Syrien - Christen in Angst

Religionen in Syrien (Stand 2011). Grafik: TP

Die Staatsform im zukünftigen Syrien ist für Christen von existenzieller Bedeutung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn heute von Syrien gesprochen wird, muss dringend berücksichtigt werden, dass Syrien als einheitliches politisches Gebilde nicht mehr existiert. Auch wenn dieser mehrheitlich arabisch-muslimische Staat Mitglied der UNO ist, kann von einer vollständigen Souveränität dieses Staates nicht gesprochen werden.

Die Lage in dem vom Bürgerkrieg erschütterten Land Syrien ist sehr komplex. Die in einen brutalen Bürgerkrieg gemündete Revolte vom März 2011 führte nach und nach zu einem faktischen Zerfall des Staates. Die Arabische Republik Syrien ist heute (April 2019) in mindestens fünf Machtbereiche eingeteilt.

Der größte Teil des Landes, etwa 58%, ist unter Kontrolle des Regimes von Baschar al-Assad; etwa 27% werden von den "Syrischen Demokratischen Kräften" (SDF), einem Militärbündnis, das von Kurden angeführt wird, kontrolliert; etwa 11% werden von Hai'at Tahrir asch-Scham (HTS), einem Ableger des Terrornetzwerkes al-Qaida, beherrscht; etwa 3% sind von der Türkei besetzt und der Rest wird von den USA und Milizen gehalten.

Der IS hat bis Frühjahr 2019 nahezu alle "seiner" Gebiete entweder an die SDF oder an die syrische Armee verloren. Dementsprechend ist die Lage der Christen im Irak und in Syrien davon abhängig, wer gerade das Gebiet oder die Ortschaft, die von Christen besiedelt ist, beherrscht.

Zwei bis drei Millionen Christen in Syrien bis 2011

Nach Ägypten war Syrien bis zum Ausbruch der Revolte im März 2011 das Land mit der größten christlichen Minderheit im Nahen Osten. Dort lebten zwei bis drei Millionen Gläubige. Diese syrischen Christen sind hinsichtlich ihrer Konfessionen sehr unterschiedlich, da es eine Vielfalt von christlichen Kirchen in Syrien gibt.

Mit etwa einer Million Gläubigen machten die Rum-Orthodoxen den größten Anteil der Christen in Syrien aus. Sie sehen sich allgemein gesagt als Repräsentanten eines arabischen Christentums, das die islamische Kultur als konstitutiven Rahmen akzeptiert. Zum Ausdruck kommt dieses Selbstverständnis in der Liturgie der Rum-Orthodoxen, die ausschließlich auf Arabisch gehalten wird.

Die Syrisch-Orthodoxen dagegen legen im Vergleich zu den Rum-Orthodoxen sehr großen Wert auf die Selbständigkeit ihrer Kirche, was in ihrer Liturgie sichtbar wird, die auf Syrisch gefeiert wird. Dafür wurden sie einst von den Rum-Orthodoxen verfolgt. Viele Syrisch-Orthodoxe, besonders im Norden von Syrien, sind Nachfahren von Geflüchteten.

Nach der Verfolgung und dem Genozid an bis zu 500.000 Christen aller Konfessionen im Gebiet der heutigen Südosttürkei im Ersten Weltkrieg hatten viele Überlebende in Syrien Schutz gesucht. Die 62.000 syrisch-katholischen Christen, deren Kirche mit der römisch-katholischen Kirche uniert ist, stellen eine Abspaltung von der syrisch-orthodoxen Kirche dar.

Weitere Konfessionsangehörige, die von Geflüchteten abstammen und auf syrischem Staatsgebiet lebten/leben, sind die etwa 15.000 Mitglieder der assyrisch-apostolischen Kirche des Ostens sowie die 15.000 Chaldäer, eine Abspaltung von der apostolischen Kirche des Ostens. Die Chaldäer fühlen sich der römisch-katholischen Kirche zugehörig.

Maroniten

Zudem gibt es die Maroniten, deren Zahl mit 49.000 Anhängern heute weit geringer ist, als sie es noch vor Mitte des 19. Jahrhunderts in Syrien gewesen war. Aufgrund von Spannungen zwischen Drusen und Maroniten sowie Massakern 1866 im Raum Damaskus flohen viele Maroniten in den Libanon. In Syrien steht die maronitische Glaubensgemeinschaft heute im Schatten ihrer einst großen Geschichte.

Maroniten wie auch Chaldäer erkennen den römisch-katholischen Papst als ihr Religionsoberhaupt an. Ursprünglich war ihre Liturgie syrischsprachig, aber das Arabische hat die syrische Sprache bis auf wenige Ausnahmen in religiösen Zeremonien und Riten weithin verdrängt. Hinzu kommen noch rund 25.000 Protestanten, deren Kirchen aus europäischen Missionsbemühungen entstanden, sowie 15.000 Angehörige der römisch-katholischen Kirche.

Eine Art Sonderfall stellen die Assyro-Aramäer dar. Diese haben ihre Sprache Aramäisch (Altsyrisch) bewahrt und gelten als indigene Bevölkerung Syriens. Auch sie werden als Christen vom Regime toleriert, sind aber in vielen Fällen als ethnische Minderheit durch regierungsbedingte Zwangsarabisierungsmaßnahmen ihrer historischen altsyrischen bzw. assyrischen Identität, die sprachlich und kulturell definiert ist, beraubt worden. Heute bezeichnen sich daher viele syrische Christen als Araber. Wahrscheinlich ist aber, dass diese christlichen Araber assyrisch/aramäischer Abstammung sind.

Armenier

Auch die Armenier sind Christen und in der Regel Nachfahren von Geflüchteten, nämlich den Überlebenden des Völkermords von 1915 bis 1917, bei dem Hunderttausende, nach armenischen Angaben sogar zwischen 1,5 und zwei Millionen Menschen, im Osmanischen Reich ermordet wurden. Sie sprechen ihre armenische Sprache, in der sie auch ihre Liturgie feiern. Zu der mit Rom unierten armenisch-katholischen Kirche in Syrien, deren Patriarch im Libanon residiert, gehören ca. 21.500 und zu der armenisch-apostolischen Kirche etwa 200.000 Gläubige.

Syrien ist für Armenier bereits seit Jahrhunderten eine Heimat. Das Land diente auch immer als Schutz- und Zufluchtsort. Vor allem während des Genozids an den Armeniern zwischen 1915 und 1917, bei dem bis zu 1,5 Millionen armenische und 500.000 assyrisch-aramäische Christen getötet wurden, flüchteten viele Armenier vor der türkischen Armee nach Syrien.

1918 zählte die armenische Gemeinde hier schätzungsweise 142.000 Menschen. 2011 leben etwa 300.000 Armenier in Syrien, von denen mit 30.000 bis 40.000 Personen die größte Gemeinschaft in der Stadt Aleppo wohnt. Kleinere armenische Gemeinden gibt es in Damaskus, Qamischli und in Qasaab.

Die Armenier in Aleppo sind im syrischen Mosaik der Religionen und Ethnien eine kleine Gruppe, heben sich aber durch ihre aktive Beteiligung am wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes hervor. Armenier gelten beispielsweise als die besten Handwerker Syriens. Während des Völkermordes 1915 konnten viele Armenier in Syrien gerettet werden.

Viele Armenier bewahren und schützen ihre Religion und Kultur aktiv. Die Armenier leben in einer "perfekten" Parallelgesellschaft: Sie bilden innerhalb ihrer Gruppe eigenständige Gemeinden. Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen verließen viele Armenier Ende der 1960er Jahre Aleppo und Qamischli. Die ehemalige Sowjetrepublik Armenien nahm damals zwar viele syrische Armenier auf, doch die meisten wanderten nach Amerika, Europa und Australien aus.

Wegen des blutigen Bürgerkrieges in Syrien hat sich diese Auswanderung weiter intensiviert. Sie könnte das Ende einer Gemeinschaft bedeuten, die bereits seit mehreren Jahrhunderten in Syrien eine Heimat gefunden hat. Die heutige Republik Armenien hatte es in den letzten Jahren mit einer Einwanderungswelle großen Ausmaßes zu tun. Viele syrische Armenier fanden in der Republik Armenien Zuflucht.

Eingeschränkte Rechte, aber relativ frei

Als Monotheisten sind Christen in Syrien "Schutzbefohlene". Ihre Rechte sind aber auch erheblich eingeschränkt. Laut syrischer Verfassung kann kein Christ Präsident werden. Außerdem gibt viele Gesetze, die Christen benachteiligen, insbesondere in den Bereichen Kultur und Schulwesen. Diese Gesetze schränken die freie Entfaltung der kulturellen Eigenständigkeit und Identität der Christen ein bzw. machen sie nahezu unmöglich.

Die Christen konnten ihre Religion bisher dennoch relativ frei ausüben und durch den säkularen Charakter der Arabischen Republik Syrien war ein Leben in Frieden weitgehend möglich. Das Assad-Regime gewährt Christen zumindest das Recht auf freie Religionsausübung und toleriert das Christentum als Glaubensgemeinschaft, auch wenn zu einer weitreichenden Religionsfreiheit mehr gehört.

Die beschriebene Situation der syrischen Christen war seit Beginn des Aufstandes gegen das syrische Regime von schwerwiegenden negativen Veränderungen geprägt. In den vergangenen Jahren sind Christen im gesamten Nahen Osten immer wieder Opfer exzessiver Gewalt geworden. Brennpunkte waren dabei zunächst Ägypten und Irak, aber auch in Syrien kommt es seit Beginn des Aufstandes gegen den Diktator Assad zu gewaltsamen Übergriffen auf Christen.

Aktuell: Zwischen 500.000 bis 700.000 Christen

Wie viele Christen in Syrien heute (2019) leben, kann nur spekuliert werden. Schätzungen sagen, dass die christliche Bevölkerung in Syrien im Vergleich zu 2010 um die Hälfte oder weniger als die Hälfte zurückgegangen ist. Demnach leben nun noch etwa 500.000 bis 700.000 Christen in ganz Syrien.

Eindrücke der Konrad-Adenauer-Stiftung in 2018 zeigten ein etwas positiveres Bild: demnach wird die Zahl der Christen in Damaskus, im Tal der Christen, Latakia und Tartus auf 500.000 bis 750.000 geschätzt.