Post aus Japan: Brücke zur Kreativität

Nippons Konzerne wollen vom Silicon Valley lernen. Hitachi versucht, ein altes Forschungszentrum durch neue Methoden umzuwandeln.

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Post aus Japan: Brücke zur Kreativität

(Bild: Hitachi)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Norihiro Suzuki hatte in Amerika eine Idee. Warum, so fragte sich der heutige Vizepräsident und Cheftechnologe des japanischen Technikriesen Hitachi, importieren wir nicht den Innovationsgeist aus dem Silicon Valley und anderen amerikanischen Technikhochburgen nach Japan. Vorige Woche weihte er nun die Verwirklichung seines Geistesblitzes in Tokio ein: den Kyoso-no mori, den Wald der Co-Kreation.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Hinter dem Namen versteckt sich ein altes Forschungslabor im neuen Gewand. Nach mehrjährigen Bauarbeiten wurde im Zentrallabor Hitachis in der Tokioter Vorstadt Kokubunji ein neues Gebäude eingeweiht, in dem die Ingenieure des Konzerns und der Kunden gemeinsam Ideen austauschen und Technologien weiterentwickeln sollen.

Dabei versuchten die Japaner, Tradition und Moderne behutsam zu verbinden. Das Ergebnis ist eine Materialisierung einer Innovationsphilosophie des Gründers Namihei Odaira, der durch Produkte zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen wollte und überdies Pioniergeist sowie Harmonie zu verbinden suchte.

Schon bei der Anfahrt haben Forscher Zeit, ihr berufliches Gedankenkarussell von Bahnstation zu Bahnstation zu bremsen. Rund 40 Minuten dauert die Fahrt vom Bahnhof Tokio nach Kokubunji im Westen der Präfektur Tokio. Dann sorgt ein achtminütiger Fußweg zum Haupttor des Labors für eine bessere Durchblutung von Gliedmaßen und Gehirn, bevor die Kreativen einen kleinen wilden Wald betreten, der das Zentrallabor umgibt.

Nach ein paar Schritten tritt der ehrwehrte Besucher auf ein weiteres Kreativitätsportal, das den Geist auf Innovation zum Wohle der Menschheit einstellen soll: die Henjin-Bashi führt über eine kleine Urwaldschlucht zum eigentlichen Empfangsgebäude.

Wenn man die Schriftzeichen nicht sähe, könnte man den Namen als "Brücke der Exzentriker" verstehen. Tatsächlich nimmt die Bezeichnung jedoch auf eine alte konfuzianische Idee Bezug.

"Jin", oder auf Chinesisch "ren", wird gerne mit Wohltätigkeit übersetzt. Doch der Begriff beschreibt das (gute) Gefühl einer selbstlosen Wohltat. Das erste Wort "hen" steht dabei für Erwiderung oder Wiedergeben. Es geht also darum, selbst Ideen zu geben, um neue Einsichten zu empfangen. Das Prinzip ist Hitachis Gründern so wichtig gewesen, dass sie ihre Alumni-Vereinigung Henjin-Vereinigung nannten.

Auch die Struktur der Gebäude hat eine Bedeutung gewonnen, obwohl sie sicherlich der vorhandenen Bebauung entsprang. Wie ein Riegel liegt am Ende der Brücke das alte Hauptgebäude aus den 1950er Jahren. Hier wird neueste, schon verfügbare Technik präsentiert, hier liegen erste Konferenzräume.

Der Eingang und der Durchgangsbereich im Erdgeschoss wurden architektonisch nett für das Digitalzeitalter herausgeputzt – mit viel Holz und natürlichem Stein. Am Eröffnungstag wird zudem eine Sammlung neuester Produkte demonstriert.

Am meisten hat mich ein Ultraschallgerät fasziniert, das mit neuer Hard- und Software "ausbildungsfreien" Ultraschall erlauben soll. Der Ultraschallemitter nutzt dabei Mems (Mikro-elektromechanische Systeme), um die bisher notwendigen speziellen Ultraschallköpfe für diverse Organe durch ein Gerät ersetzen.

Zudem wird die Auflösung der Messungen erhöht. Und zu guter Letzt ermöglicht das Gerät durch den Einsatz künstlicher Intelligenz auch weniger gut geschultem Personal in deutlich kürzerer Zeit hochwertige Ultraschallaufnahmen von Organen zu erstellen als bisher.

Danach geht es in einem überdachten Zickzackkurs zu einem neuen Gebäude, das die eigentliche Zone der Kooperation darstellt. Sitzecken unter den Bäumen laden die Forscher zum Diskutieren oder Entspannen im Freien ein. Und im Gebäude geht es dann in den Räumen modern lichtdurchflutet und geräumig zu.

Teilweise handelt es sich dabei auf den ersten Blick nur um kleine Verbesserungen bekannter Ideen. Mit "Bunji-Point" testet Hitachi in der Nachbarschaft des Labors schon eine App, die das bargeldlose Bezahlen wieder persönlicher machen sollen. Bei diesem Dienst wird der Kaufpreis auf dem Handydisplay dargestellt – und zudem zwei Schaltfelder. Auf die drücken dann Kunde und Verkäufer gleichzeitig, um den Zahlvorgang abzuwickeln. Dies soll den beiden Geschäftsteilnehmern die Gelegenheit zu etwas zwischenmenschlichem Kontakt und womöglich Konversation geben.

Dahinter kommt Gebäude Nummer drei, wo Prototypen und Hardware hergestellt werden. So wird die gesamte Wertschöpfungskette der Kreativität vom Konflikt zwischen Jetzt und der Idee über die Kooperation bis zur Schaffung eines Produkts räumlich nachvollzogen. Innovation als räumliches Flussdiagramm, das ist ein interessanter Ansatz.

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