France Télécom: Die Angestellten wissen lassen, dass sie Nullen sind

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Suizide von Angestellten: Die früheren Bosse stehen nun vor einem Strafgericht. Der "pathogenen Umstrukturierung" wird der Prozess gemacht

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Die Restrukturierung in dem Großkonzern war eine regelrechte Hetzjagd auf Angestellte, die in die Enge getrieben wurden, damit sie kündigen. Zwischen April 2008 und Juni 2010 kam es laut Anklageschrift zu 18 Suiziden und 13 Suizidversuchen unter den Angestellten von France Télécom, das seit Juli 2013 in Orange umbenannt wurde.

Die Serie an Suiziden erregte damals internationales Aufsehen (Mörderische Arbeitsbedingungen und individuelle Verzweiflungsakte). Ein knappes Jahrzehnt später müssen sich die damaligen Bosse vor einem Strafgericht verantworten. Der Prozess hat Anfang dieser Woche begonnen. Geschätzt wird, dass er mindestes zwei Monate dauern wird. Die Anklageschrift umfasst 673 Seiten.

Vorgeworfen wird der damaligen Führung "Mobbing" (i. O. "harcèlement moral") im Zusammenhang mit einer "pathogenen Umstrukturierung". Dem ehemaligen France-Télécom-Chef Didier Lombard und sechs weiteren Mitangeklagten drohen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren und eine angesichts ihrer damaligen Einkommen lächerlich geringe Geldstrafe von 30.000 Euro.

Der erste Prozess seiner Art

Sieben Jahre lang wurde ermittelt. Es ist der erste Prozess seiner Art in Frankreich, da sich bisher noch kein Verantwortlicher eines Unternehmens, das im französischen Aktienleitindex CAC 40 gelistet ist, hinsichtlich der sozialen Dimension seiner Geschäftsführung vor Gericht verantworten musste. Der Prozess ist ein Modellfall in einer politischen Situation, wo soziale Gerechtigkeit und der Abstand zwischen höheren Etagen und dem Parterre mit neuer Schärfe aufgeladen sind.

Brisant macht ihn, dass Bezüge hergestellt werden könnten zu Restrukturierungen andernorts, zur konkreten Umsetzung der allseits bekannten Schlagwörter der Wirtschafts- und Unternehmenspolitik, wie "Wettbewerbsfähigkeit", "Reform", "Verschlankung", "Effizienz", "hohe Soziallasten", usw.. Ähnlichkeiten und Parallelen werden auch in einigen Berichten, wie etwa bei Médiapart, angedeutet, aber, wie es die Serie an Suiziden und die darauf gründende Anklage schon anzeigt, wie Ende des letzten Jahrzehnts bei dem Telekomriesen im Zuge der Umstrukturierung mit Angestellten umgegangen wurde, ist besonders krass.

"Raus durch das Fenster oder die Tür"

Oben will man nichts gewusst haben. Das ist höchstwahrscheinlich eine Lüge. Zu ihr gehört eine besondere Kaltschnäuzigkeit, die oft mit Zynismus gleichgesetzt wird. Von Didier Lombard, der von Februar 2005 bis Januar 2011 Président-directeur général (PDG) von France Télecom war, wird der Spruch übermittelt: "Ich krieg sie so oder so raus, durch das Fenster oder die Tür."

Es ging dabei um einen Plan und der ging auf. Das Ziel, dass binnen drei Jahren, 20.000 Angestellte, etwa 20 Prozent der Gesamtbelegschaft entlassen werden, wurde erreicht. Der Aktienkurs stieg, wie gewünscht, deutlich. Auf Abfindungszahlungen oder ähnliche Anreize zu einer freiwilligen Kündigung wurde, so weit es nur irgendwie ging, verzichtet, ebenso auf Maßnahmen, die einem Sozialplan entsprechen. Das alles war der Führung zu kostspielig.

Es ging darum, dass die Angestellten auf eine andere Art zum Entschluss kamen, das Unternehmen zu verlassen. Eine besondere "Herausforderung" stellten die Beamten in dem Konzern dar, die unkündbar waren, weshalb sie vor allem im Visier standen. Man sollten am Ende durch weniger Personal ersetzt werden, das leichter zu kündigen ist, noch besser durch Subunternehmer, die nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden, so gut wie nichts verdienen und für die keine Sozialabgaben fällig werden.

Methoden

Überlastung war ein Mittel, um den Angestellten das Arbeitsleben möglichst schwer zu machen, dazu kamen spontane Versetzungen an Orte, die weit weg von der Wohnung und damit nicht selten von der Familie liegen, neue Arbeitsgebiete, die entweder zur Überforderung führten, die in Performance-Checklisten gnadenlos Woche für Woche gnadenlos dokumentiert wurde, oder als Abstellgleis funktionierten, um den Angestellten vor Augen zu führen, dass sie nicht gebraucht würden. Die offensichtlich sehr wirksame grundlegende Methode bestand darin, die Angestellten fühlen zu lassen, dass sie "Nullen" sind:

Die Direktion ließ sie verstehen, dass die Werte, mit denen sie (die Angestellten, Anm. d. A.) verbunden sind, nichts mehr taugen, dass ihr Metier, ihr Know-How nicht mehr existieren, dass sie selbst Nullen sind, dass sie entweder gar nicht sichtbar sind oder, wie Klötze am Bein, eine Last.

Mediapart

Der PDG Didier Lombard wollte lange Zeit keinen Zusammenhang zwischen den Suizidversuchen, von Warnungen innerhalb des Unternehmens und sogar von Krankenkassen anhand der auffällig gewordenen Fallzahlen von psychisch Erkrankten (weit über 1.000) erkennen. Er sprach angesichts der Selbsttötungen von einer "Epidemie", ganz so als ob die Unternehmenspolitik gegenüber den Angestellten nichts damit zu tun habe, auch wenn Abschiedsbriefe einen direkten Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen herstellten.

Nun stehen er und seine Führungskollegen vor einem Strafgericht, wo man genauer hinschaut.