Starker Anstieg von psychischen Störungen bei jungen Menschen

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US-Studie postuliert einen Generationenbruch mit der Zunahme von Depressionen, starkem Stress und Selbstmordgedanken durch die starke Nutzung des Internet und der sozialen Netzwerke bei jungen Amerikanern

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Psychologen wollen eine Veränderung in der Befindlichkeit der jungen Amerikaner unter 26 Jahren festgestellt haben. Und diese soll sich auch noch relativ schnell ergeben haben. Jugendliche und junge Menschen unter 26 Jahren sollen nämlich in den späten 2010er Jahren mehr psychische Störungen wie schweren Stress, starke Depressionen oder Selbstmordgedanken bis zu versuchten Selbstmorden zeigen, als dies noch Ende der 2000er Jahre der Fall war. Bei den Menschen über 26 Jahren lässt sich der Trend nach den Wissenschaftlern hingegen nicht beobachten, die daher von einem Generationswechsel sprechen - und vermuten, dass dies mit den Sozialen Netzwerken zu tun haben könnte.

Die Psychologen von der San Diego University unter der Leitung von Jean Twenge haben für ihre Studie, die im Journal of Abnormal Psychology erschienen ist, Daten einer nationalen, repräsentativen Erhebung über Drogen- und Alkoholkonsum, psychische Gesundheit und andere Gesundheitsinformationen ausgewertet. Für die Erhebung, die seit 1971 gemacht wird, werden Amerikaner ab dem Alter von 12 Jahren befragt. Einbezogen wurden die Antworten von mehr als 200.000 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren von 2005 bis 2017 und von fast 400.000 Erwachsenen von 2008 bis 2017.

Die Zahl der Jugendlichen, die für das letzte Jahr vor der Befragung Symptome angaben, die auf eine schwere Depression hinweisen, stieg von 8,7 auf 13,2 Prozent und nahm damit um 52 Prozent zu. Noch stärker war die Zunahme bei den jungen Erwachsenen (18-25 Jahre) mit 63 Prozent. Der Anteil stieg von 8,1 Prozent im Jahr 2009 auf 13,2 Prozent in 2017. Bei den Älteren ließ sich zwischen 2005 und 2017 unter den 26-29-Jährigen noch ein Anstieg von Depressionen um 29 Prozent feststellen, in den anderen Altersgruppen wurden sie weniger, um dann bei den Über-65-Jährigen wieder anzusteigen, wenn auch mit 30 Prozent geringer als bei den Jungen.

Bei den jungen Erwachsenen nahm nach ihren Angaben schwerer psychischer Stress, den sie in den letzten 30 Tagen erfahren haben, um 71 Prozent von 7,7 auf 13,1 Prozent zu, am stärksten bei den 20- bis 21-Jährigen. Und auch die Zahl derjenigen, die von Selbstmordgedanken berichten, nahm um 47 Prozent von 7,0 auf 10,3 Prozent zu. Der Stress stieg weniger ausgeprägt fast in allen Altersgruppen, bei den Über-65-Jährigen gab es sogar einen Rückgang um mehr als 30 Prozent, was vermutlich mit dem Ende des Arbeitslebens zu tun hat, auch wenn eine steigende Zahl von Senioren weiter arbeiten muss, weil die Renten nicht reichen. Einen ähnlich hohen Stressfaktor wie bei den jetzt jungen Menschen gab es zuvor bei den in den 1950er Jahren Geborenen, dann nahm er mit Schwankungen deutlich ab, um bei den in den 1980er Jahren Geborenen wieder anzusteigen.

Selbstmordgedanken, -pläne oder -versuche nahmen zwischen 2009 und 2017 bei den jungen Menschen deutlich zu und erreichten Werte wie bei den in den 1950er Jahren Geborenen. Auch diese waren in den nächsten Jahrgängen nach unten gegangen, bei den Mitte der 1980er Jahre Geborenen nahmen sie wieder stetig zu. Die jungen Menschen Anfang 20 hegen am meisten Selbstmordpläne und begehen die meisten Selbstmordversuche. Bei den Über-26-Jährigen blieben sie in etwa gleich, bei den Über-50-Jährigen gingen sie sogar leicht zurück, um dann bei den Über-65-Jährigen wieder stark zuzunehmen. Auch die vollzogenen Selbstmorde stiegen in der jüngeren Generation, hier aber war die Zunahme unter den 20-25-Jährigen und den um 30 Jahre alten Menschen etwa gleich hoch.

Stresssymptome bei unterschiedlichen Altersgruppen, steiler Anstieg ab den in den 1980er Jahren Geborenen. Bild: Jean M. Twenge et al.

2011 war ein Wendepunkt

Insgesamt ist die Zunahme bei den Über-26-Jährigen schwächer und weniger konsistent, schreiben die Psychologen, während Depressionen, Stress und Selbstmordgedanken seit der Generation der Millennials oder seit den in den 1980er Jahren Geborenen bis zu den Ende der 1990er Jahre Geborenen kontinuierlich angestiegen sind. Am stärksten ist der Anstieg seit 2011. Der Anstieg bei Depressionen, Stress und Selbstmordgedanken war bei den Mädchen und jungen Frauen in der Regel stärker als bei den gleichaltrigen Jungen und Männer. Menschen aus den reicheren Einkommensschichten sind stärker von Stress und Selbstmordgedanken geplagt, die aus den unteren Einkommensschichten leiden mehr unter Depressionen. Abgesehen von Stress war die Zunahme von Depressionen und Selbstmordgedanken bei den weißen Amerikanern am stärksten.

Nun könnte man vielleicht vermuten, dass die jungen Menschen eher Symptome affektiver Störungen bei sich sehen oder diese äußern können, weil psychische Erkrankungen weniger mit Tabus beladen oder einfach selbstverständlicher geworden sind. Die Psychologen sagen, dass in einem solchen Fall ein linearer Anstieg zu erwarten gewesen wäre, aber nicht die beobachtete gekrümmte. Sie sehen in dem Trend eine Veränderung, die sie durch eine plötzliche Veränderung der Kultur zu erklären suchen, genetische Veränderungen oder ökonomische Bedingungen betrachten sie hingegen nicht als mögliche Ursachen für die Befindlichkeit einer ganzen Generation. Während des Zeitraums des Anstiegs habe sich schließlich die Wirtschaft erholt und sei die Arbeitslosigkeit gefallen. Der Rauschgiftkonsum sei nicht gestiegen, sondern bei den Jüngeren eher zurückgegangen. Die Opioid-Epidemie habe hingegen eher die Älteren betroffen.

Sind soziale Netzwerke und Smartphones verantwortlich?

Am wahrscheinlichsten sei, dass digitale Medien die sozialen Interaktion der jungen Menschen so verändert haben, dass dies zu vermehrten affektiven Störungen und Selbstmordgedanken geführt hat. So gehe aus Studien hervor, dass Menschen, die mehr Zeit in sozialen Netzwerken verbringen und weniger direkt mit Menschen kommunizieren, stärker zu Depressionen neigen. Die Zunahme der Depressionen ab 2011 sei einhergegangen mit der zunehmenden Nutzung von Smartphones und einer zunehmenden Mediennutzungszeit, gleichzeitig sei die tägliche Schlafdauer bei Jugendlichen gesunken. Wenn dies in jüngeren Jahren geschehe, könnten die Veränderungen stärker ausfallen, was die Unterschiede zwischen den Generationen erklären könnte. Studien hätten darauf hingewiesen, dass die problematische Nutzung des Internet und von sozialen Netzwerken mit Schlafstörungen zusammenhängt.

Twenge gibt aufgrund der angestellten Vermutungen über mögliche Ursache auch Ratschläge. Junge Menschen könnten weder die ökonomische Situation noch ihre Gene ändern, aber sehr wohl entscheiden, wie sie ihre Freizeit verbringen: "Am wichtigsten ist, genug Schlaf zu bekommen." Telefone oder Tablets sollten nicht im Schlafzimmer sein, um den Schlaf nicht zu stören: "Stellen Sie allgemein sicher, dass digitale Medien nicht Aktivitäten beeinträchtigen, die wie Face-to-Face-Kommunikation, Sport und Schlaf für die psychische Gesundheit besser sind." Das werden die meisten Eltern zwar auch ihren Kindern sagen, ohne dass dies etwas verändert. Und natürlich fordern die Psychologen weitere Forschung zum Thema digitale Medien und psychische Störungen, um darauf dann Interventionen in das Leben von Jugendlichen entwickeln zu können.

Neoliberaler Umbau der Gesellschaft?

Man könnte auch in eine andere Richtung Vermutungen anstellen, auch wenn der Einfluss der digitalen Medien auf die Befindlichkeit, das Verhalten und die sozialen Interaktionen sicher erheblich ist. Seit den 1980er Jahren ist aber auch der Umbau der Gesellschaften nach der neoliberalen Ideologie, angeführt von Thatcher und Reagen durchgeschlagen. Das hat trotz des Endes des Kalten Kriegs durch Privatisierungen, der steigenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem Niedergang des Mittelstands zu höherer Unsicherheit, sinkender Solidarität, größerer Individualisierung und Isolation sowie steigendem Konkurrenzdruck geführt, der auch in den Rankings zum Ausdruck kommt, der in den sozialen Netzwerken oder Castingshows zelebriert wird. Nach der neoliberalen Ideologie ist jeder selbst für Erfolg und Scheitern verantwortlich, was den Druck auf den Einzelnen erhöht.

Auch das könnte erklären, warum bei den jungen Menschen, die in dieser ideologischen Blase aufgewachsen sind, mehr Depressionen, Selbstmordgedanken und schwerer Stress auftreten als in früheren Generationen. Und wenn man noch weiter spekuliert, könnte die Ähnlichkeit zwischen der Befindlichkeit der jungen Generation heute und den in den 1950er Jahren Geborenen vielleicht auch den Gedanken möglich machen, dass die Zeit einer neuen Revolte wie die der 68er anbrechen könnte. Sie könnte natürlich auch in die andere, die rechte und autoritäre Richtung ausschlagen. Wenn denn die Beschreibungen der Generation Y stimmen sollten, könnten jedenfalls die Erwartungen der Generation Y mit der Arbeits- und Lebenswirklichkeit für die Meisten immer weniger übereinstimmen.