Engländer bestrafen Tories und Labour

Tory-Parteisprecher Brandon Lewis. Foto: Policy Exchange. Lizenz: CC BY 2.0

Bei den Kommunalwahlen verloren beide großen Parteien - ihre Sprecher sehen den bislang nicht gelungenen Ausstieg aus der EU als Ursache

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In England wurden gestern über 8.000 Ratsmitglieder für 248 Kommunalparlamente gewählt. Dabei fuhren die regierenden Tories deutliche Verluste ein: Dem derzeitigen Auszählungsstand nach verloren sie mindestens 605 Sitze, aus denen im Laufe des Tages noch mehr werden könnten. Aber auch die oppositionelle Labour Party büßte Mandate ein - nach aktuellem Stand 78. Die verlorenen Sitze gingen an die Liberaldemokraten, kleinere Parteien wie die Yorkshire Party (vgl. "Das Vereinigte Königreich hat keine einheitliche Wirtschaft") und unabhängige Kandidaten.

Unabhängige bei durchschnittlich 25 Prozent Stimmenanteil

Letztere kamen dort, wo sie antraten, auf durchschnittlich 25 Prozent Stimmenanteil. In zwei Kommunalparlamenten - Ashfield und North Kesteven - haben Unabhängige nun die Mehrheit. Und in Middlesbrough nahm ein unabhängiger Kandidat der Labour Party den Bürgermeisterposten ab. Die Liberaldemokraten legten um mindestens 300 Sitze zu und übernahmen acht Bezirke, darunter Winchester, North Norfolk, Cotswold and Bath und North East Somerset.

In mindestens 18 Kommunalparlamenten, in denen die Tories bislang eine Mehrheit hatten, haben sie diese eingebüßt - unter anderem in Peterborough, in Basildon und in St. Albans. Labour verlor mindestens drei Bezirke: Hartlepool, Bolsover und Wirral.

"Sehr klare Botschaft"

Sowohl Politiker der Tories als auch von Labour machten den bislang misslungenen Ausstieg aus der EU für die Verluste ihrer Parteien verantwortlich. Tory-Sprecher Brandon Lewis meinte, die Wähler hätten seiner Partei eine "sehr klare Botschaft" übermittelt: Dass sie den Brexit-Stillstand "satt hätten" und dass sie möchten, "dass wir das fertig kriegen". Alle Abgeordneten im Unterhaus stünden nun in der Verantwortung, den Volksentscheid von 2016 zu "respektieren" und er hoffe, dass die Gespräche mit der Labour Party in den nächsten Wochen in einen Ausweg führen.

Die Labour-Abgeordnete Ruth Smeeth verlautbarte, die gute Arbeit von Labour-Parlamentariern auf kommunaler Ebene werde zunichte gemacht, wenn die Parteispitze bei der Umsetzung des Volksentscheids nur "herumspielt". Ihr Parteifreund Andrew Gwynne räumte ebenfalls ein, dass der Brexit-Stillstand bei den Labour-Verlusten "eine Rolle spielte", weil er für Wähler die erste Gelegenheit war, ihren Unmut darüber kundzutun. Das hätten beide großen Parteien zu spüren bekommen.

Bei der Europawahl drohen noch wesentlich deutlichere Verluste

Bei der nächsten Gelegenheit - der Europawahl in drei Wochen - müssen diese beiden großen Parteien dem von der BBC konsultierten Strathclyder Politikwissenschaftsprofessor Sir John Curtice nach noch schlimmere Einbußen fürchten. Dann treten nämlich zwei neue Konkurrenten an: Nigel Farages Brexit Party und die Labour- und Tories-Abspaltung Change UK. In der letzten YouGov-Europawahlumfrage für die Londoner Times führt die Brexit Party klar mit inzwischen 30 Prozent Stimmenanteil. Change UK kommt dort (ebenso wie die Grünen) auf neun Prozent. Dazwischen liegen Labour mit 21, die Tories mit 13 und die Liberaldemokraten mit zehn Prozent.

Die schottischen und walisischen Regionalparteien SNP und Plaid Cymru kommen zusammengerechnet ebenso wie Nigel Farages alte UKIP-Partei auf vier Prozent. Letztere büßte gestern im Vergleich zur Kommunalwahl 2015 Stimmen ein, aber vor allem deshalb, weil sie in weniger Bezirken antrat. Dort, wo sie Kandidaten aufgestellt hatte, konnten diese vor allem der Labour Party Stimmen abnehmen. Ihr Sprecher Mike Hookem meinte deshalb, seine Partei befinde sich "nach zwei Jahren Aufruhr wieder auf dem aufsteigenden Ast".

Brexit Party in Umfragen zu Unterhauswahl bei 13 bis 17 Prozent

Der Schwung, den der Europawahlkampf Nigel Farages neuer Brexit Party verlieh, zeichnet sich auch in den Umfragen für eine Neuwahl des britischen Unterhauses ab: Obwohl dort nach einem First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrecht gewählt wird (das einen starken Anreiz dafür liefert, sich für eine von zwei großen Parteien zu entscheiden), liegt die Brexit Party dort inzwischen bei 13 bis 17 Prozent.

Vermeiden könnten die Tories und Labour eine drohende Niederlage bei der Europawahl (und eventuelle Folgen für eine Unterhausneuwahl) dann, wenn sie sich vor dem 23. Mai auf eine Mehrheit für Theresa Mays Ausstiegsdeal mit der EU einigen. So eine Einigung könnte Festlegungen auf eine anschließende Zollunion mit der EU beinhalten, wie sie Labour-Chef Jeremy Corbyn fordert. Darüber, ob und wie sich so eine Zollunion mit Theresa Mays Forderung nach der Möglichkeit zum Abschluss eigener britischer Freihandelsverträge vereinbaren lässt, wird gerade gestritten.

In Schottland und Wales wurde gestern nicht gewählt. In Nordirland, wo die Kommunalparlamente in allen elf Bezirken neu besetzt werden, stehen aussagekräftige Ergebnisse noch aus. Hier beherrschen traditionell nicht die Tories und Labour die politische Landschaft, sondern mehr oder weniger streng religiös gebundene Parteien wie die protestantische Democratic Unionist Party und die katholische Sinn Féin.

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