F wie Palästina

Bild: Makbula Nassar/CC BY-SA-4.0

Palästina könne es nicht geben, im Arabischen gebe es keinen Buchstaben "P". Mit dieser Aussage zieht der Sohn des israelischen Premiers derzeit viel Spott auf sich

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Die Geschichte von Israelis und Palästinensern ist voller Versuche, den Nahostkonflikt allein dadurch zu lösen, indem man die Existenz der Gegenseite negiert: Die frühen Zionisten zogen unter dem Slogan "Ein Volk ohne Land für ein Land ohne Volk" ins seit Jahrtausende besiedelte Palästina. Die israelische Premierministerin Golda Meir stellte 1969 im Zeitungsinterview fest: "So etwas wie Palästinenser gab es nicht." Und mit der Herangehensweise eines kleinen Kindes, das glaubt, das Monster hinter der Gardine würde verschwinden, wenn es nur lang genug das Gesicht ins Kissen drückt, sprechen auch heute noch Millionen Menschen vom "zionistischen Gebilde", wenn sie Israel meinen.

Mit einer besonders kreativen Idee, den Nahostkonflikt auf rhetorische Weise zu lösen, hat sich nun Yair Netanyahu zu Wort gemeldet. Der 27-Jährige, der neben dem Umstand, Sohn des israelischen Premiers zu sein, vor allem für seine radikalen Social Media-Posts bekannt ist, schrieb in einem mittlerweile gelöschten Tweet, dass es Palästina schon allein deshalb nicht geben könne, weil es im Arabischen kein "P" gebe.

Der innovative Versuch, Staatstheorie und Völkerrecht auf eine neue phonetische Grundlage zu stellen, brachte dem jungen Netanyahu in Sozialen Netzen vor allem jede Menge Spott ein. Eine Sache kam dabei allerdings zu kurz: Yair Netanyahus Aussage ist nicht nur dämlich, sondern auch falsch. Denn "p" ist arabischer als Netanyahu lieb sein dürfte.

Palästina? Falestin? Balästina?

Auf den ersten Blick hat Yair Netanyahu zumindest mit seiner phonetischen Einschätzung recht: Einen Buchstaben, der den Laut "p" wie in "Palästina" symbolisiert, sucht man im heutigen arabischen Alphabet vergebens. Das ist der Grund, warum Palästinenser von "falestin" reden, wenn sie über ihre Heimat sprechen.

Auf wen die Bezeichnung "Palästina" zurückgeht, ist nicht ganz klar. In Inschriften aus dem alten Ägypten ist der womöglich hebräische Begriff "Peleset" zu finden. Assyrer kannten die regionale Bezeichnung "Palashtu", die antiken Griechen sprachen von "Palaistine". Spätestens die Römer schließlich gaben der Region den Namen, über dessen Legitimität auch 2000 Jahre später noch erbittert gestritten wird: "Palaestina".

Warum also halten sich ausgerechnet Palästinenser nicht an die Bezeichnung? Dass Menschen aus dem "p"- ein "f"-Laut machten ist zunächst nichts Ungewöhnliches. "Frikativierung" nennen Phonetiker das verbreitete Phänomen, dass sich Plosivlaute (wie "p") im Laufe der Zeit zu Reibelauten (wie "f") verwandeln. So wurde beispielsweise auch aus dem altpersischen "Parsa" (dt. Perser) im Arabischen "Farsi". Auch Deutsche kennen das Phänomen: Der deutsche "Vater" stammt vom lateinischen "Pater" ab. Der deutsche "Fisch" war einmal ein lateinischer "piscis".

Heutige Arabisch-Sprechende lösen das Problem des fehlenden "p" allerdings meist, indem sie es durch ein "b" ersetzen. So können Libanesen trotz fehlenden "p" in der französischen Hauptstadt "Baris" Urlaub machen, während sich Ägypter an Getränkeautomaten zwischen "Kuka Kula" und "Bebsi" entscheiden müssen. Würde der Begriff "Palästina" heute erfunden, Arabisch-Sprechende würden ihr Land womöglich "Balestin" nennen.

Die vergessene Geschichte des "P" im Arabischen

Das war womöglich nicht immer so. Ein Hinweis darauf, dass es auch im Arabischen einmal ein "p" gab, findet sich im heutigen arabischen Alphabet. Typisch für semitische Sprachen wie das Arabische ist, dass ihre Konsonanten paarweise auftreten: Auf jeden Buchstaben, der einen stimmhaften Laut repräsentiert, kommt eine stimmlose Entsprechung. So gibt es jeweils Buchstaben für die Laute "t" und "d", für "sch" und "dsch" (wie in Dschungel oder Job), für das stimmlose "s" (wie in Haus) ebenso wie für das stimmhafte "s" (wie in Sagen). Nur zwei Konsonanten verweigern sich im modernen Arabisch diese Regel: Dem stimmhaften "b" fehlt seine stimmlose Entsprechung "p". Dafür fehlt dem stimmlosen "f" sein stimmhafter Gegenlaut "w". Die logischste Erklärung: Das "f" muss einmal ein "p" gewesen sein.

Auf die einstige Existenz eines arabischen "p" deuten auch archäologische Zeugnisse hin. Safaitisch nennt sich ein arabischer Dialekt, der zu Zeiten der römischen Besatzung Palästinas von Beduinen in der syrischen Wüste gesprochen wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts fanden Archäologen im syrischen Sand Inschriften, die nahelegen, dass das Arabische im 1. Jahrhundert vor Christus einen "p"-Laut kannte. Wenn zur Zeit der Römer Arabischsprechende sich über die Gegend zwischen Jordanfluss und Mittelmeer austauschten, ist es gut möglich, dass ihnen dabei ein "p" über die Lippen kam.

Folgt man also der irrsinnigen Logik Yair Netanyahus, dass das heutige Recht von Menschen auf staatliche Selbstbestimmung von 2000 Jahre alten phonetischen Gegebenheiten abhängt, steht der Schaffung eines Staates "Palästina" nichts mehr im Weg. Alle anderen müssen sich weiterhin damit abfinden, dass der Nahostkonflikt nicht auf linguistische Weise zu lösen ist.

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