Finnland - Sieg der politischen Nostalgie

Finnisches Parlament. Bild: Lauren Stevens/CC BY-SA-2.0

Die Sozialdemokraten (SDP) und rechten "Die Finnen" (PS) in der Parlamentswahl vom Sonntag nach den letzten Hochrechnungen Kopf an Kopf

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Die SDP führt mit 17,7 vor der PS mit 17,5, die regierende Zentrumspartei (KESK) mit Premierminister Juha Sipilä konnte nur 13,8 Prozent der Wähler überzeugen, ihr konservativer Koalitionspartner, die "Nationale Sammlungspartei" (KOK), liegt bei 17 Prozent, der dritte Koalitionär, "die Blauen", ist mit einem Prozent der Wähler weit abgeschlagen.

Gewonnen hat somit die politische Nostalgie: Die Sozialdemokraten unter dem Gewerkschafter Antti Rinne wollen zurück zum skandinavischen Wohlfahrtsstaat, "Die Finnen" zum alten Finnland der 70er und 80er Jahre, als es kaum Migranten gab und sie mit anderen Zumutungen des modernen Lebens wie Klimaschutz und Gendertheorie verschont wurden.

Premier Juha Sipilä kann zwar auf einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 9,5 Prozent seit Regierungsbeginn auf 6,2 Prozent verweisen. Doch der ehemalige Unternehmer löste die Regierung Anfang März eigenmächtig auf, da er im Parlament keine Mehrheit für seine Sozial- Gesundheitsreform fand, an der die finnischen Regierungen schon seit 14 Jahren herumdoktern.

Die Gegner befürchteten zu harte Schnitte vor allem für die Bewohner auf dem Land. Der Quereinsteiger Sipilä nötigte zudem den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften mit seinen Sanierungsmaßnahmen einiges ab - mehr Flexibilität wurde von ihnen verlangt, die Arbeitnehmerrechte wurden ebenso wie die soziale Sicherheit reduziert. Als dann Skandale um den Standard in Pflegeheimen hochkochten, konnte die SDP punkten. Sie hatte nach den Wahlschlappen der letzten Jahre eine App entwickelt, in der sie mehr Nähe zu den Staatsbürgern aufbauen konnte, zudem entwickelte sie Perspektiven mit dem Grundsatzprogramm "Finnland 2030".

Schwierige Regierungsbildung

Doch ob Rinne den Wohlfahrtstaat stärken kann, bleibt fraglich. "Ich habe auf ein besseres Ergebnis gewartet, dies muss fairerweise gesagt werden. Ich hatte erwartet, dass die Unterstützung bei 20 Prozent liegen würde." Die SDP lag lange in den Umfragen weiter vorn und hat trotz ihres Sieges das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Erstmals kam in Finnland keine Partei über 20 Prozent.

Die Koalitionsaussichten gelten als schwierig, mit "Den Finnen" will niemand koalieren, doch ignorieren kann man sie nicht mehr. "Ich glaube nun, andere Parteien haben die Hoffnung aufgegeben, dass Die Finnen eine Anomalie wären, die verschwindet, wenn sie lange genug warten. Es war vielleicht das Wichtigste an diesem Ergebnis: dass wir zu einem normalen Teil des politischen Systems geworden sind", erklärte Jussi Halla-aho am Montag.

Dabei sah es eher so aus, dass die Finnen ohne ihren ehemalige Frontfigur Tino Soini auf verlorenem Posten stünden. Soini, der die Partei 1995 damals noch mit dem Namen "Die wahren Finnen" mitgründete und 1997 den Parteivorsitz übernahm, wurde 2015 Außenminister unter Juha Sipilä. Als er 2017 Halla-aho den Parteivorsitz überließ, musste Soini die Blauen ausgründen, da Sipilä die ausländerfeindlichen Sprüche des studierten Philosophen und Altslawisten nicht akzeptierte (Ende der Rechtspopulisten).

War Soini mit seiner Fünfziger-Jahre-Figur, den Cowboy-Stiefeln, dem blauen Fußballschal und dem gelegentlich ungehobelten Auftreten eine bunte, skurille Figur, so ist der 47-jährige Halla-aho das Gegenteil. Er hat das Aussehen eines Kirchenchorleiters, faltet gerne die Hände zusammen, schaut ungern ins Publikum, sondern lieber auf das Pult und nuschelt dabei.

Gegen Ausländer und "Klimahysterie"

Im Dezember lag seine Partei bei gerade mal acht Prozent. Doch Sexualverbrechen von Flüchtlingen nutzte er, um allgemein gegen Nicht-Finnen zu hetzen. Wie die rechten Schwedendemokraten verabschiedete sich seine Partei angesichts des Brexits von dem Wunsch, die EU zu verlassen, will jedoch die Arbeitnehmerfreizügigkeit abschaffen, um Verhältnisse wie in Großbritannien zu vermeiden und so weniger Ausländer nach Finnland zu lassen.

Zudem bescherte ihm der Greta-Thunberg-Hype einen weiteren Gegner. "Wir wollen nicht, dass die Köpfe unserer Schulkinder mit Klimahysterie und Geschlechtsverkehr verwirrt werden", sagte Halla-aho, der die Klimadiskussion für eine Ursache des finnischen Geburtenrückgangs hält.

Eine Spitze gegen die anderen Parteien, die sich dem Klimaschutz verschrieben haben, auf übertriebene Weise, wie "Die Finnen" denken. Vor allem gegen den Sozialdemokraten unter Antti Rinne, der fossile Brennstoffe abschaffen und rotes Fleisch hoch besteuern will. Aber auch gegen die Grünen, die aus Klimaschutzgründen die Holzindustrie mit strengen Auflagen für das Bäumefällen reglementieren wollen. Das Wohl des holzverarbeitenden Gewerbes ist vielen Finnen heilig.

Halla-ahos Art, mit sehr ruhiger Stimme sehr harte Sätze zu sagen, scheint derzeit einen Nerv in Finnland zu treffen, nach Analysen der finnischen Medien haben sie vor allem den Sozialdemokraten in den letzten Wochen Wähler abgeworben. Wohl auch deswegen, weil Rinne abgelehnten Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis zukommen lassen will. Mit den rechten Schwedendemokraten, die ebenfalls bei den Wahlen im September einen Zuwachs verzeichneten, arbeiteten sie eng zusammen, obwohl die finnischen Rechten den schwedischen Kultureinfluss zurückdrängen wollen.

Die Frage ist nun, mit wem die Sozialdemokraten regieren können. Wenn auch Finnland eine Mehrparteienregierung gewöhnt ist, so sieht es diesmal schwierig aus.

Die Sozialdemokraten haben sich im Wahlkampf klar gegen die Zentrumspartei positioniert und würden sich mit einer Koalition unglaubwürdig machen. In Frage kämen als größere Partner die Grünen (VIHR), die bei 11,3 Prozent liegen, sowie die "Nationale Sammlung", letztere hat jedoch eine dezidiert wirtschaftsliberale Ausrichtung. Einig sind sich alle Parteien bis auf die "Finnen" auf eine Verschärfung der Klimamaßnahmen. Bis zum Jahr 2030 soll die Erzeugung von Strom nahezu emissionsfrei werden.

Vermutlich werden die "Finnen" in der Opposition verharren und von dort Druck gegen die Migrationspolitik und Klimapolitik aufbauen. Finnland sollte bald eine stabile Regierung bilden, da das Land ab Juli den Vorsitz im Rat der EU einnehmen wird.

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