Wann ist tot tot?

Grafik: TP

Während in Deutschland die Organspende zum Normalfall erklärt werden soll, wird in der Schweiz der Hirntod als Kriterium für den eingetretenen Tod angezweifelt

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In Deutschland geht man zumeist davon aus, dass der Mensch mit dem Eintreten des Hirntodes sein Leben ausgehaucht hat, ein Bild, das im Übrigen aus dem Alten Testament stammt und als Geweihter Atem/Heiliger Geist die christliche Theologie bis heute beeinflusst, hatte doch der aus Lehm geformte Adam sein Leben erst durch das Einhauchen des göttlichen Atems erhalten. Mit dem Hirntod hat man in der europäischen Kultur den Tod eines Menschen definiert, auch wenn es heute möglich ist, viele lebenswichtige Körperfunktionen mit externen Mitteln anzusteuern, so dass sogar eine hirntote Frau ein gesundes Kind zur Welt bringen kann

In Deutschland will man auf der Basis der Definition des Hirntods jetzt die Entnahme von Organen zum Zwecke der Transplantation erleichtern, indem man auf die mit einem Testament vergleichbaren Einwilligung zu Organentnahme verzichten, die Organspende zum Normalfall erklären und für ihre jeweilige Ablehnung eine aktive Erklärung fordern will. Diese Widerspruchsregelung hat einigen Widerspruch herausgefordert. Dagegen gibt es in der Schweiz eine Ärzteinitiative, welche dafür plädiert, die Organentnahme bei Hirntoten zu verbieten.

Die erste Herztransplantation gelang dem südafrikanischem Chirurgen Christiaan Barnard am 3. Dezember 1967 im Groote-Schuur-Krankenhaus in Kapstadt. Zwar überlebte der 53 Jahre alte, aus Litauen stammende Gemüsehändler Louis Washkansky die Operation nur um 18 Tage, dies galt jedoch damals als großer Erfolg der Transplantationsmedizin. Das Herz stammte von der 25-jährigen Bankangestellten Denise Ann Darvall, die bei einem Verkehrsunfall tödliche Hirnverletzungen erlitten hatte.

Ihr Vater gab die Zustimmung für die Entnahme des Herzens. Das war damals vergleichsweise unbürokratisch möglich. Inzwischen lässt sich die Abstoßung eines transplantierten Organs besser vermeiden und somit hat sich die Lebenserwartung der Menschen, welchen ein Organ eingepflanzt wird, deutlich erhöht. Und mit der Operationsroutine nahm auch die Zahl der Transplantationen zu, was manchen Organempfängern ein neues Leben nicht nur versprochen, sondern auch ganz praktisch ermöglicht hat. Und wer Menschen kennt, deren Weiterleben von einem gespendeten Organ abhing, kann einschätzen, welche Bedeutung die Organspende für diese Menschen hat.

Da in Deutschland die Zahl der Organspender nicht so ansteigt wie der Organbedarf, sucht man nach Möglichkeiten, also etwa 10.000 Menschen auf eine Organspende warten, aber im vergangenen Jahr nur 800 Spender gefunden werden konnten, sucht man nach Möglichkeiten, die Spende und damit die Organentnahme organisatorisch zu vereinfachen. In Frankreich, Italien, Österreich, Polen, Portugal, Spanien und der Türkei sowie den Niederlanden gilt heute bereits die Widerspruchslösung.

Wann ist ein Mensch tot?

In Dänemark, Großbritannien, Litauen, Rumänien und der Schweiz gilt die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung. Dabei müssen die Angehörigen stellvertretend für die verstorbene Person über die Organentnahme entscheiden, falls der Verstorbene zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen und dokumentiert hat. Und in der Schweiz, wo im vergangenen Jahr 126 Personen nach ihrem festgestellten Hirntod zu Organspendern wurden und jetzt auch über eine Widerspruchslösung nachgedacht wird, regt sich inzwischen Widerstand dagegen, dass der Hirntod als Kriterium dafür genutzt wird, Organe aus einem menschlichen Körper entnehmen zu dürfen. Herzen oder Lungen aus einem noch lebenden Körper zu schneiden, sei ein massiver kultureller Bruch, meint der von Ärzten und Pflegefachleuten neu gegründete Verein Äpol, der ein Totalverbot von Organspenden von Hirntoten durchsetzen will.

Dem Verein geht es nach eigener Aussage darum, dass durch eine Organentnahme der natürliche Sterbeprozess gestört werde und für die Angehörigen eines potentiellen Organspenders eine aktive Begleitung des Sterbevorgangs verunmöglicht würde. Da man für die Transplantation von Organen diese im Spender mit technischer Hilfe in ihrer Funktion erhalten muss, weil sich tote Organe nicht mehr verpflanzen lassen, müsse man davon ausgehen, dass die betreffende Person noch lebe. Es gebe bislang keinen Beweis, dass Hirntote nichts mehr empfinden könnten und dass sie somit möglicherweise unter einer Operation leiden könnten, die sie faktisch töte.

Wenn man sich allerdings von der Vorstellung des Hirntodes verabschieden will, ist die Medizin gezwungen, sich bei der Transplantation auf solche Organe zu beschränken, die für den Spender nicht lebensnotwendig sind, weil er mindestens zwei davon hat und mit diesen weiterleben kann. Für alle anderen Menschen wäre die Hoffnung auf ein transplantiertes Organ damit erloschen. Da stellt sich die Frage, ob der Vorgang des individuellen Sterbens bedeutender sein soll als die Möglichkeit, einem anderen Menschen ein Weiterleben zu ermöglichen.

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