanischen Initiatoren für das neue Gesetz auch vier Abgeordnete der Demokraten, so dass sie ihr Projekt für mehr Fracking-Exporte nach Europa als überparteiische Initiative einbringen konnten.

Der Gesetzestext beschreibt, dass die "wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen" der USA darin bestehen, die europäischen Länder darin zu unterstützen "Energiesicherheit" zu erreichen, indem sie ihre Energiequellen und Versorgungswege "diversifizieren". Diese Formulierung hat sich in den letzten Jahren als Code dafür etabliert, russische Anbieter aus dem EU-Markt zu verdrängen. Indem man "öffentliche und private Investitionen der Vereinigten Staaten in europäische Energieinfrastrukturprojekte" fördere, sowie die "Ausfuhr von Energietechnologie und Fachwissen der Vereinigten Staaten in die Weltmärkte" unterstütze, trage das Gesetz zur Nationalen Sicherheit der USA bei.

Der Außenminister leistet der Europäischen Kommission und den europäischen oder eurasischen Ländern gegebenenfalls in Abstimmung mit den in Unterabschnitt (a) beschriebenen Leitern der Agenturen diplomatische und politische Unterstützung, auch durch Nutzung des diplomatischen und politischen Einflusses und der Expertise des Außenministeriums, um die Fähigkeit dieser Länder aufzubauen, etwaige Hindernisse für die Entwicklung von Projekten, die nach Unterabschnitt (b) ausgewählt wurden, zu beseitigen.

European Energy Security and Diversification Act of 2019

Bisher hat die amerikanische Energiepolitik die Öl- und Gaskonzerne zwar mit diplomatischen Mitteln unterstützt. Dass die öffentliche Hand jedoch direkt Projekte der Energiemultis subventioniert, wie es in dem Entwurf vorgesehen ist, würde ein absolutes Novum bedeuten.

Unter amerikanischen Umweltverbänden regt sich inzwischen Unmut, weil beinahe sämtliche Abgeordnete der Demokraten für das neue Gesetz gestimmt haben, darunter auch Parteilinke wie die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Sie hat in den vergangenen Monaten eine Kampagne für einen "Green New Deal" gestartet. Nur zehn Abgeordnete der Demokraten stimmten nicht mit ab, darunter auch sechs Mitglieder des "Progressiven Parlamentsausschusses", in dem sich die neue Linke der Demokraten organisiert.

Umweltaktivisten gehen davon aus, dass das Gesetz dafür sorgen wird, der Fracking-Industrie in den nächsten Jahrzehnten ausreichend Gewinne zu sichern. Das Magazin Paste kritisiert, dass das Gesetz zwar als Maßnahme verkleidet sei, um die "Energiedominanz Russlands in Europa und Eurasien" zu brechen. Tatsächlich gehe es jedoch darum, den amerikanischen Energiekonzernen neue Exportmärkte zu erschließen.

Bemerkenswert an dem neuen amerikanischen Gesetz ist auch, dass es ganz offen konkrete Maßnahmen fordert, um die Gesetzgebung in der EU zu beeinflussen. So formuliert der Entwurf, dass mit den bereit zu stellenden Mitteln "die Europäische Kommission und diese Länder diplomatisch und politisch zu unterstützen" seien, um "internationale Verhandlungen über grenzüberschreitende Infrastrukturen zu erleichtern". Außerdem soll das "Regulierungsumfeld", sprich die Gesetzgebung Europas "in Bezug auf Energie verbessert" werden.

Neues Treffen von EU-USA-Energierat: "In Richtung großer US-amerikanischer LNG-Exporte auf den Gasmarkt der EU"

Auch wenn es sehr ungewöhnlich ist, dass das Repräsentantenhaus ein Gesetz erlässt, das ausdrücklich darauf abzielt, die Gesetzgebung in der EU im Sinne der USA zu verbessern, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die verschiedenen US-Regierungen bereits seit zehn Jahren eine entsprechende Politik verfolgen. So trifft sich etwa Anfang Mai in Brüssel erneut der EU-USA-Energierat. In diesem Gremium kommen bereits seit zehn Jahren die Spitzenpolitiker der USA mit Vertretern der Europäischen Kommission zusammen.

Lange vor dem Umsturz in der Ukraine im Februar 2014 planten die Außen- und Energiepolitiker dort die "Energiesouveränität der Ukraine", sprich eine Abtrennung des ukrainischen Energiesektors von russischen Unternehmen und zukünftige Exporte der Fracking-Industrie nach Europa. Auch auf dem für den 2. Mai avisierten Treffen wird es darum gehen, die Importe von gefracktem amerikanischem Erdgas in die EU weiter anzukurbeln.

Die Veranstaltung trägt den Titel: "In Richtung großer US-amerikanischer LNG-Exporte auf den Gasmarkt der EU: Wettbewerbsfähige Preise, Infrastrukturinvestitionen und technologische Innovationen."

In einer Erklärung versicherten die Brüsseler Funktionäre, sie seien bereit, mehr Importe von verflüssigtem Erdgas aus den USA zu ermöglichen, wenn "die Marktbedingungen stimmen und die Preise wettbewerbsfähig" seien. Dies werde es den US-Exporteuren ermöglichen, ihre europäischen Märkte "weiter zu diversifizieren" und gleichzeitig zu den Zielen der EU, nämlich "Versorgungssicherheit und Diversifizierung", beizutragen, so die bekannte gemeinsame Sprachregelung.

Die EU-Kommission zeigt sich sichtlich bemüht, der amerikanischen Regierung zu belegen, dass sie es mit den Fracking-Importen ernst meint. So verweist sie in ihrer Erklärung darauf, dass die EU bereits LNG-Infrastrukturprojekte im Wert von über 656 Millionen Euro aus Steuermitteln mitfinanziert oder dies zumindest zugesagt habe. Zusätzlich zu den schon bestehenden 150 Milliarden Kubikmetern an freien Kapazitäten innerhalb der EU unterstütze sie weitere acht LNG-Projekte, welche die Importkapazität bis zum Jahr 2023 um weitere 22 Milliarden Kubikmeter erhöhen werden. Darin sind die in Deutschland geplanten Terminals noch nicht berücksichtigt.

Seit dem Deal zwischen Trump und Juncker (Schleusen auf für Fracking-Gas) seien die Importe von LNG aus den USA bereits um 181 Prozent gestiegen, wie die EU-Kommission bekannt gab. In den ersten Monaten des Jahres 2019 waren die USA mit einem Anteil von 12,6 Prozent an den EU-LNG-Importen bereits der drittgrößte Anbieter von LNG in Europa. Auch bei gefracktem Erdöl steigen die US-Exporte: Ende letzten Jahres exportierten US-Unternehmen nach Angaben der amerikanischen Energieagentur mehr als 3,2 Millionen Barrel pro Tag. Mit einem Saldo von täglich 211.000 Fässern war das Land damit erstmals Nettoexporteur.

Bundesregierung schenkt LNG-Importeuren Millionen

In Deutschland schlägt sich die neue Exportmacht der US-Unternehmen vor allem in den Planungen für neue LNG-Import-Terminals nieder. Hierzulande zeichnet vor allem Wirtschaftsminister Altmaier dafür verantwortlich, dass der amerikanische Chemiekonzern Dow sowie eine Gemeinschaft von ExxonMobile und Uniper jeweils ein großes Terminal in Niedersachsen planen. Neben Stade und Wilhelmshafen soll ein weiteres LNG-Termin in Brunsbüttel entstehen, geplant von dem Konsortium German LNG (Weltpolitik in Norddeutschland).

Zwar betont Peter Altmaier unermüdlich, dass hinter den umstrittenen Projekten kein "Deal" mit der US-Regierung stehe. Allerdings nahmen die geplanten LNG-Projekte offensichtlich ihren Ausgangspunkt nach den Handelsgesprächen zwischen dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, und US-Präsident Donald Trump. Sie hatten sich am 25. Juli 2018 darauf geeinigt, die "strategische Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA auch im Energiebereich zu verstärken".

Nach einem Treffen mit den Investoren brachte Altmaier eine exklusive Gesetzesänderung auf den Weg, um den Gaskonzernen ein Millionen-Geschenk zu machen. Zukünftig sollen die Anbindungskosten der geplanten LNG-Terminals größtenteils auf die Netzentgelte umgelegt werden. Damit werden die Betreiber von 90 Prozent der Kosten befreit. Allein beim geplanten LNG-Terminal in Brunsbüttel wäre eine 50 Kilometer lange Leitung notwendig, welche die German LNG ungefähr 80 Millionen Euro gekostet hätte.

Konkret würde Altmaiers Initiative die German LNG um insgesamt 78,3 Millionen Euro Investitionskosten entlasten. Für Dow in Stade und Uniper in Wilhelmshaven würde die neue Regelung eine finanzielle Entlastung von zusammen 55,8 Millionen Euro bedeuten. Darüber hinaus lud der Wirtschaftsminister die Energiekonzerne ausdrücklich ein, öffentliche Fördermittel aus den Haushalten der Länder und des Bundes zu beantragen.

Die Investoren machen gar kein Geheimnis daraus, dass sich die Investitionen unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht lohnen würden. So erklärte der für das LNG-Geschäft bei Uniper verantwortliche Manager Niels Fenzl, man rechne "Spitz auf Knopf". Dennoch benötige Uniper für das LNG-Terminal in Wilhelmshaven staatliche Fördermittel. Der Grund dafür ist allgemein bekannt: LNG ist wegen der hohen Kosten für die Verflüssigung und den Transport deutlich teurer als Gas, das per Pipeline, etwa aus Russland, geliefert wird. In der Vergangenheit waren Pläne für ein deutsches LNG-Terminal immer an der mangelnden Wirtschaftlichkeit gescheitert.

Umweltpolitisch schädlich

Die Opposition gegen die neuen LNG-Terminals macht sich allerdings weniger daran fest, dass sie betriebswirtschaftlich unrentabel, sondern, dass sie umweltpolitisch schädlich und energiewirtschaftlich unnötig sind. Insbesondere bei der Förderung mithilfe von Fracking und dem Transport von LNG fallen gigantische Mengen von Methan-Schlupf an, ein Treibhausgas, das weitaus schädlicher ist als CO2. Darüber hinaus behindern neue Infrastrukturen für den Erdgasimport die Energiewende, indem sie Infrastrukturen schaffen, die den erneuerbaren Energien Konkurrenz machen.

Am vergangenen Montag führte die Fraktion Die Linke zu diesem Thema ein Fachgespräch im Bundestag durch. Für das DIW verwies Professor Christian von Hirschhausen darauf, dass das deutsche Stromsystem problemlos bis zum Jahr 2030 aus erneuerbaren Energien gespeist werden könne - und zwar vollständig. Auf dem Energiemarkt ständen heute vor allem elektrische Speichertechnologien in Konkurrenz zu Erdgas, weil sie Erdgas perspektivisch überflüssig machen. Mit Blick auf die Protestbewegung gegen Braun- und Steinkohle sowie auf die Bewegung Friday for Future meinte Hirschhausen, dass "Erdgas die Kohle von morgen" sei.

Sebastian Scholz, Klima- und Energieexperte beim NABU Deutschland, kritisierte die Argumentation der Gasindustrie, dass LNG angeblich nötig sei, um den Transport, speziell den LKW- und Schiffsverkehr. zu dekarbonisieren. Durch die Leckagen bei der LNG-Herstellung und die enorme Klimawirksamkeit von Methan könne der Treibhauseffekt von LNG sogar noch über dem von Kohle und Schwerölen liegen. So gehe man aktuell davon aus, dass bei der Gasgewinnung durch Fracking bis zu 12 Prozent der gesamten Fördermenge in die Atmosphäre entweiche. Wie auch andere Experten forderte er ein internationales Monitoring von Methan-Emissionen, um mehr Klarheit über Leckagen und die eigentliche Klimabilanz von Erdgas zu erhalten.

Vertreter von Friday for Future, die bei der Anhörung ebenfalls anwesend waren, stellten ihren am selben Tag veröffentlichten Forderungskatalog vor. Darunter befinden sich Punkte, auf die sich wahrscheinlich alle anwesenden Experten, vielleicht sogar eine gesellschaftliche Mehrheit einigen könnte: Sie fordern ein sofortiges Ende der Subventionen für fossile Energieträger sowie eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. "Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen."

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