Sahelzone: Der nächste "Hotspot" der Dschihadisten

Al-Bagdadi. Screenshot IS-Propagandavideo, Twitter Wassim Nasr

Operation französischer Elitetruppen zur Befreiung von Geiseln: Al-Qaida und der IS kooperieren in der Region, in der auch die Bundeswehr für Stabilität sorgen soll

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Als die deutsche Kanzlerin Merkel Anfang Mai in Burkina Faso war, wurde sie auf ein kritisches Problem in der Sahelzone angesprochen: die Ausweitung der Aktionsräume islamistischer Extremisten. Merkel hatte eine Merkel-Antwort: "Die Terroristen sind schnell. Deshalb müssen wir schneller werden, damit wir sie auch wirklich bezwingen können."

Die Antwort, die der Deutschlandfunk als "beunruhigte Schlussfolgerung" bezeichnet, besagt so gut wie gar nichts. Sie ist unverbindlich. Die Unverbindlichkeit hat allerdings eine verwundbare Stelle: "Derzeit sind 850 deutsche Soldaten in Mali stationiert, bis zu 1200 können es laut Bundestagsmandat werden."

Die deutsche Beteiligung zeuge "von der großen Bedeutung die Deutschland der Stabilität dieser Region beimisst", ergänzt dazu staatstragend der Beitrag des Deutschlandfunks. Dort ist die Rede davon, dass sich die Chefs der fünf Sahelstaaten "ein robustes UN-Mandat" für ihre gemeinsame G5-Streitmacht - die Frankreich und Deutschland unterstützen - gewünscht hätten, um "einen Flächenbrand" zu vermeiden. Das scheitere aber am Widerstreben der USA im Sicherheitsrat.

Es gibt allen Grund zur Beunruhigung in der Sahelzone. Meldung über Angriffe sind keine Seltenheit. Am gestrigen Sonntag wurde eine katholische Kirche in Dablo, Burkina Faso, angegriffen. Der Priester und fünf weitere Menschen wurden getötet. Die Angreifer, so heißt es in der Meldung von Radio France Afrique, hätten das Ziel, die "Bevölkerung des Sahel-Staates zu spalten".

"Es brennt allerorten"

"Gewalt verbreitet sich wie Buschfeuer. Ausnahmezustand in Burkina Faso und Niger, Erfolge für Boko Haram in Nigeria, neue ethnische Konflikte in Mali: Es brennt allerorten", schrieb die taz Anfang des Jahres: "Burkina Faso kann nicht mehr für die Sicherheit seiner knapp 20 Millionen Einwohner sorgen. (…) Längst ist von der Unsicherheit die ganze westafrikanische Sahelzone betroffen. Im an Burkina Faso angrenzenden Südwesten des Niger gilt bereits seit Anfang Dezember der Ausnahmezustand."

Es gibt mehrere extremistische militante Gruppen (Übersicht: hier), die in der Region agieren. Die beiden Dschihad-Großorganisationen al-Qaida und IS sind zentral dabei.

Eine Besonderheit in der Sahelzone liege darin, dass al-Qaida und der IS sich dort nicht nur dulden, sondern auch kooperieren, erklärte der französische Dschihad-Experte Wassim Nasr dieser Tage zum Hintergrund eines Ereignisses, das die Öffentlichkeit im Nachbarland seit vergangenen Freitag beschäftigt.

Die Operation der Eliteeinheit zur Geiselbefreiung

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag unternahm eine französische Elitetruppe eine Geiselbefreiungsaktion in Burkina Faso in der Nähe der Grenze zu Benin. Zwar wurden alle vier Geiseln befreit, aber es kamen auch zwei Soldaten um. Sie werden als "Elite der Elite" bezeichnet. Sie hatten sich aus einer Entfernung von zweihundert Metern dem Lager genähert, wo die Gefangenen festgehalten wurden. Sie wurden aber wenige Meter vor ihrem Aktionsziel von Wachen bemerkt, was das Spezialteam an den Lade- oder Entsicherungsgeräuschen ihrer Waffen erkannten.

Laut der Schilderung von Le Monde wurde der Angriff dennoch fortgesetzt - "ohne Schüsse abzugeben, um das Leben der Gefangenen nicht zu riskieren". Dabei verloren allerdings die beiden französischen Elitesoldaten ihr Leben. Sie seien in ihren Verstecken aus nächster Nähe getötet worden. Zwei Geiselnehmer konnten fliehen, vier wurden getötet.

Die Aktion, die Verteidigungsministerin Florence Parly als eine Operation mit einem "seltenen Schwierigkeitsgrad" bezeichnet, befreite schließlich nicht nur die beiden französischen Geiseln, sondern überraschenderweise auch eine Amerikanerin und eine Frau aus Südkorea, von denen man vorher nichts wusste, offenbar, wenn die Informationen von Le Monde und anderen Medien stimmen, selbst die USA und Südkorea nicht.

Wichtige Rolle der USA

Die Operation wurde seit dem 7. Mai von französischen Spezialkommandos "Hubert" vorbereitet; bei der Aufklärung sollen die USA eine wichtige Rolle gespielt haben, eingesetzt wurden Hubschrauber und Drohnen. Entführt wurden die beiden Franzosen, Laurent Lassimouillas und Patrick Picque, am 1. Mai im Nationalpark Pendjari in Beinin, unweit der Grenze zu Burkina Faso. Ihr Führer wurde verstümmelt tot aufgefunden. Seitdem war wohl spekuliert worden, dass die beiden Besucher des berühmten Nationalparks, von denen jede Spur fehlte, entführt worden sein könnten.

Die Öffentlichkeit erfährt wie gewöhnlich bei solchen Operationen nur ausgewählte Bruchstücke. Dazu gehört, dass die Aktion plötzlich vorgezogen werden sollte, weil die Dienste meldeten, dass eine Übergabe der Gefangenen an eine andere Gruppe in Burkina Faso anstehe. Das wollte man offenbar mit einem riskanten Einsatz verhindern, was ein deutliches Zeichen dafür ist, wie ernst es die Führung in Frankreich damit war. Das grüne Licht kam von Präsident Macron.

Die Militäroperation erregt in der französischen Öffentlichkeit einiges Aufsehen, wegen des Todes der beiden Elitesoldaten, wegen der "Touristen", die sich auf gefährliches Gelände begeben hatten, wegen Macron, der die befreiten französischen Geiseln heute Abend am Flughafen empfängt und zuletzt wegen der Gefahr, die die Dschihadisten in der Sahelzone darstellen.

Dimension eines Terroraktes, ausgeübt von militärischen Profis

Der letztere Punkt ist auch aus deutscher Sicht interessant. Was auch der bereits erwähnte Dschihadexperte Wassim Nasr besonders hervorhebt, ist, dass die französische Regierung in der ganzen Sache nie von Kriminellen sprach, sondern immer von Terroristen. Die Art, wie die Elitesoldaten ums Leben kamen, habe darüber hinaus bestätigt, dass man es mit Gegnern zu tun habe, die "militärische Profis" sind.

Darüber hinaus sind die Alarmglocken angegangen, weil die Geiseln an Verbündete der Katiba Macina übergeben werden sollten. Die Gruppierung gehört zu jenen lokalen Größen, deren Hydra "al-Qaida im Maghreb" ist. Anführer der Katiba Macina ist Amadou Koufa, eine schillernde Figur in Mali, "Zentrum der Unruhen in der Region", wie Le Monde schreibt. Er wurde von der französischen Regierung schon totgesagt, zeigte ihr aber erst kürzlich auf provozierende Weise, dass sie damit falsch gelegen ist.

Die Erkenntnis reift langsam

Die Entführung selbst wird dem Kommando der Gruppe Ansar ul-Islam zugeschrieben, die in Burkina Faso aktiv ist und deren Anführer Adnan Abu Walid Al-Sahrawi kürzlich einen Treueeid auf al-Bagdadi abgelegt hat, den dieser in seinem weithin beachteten "Lebenszeichen"- und "Kriegserklärung an alle"-Video nicht nur angenommen, sondern die Gefolgsleute in der Sahelzone auch darin bestärkt hat, Frankreich, wo immer möglich, anzugreifen. Die Entführung der beiden Franzosen bekam damit die Dimension eines Terroraktes, der gegen Frankreich gerichtet war, bei dem al-Qaida und IS kooperieren.

Wie es aussieht, ist der Weg zum "Sieg" (siehe Merkel) über den Dschihad-Terror in Nordafrika und in der Sahelzone eine längere Strecke. Man merkt gerade erst langsam, was da im Gange ist. Laut Wassim Nasr wird der Aktionsraum der extremistischen Gruppen ständig größer. Wenn bestimmte Gebiete als "befriedet" bezeichnet werden, dann flammen Konflikte in der Nachbarschaft aus. Landesgrenzen seien porös.