Gewerkschaften und Gelbwesten: Einig gegen Polizeigewalt

Archivfoto (2016): CRS-Einheiten bei einer Demonstration. Foto: Domenjod/CC BY-SA 4.0

Der 1. Mai in Frankreich: Die Opposition auf der Straße

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Nichts mehr sollte so sein wie zuvor, hatte Macron angekündigt, bevor er letzte Woche sein Maßnahmenpaket verkündete. Tags darauf war Gewohntes zu lesen: "Wo ist der Wow-Effekt?", fragte die Libération. Der Präsident machte weiter wie bisher; es gab keine Kursänderung: Macrons Gelbwesten-Rede: Viele Versprechen, wenig Konkretes. Nun war die Öffentlichkeit gespannt, wie die Reaktionen auf der Straße ausfallen. Der 1. Mai stand an.

Laut Innenministerium haben gestern in ganz Frankreich 164.000 Personen an den Demonstrationen teilgenommen; die Gewerkschaft CGT berichtete dagegen von 310.000 Teilnehmern. Die Medien schrieben danach von einer beachtlichen Mobilisierung. Selbst die Zeitung der bürgerlich-liberalen Mitte, Le Monde, wies darauf hin, dass die Zahlen aus dem Haus von Innenminister Castaner auffällig untertreiben.

Als Beispiel nannte man Paris, wo das Innenministerium eine Schätzung von 28.000 Demonstranten präsentierte, währenddessen Le Monde wie auch andere Medien sich auf Schätzungen von Occurence referierten, wo von 40.000 bei den Demonstrationszügen in der Hauptstadt die Rede ist. Gut möglich, dass auch die Zahlen der Teilnehmer in den anderen Städten nach oben korrigiert werden müssten. Erwähnt wurden größere Demonstrationen in Bordeaux, Lyon, Marseille, Nantes, Toulouse, Montpellier, Strasbourg, Grenoble, Lille, Rennes und Nancy. Dort verliefen die Demonstrationen zum 1. Mai ohne große Auffälligkeiten, so der Tenor.

17.706 präventive Kontrollen

Eine weitere Zahl ist vielsagend: Die Ordnungskräfte führten nach eigenen Angaben bis 18 Uhr in Paris 17.706 präventive Kontrollen durch. Es gab laut Innenministerium im ganzen Land 380 kurzeitige Festnahmen, die in 250 Fällen zu Polizeigewahrsam führten, "hauptsächlich in Paris". Dabei ging man robust auch gegen medizinische Helfer vor. Auch hieß es, dass Innenminister Castaner in seiner Vorabschätzung generell mit weniger Demonstranten gerechnet habe.

Es sind also mehr auf die Straße gegangen, als die Regierung erwartet hatte, und die Ordnungskräfte legten großen Wert darauf, das Geschehen mit Präventivmaßnahmen zu kontrollieren. Das funktionierte aber nicht wirklich.

Denn in einem Punkt waren sich Gewerkschafter wie auch Teilnehmer oder Sympathisanten der Gelbwesten-Demonstrationen in ihrer Einschätzung am gestrigen Abend einig, nämlich in der Verurteilung einer auffälligen Polizeigewalt. Dass nun auch Gewerkschaftsvertreter besonders den harten Einsatz der Polizei mit Tränengas, Stöcken und den berüchtigten Hartgummigeschossen und Granaten kritisierten, ist keine Kleinigkeit, denn es ging gestern auch um die Gelbwesten-Proteste.

Korrekturen am öffentlichen Bild

Aus deren Reihen gibt es die Vorwürfe, dass die Regierung und die Medien die Protestbewegung quasi einvernehmlich diffamiert haben, indem sie die Gilets jaunes mit Gewaltausschreitungen gleichgesetzt und darauf reduziert hätten, während die Gewalt vonseiten der Polizei in den Hintergrund gerückt worden sei oder, wie es die Regierung praktiziert, entschieden geleugnet wird.

Unübersehbar ist jedenfalls, dass die Bewegung, die soziale Ungerechtigkeit anprangert, sich von der Assoziation mit Gewalt nicht wirklich befreien konnte. Das schlechte Image hält sich hartnäckig, wogegen selbst die Mahnungen, die aus der UNO zur Polizeigewalt in Frankreich geäußert wurden, kaum Wirkung zeigten. Auch die Warnungen vor polizeistaatlichen Elementen, die von Intellektuellen kommen, bleiben vermutlich in einem begrenzten Wirkungskreis.

Der Wirkungskreis ist aber ein anderer, wenn Gewerkschaftschefs, wie Martinez von der CGT, und Teilnehmer des Gewerkschaftszuges, darunter auch Mitglieder gewerkschaftlicher "Sicherheitsteams", von einem außerordentlich aggressiven Vorgehen der Polizei gegen sie berichten.

So kann man die Vorwürfe gegen die Polizeigewalt nicht mehr nur einer Minderheit zuschreiben, die selbst unter der Anklage "außerordentlicher Gewalttätigkeit" steht. Gewerkschaften haben nach wie vor einen ziemlichen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung. Das ist auch an den Schlagzeilen zum gestrigen Tag abzulesen.

"Gegen Macron, da gibt es Widerstand und Konvergenz"

Tatsächlich zeigt sich in diesem Punkt eine gemeinsame Front zwischen einigen Gewerkschaften, namentlich der CGT, Solidaires und der Force ouvrière (FO), die die Polizeigewalt kritisierten, und der Gelbwestenbewegung beim gestrigen 1. Mai. Man könnte hier von einer Konvergenz sprechen, die so viel beschworen wird. Zumal hier eine gewisse Kommunikationsabsicht zugrunde liegt.

Denn bei den nicht ganz geklärten Umständen, weshalb der CGT-Chef Philippe Martinez für einige Zeit nicht mitmarschieren konnte, spielten auch Mitglieder des Schwarzen Blocks eine Rolle, die in den Zug der Gewerkschaft drängten, wie auch einige Gelbwesten - und dies wahrscheinlich mit nicht wirklich sanften Methoden. Der Innenminister wie auch Polizeivertreter sprachen davon, dass sie Martinez vor Gewalttätern schützten. Der CGT-Chef dagegen richtete seine Kritik an die Sicherheitskräfte. Das ist eine Botschaft.

Inwieweit sie eine politische Konvergenz zwischen Gewerkschaften und der Gilet-jaunes-Bewegung weiterführt, bleibt auch nach dem 1. Mai offen. Diskutiert wird darüber seit vielen Monaten und wie groß der Wunsch nach einer Zusammenführung ist, zeigt sich an Berichten wie etwa von Médiapart. Dort steht heute in dicken Lettern: "Gegen Macron, da gibt es Widerstand und Konvergenz". Die Gelbwesten hätten dem 1.Mai-Auftritt der Gewerkschaften eine neue Dynamik zugeführt, heißt es im Bericht.

Die Hoffnung auf dieser Seite wäre, dass sich die Arbeiter und Angestellten, die traditionell mit den Gewerkschaften verbunden sind, mit dem Prekariat der Gelbwesten verbünden, die zu keinem kleinen Teil selbstständig tätig sind.

Gelbwesten und die Opposition zu Macron

Gerade bei Médiapart scheint auch der Wunsch deutlich auf, dass sich die Linke mehr um die Gilets jaunes bemüht. Der genannte Titel "Gegen Macron" zeigt den gemeinsamen Nenner. Was darüber programmatisch hinaus geht, ist völlig ohne Konturen. Das liegt auch an der Strukturlosigkeit der Gelbwesten, die damit Vorteile haben, da sie so nicht in altbekannten Schemata zu pressen sind.

Aber damit sind sie auch nach rechts offen und holen sich seltsame Mitläufer, die sich durch das Info-Spekatkel rund um die Gelbwesten Auftrittsmöglichkeiten und Prominenz verschaffen, die sie sonst längst nicht mehr hatten.

Demgegenüber steht eine Regierung, die nicht wirklich weiß, wie sie mit politischen Forderungen aus einer Bewegung umgehen soll, die nach wie vor, egal wie sehr sich die Regierung über gesunkene Teilnehmerzahlen gefreut hat, eine maßgebliche Opposition zu Macron stellt.

Geht es um die Opposition zu Macron, so ist immer und häufig sogar an erster Stelle von den Gilets jaunes die Rede. Auch das ist eine bemerkenswerte Assoziation, die zu erwähnen ist, weil sie zeigt, dass die "Medienverschwörung" ein Kampfbegriff ist, der politisch nicht weit führt, weil er alles in einen Topf wirft und tatsächlich vor allem das Gefühl der Empörung bedient.

Eine genauere Analyse müsste miteinbeziehen, wie sehr Medien die Gelbwesten-Bewegung auch groß gemacht haben - die sozialen Netzwerke alleine hätten das nicht in dieser Form geschafft - und ab wann und aus welchen Gründen die Kritik stärker wurde. Dass es auch politische Demonstrationen ohne Gewalt geben kann, ist seit Wochen in Algerien zu beobachten.

Macron selbst hat ein Gespür dafür, was sich aus Bewegungen entwickeln kann. Sein Aufstieg zum Präsidenten verdankt sich auch einer solchen - mit bewussten Abstand zu vorgefundenen Parteienlandschaft -, die alle überrascht hat.

Wie immer gab es auch zum gestrigen 1. Mai symbolträchtige Bilder. Von vielen herausgehoben wurde ein Foto (auch hier)das eine grimmige Masse von Polizisten zeigt, die ein teures Lokal schützen, in dem Macron seinen Erfolg vor zwei Jahren feierte. Soziale Unterschiede und die Abschottung der Entscheider bleiben auf der Tagesordnung der politischen Auseinandersetzung. Macron macht darin keine gute Figur.