Anwalt klagt auf Rückkehr von Kindern einer deutschen IS-Fanatikerin

Abbildung: Camp Hol. Foto: ANF

Beide Mädchen im Kleinkindalter sind Waisen - Gerichte sollen klären, was die Politik nicht zu leisten vermag

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Die Lage ist verzwickt. Zur Frage, wie mit Kindern in Syrien verfahren werden soll, deren Eltern sich aus anderen Staaten aufgemacht hatten, um sich dem IS anzuschließen, gibt es keine Standard-Lösung. Ein deutscher Anwalt versucht nun den Gerichtsweg, wie die Tagesschau am Dienstagabend berichtet. Der Rechtsanwalt verklage die Bundesregierung auf Rückholung von zwei deutschen Mädchen im Alter von zwei und vier Jahren.

Beide Mädchen sind Waisen. Vom Vater wird nichts berichtet, die Mutter, eine Deutsche, die vor ihrer Reise zum IS in Baden-Württemberg gelebt haben soll, ist in Folge der Kämpfe in Baghouz gestorben, die als eine Art "Endkampf" geschildert wurden. Sie hat es also bis zum Schluss dort ausgehalten oder musste sie es so lange aushalten? Die beiden Kinder befinden sich im Lager al-Hol in der Nähe von Hasaka, über das an dieser Stelle bereits mehrfach berichtet wurde. Laut Angaben von Hilfsorganisationen befanden sich am 1. Mai dort geschätzt 73.500 Personen.

Es steht unter der Verwaltung von Kurden. Im ursprünglich auf weitaus weniger Bewohner angelegten Lager herrschen trotz der Bemühungen der Verwaltung und ihrer Helfer sehr schwierige Bedingungen, was sowohl die Versorgung mit Nahrungsmitteln, wie die medizinische Versorgung anbelangt wie auch Spannungen zwischen den Bewohnern. Sie sind überfordert. Vertreter der Verwaltung nicht nur des Lagers, sondern auch des von Kurden kontrollierten Gebiets machen seit Wochen darauf aufmerksam und appellieren an die Herkunftsstaaten, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen.

Keine diplomatischen Beziehungen mit Syrien, keine konsularische Betreuung

Die politische Crux besteht darin, dass Länder wie Deutschland keine diplomatischen Beziehungen mit der syrischen Regierung haben und die kurdische Verwaltung innerhalb des Hoheitsgebiets des syrischen Staates keine international anerkannte juristische Kompetenz hat, um gerichtliche Entscheidungen über die IS-Mitglieder zu fällen. Kinder machen eine Großteil der Lagerbewohner aus.

"Die Zahl der deutschen Kinder im ehemaligen IS-Gebiet wird auf 200 bis 300 geschätzt", berichtet die Tagesschau, was aber genau genommen keine präzise Auskunft darüber gibt, wie viele Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit in al-Hol leben.

Dem Gang vor ein deutsches Gericht, den der Anwalt Dirk Schoenian im Auftrag von Familienangehörigen unternimmt, liegt der Einzelfall der beiden Kleinkinder zugrunde. Er könnte zu einem Musterfall werden.

Schoenian wird als Anwalt von der Vereinigung al-Asraa gelistet, die ihrer Liste einen eigenartigen Überbau voranstellt: "Hier möchten wir euch ein paar Namen und Adressen von Anwälten geben, die zur Zeit einige Geschwister verteidigen. Es ist zu beachten dass Allah macht was Er will; - Er allein entscheidet, ob einer im Gefängnis bleibt oder entlassen wird. Doch es ist es nun mal so, dass man sich in Deutschland nicht selbst verteidigen kann/darf und wenn man keinen Anwalt hat, so stellt euch das Gericht einen Anwalt zwangsmässig zur Verfügung, der oftmals in der Verteidigung nicht allzu motiviert ist. Und Allah weiß es am besten."

Der Anwalt fordert in einem ersten Schritt, wie ein Rechercheteam ermittelt hat, dass die beiden Kinder durch das Auswärtige Amt konsularisch betreut werden und nach Deutschland geholt werden.

Er will das gerichtlich "erzwingen", wie es in dem Bericht des Rechercheteams von NDR, WDR und SZ heißt: "Das Verwaltungsgericht in Berlin soll das Auswärtige Amt jetzt per einstweiliger Anordnung zum Handeln verpflichten." Zur Begründung der Dringlichkeit gehört, dass die Kinder "unmittelbar lebensbedrohenden" Umstände in dem Lager ausgesetzt sind.

Der Anwalt habe schon seit längerer Zeit beim Auswärtigen Amt "in diesem und anderen Fällen" interveniert. Das Außenministerium verwies jedoch darauf, dass die Botschaft in Damaskus schon seit einiger Zeit geschlossen sei, weswegen "auf syrischem Boden keine konsularische Hilfe" geleistet werden könne.

Aufmerken lässt die zitierte Amtsaussage, dass man mit "Partnern" mögliche Optionen kläre, "um deutschen Staatsangehörigen, auch in humanitären Fällen, eine Rückführung nach Deutschland zu ermöglichen".

"Mögliche Optionen" und Partner

Wer die Partner sind, wird nicht gesagt. Naheliegend ist, dass Frankreich bei den Beratungen oder Gesprächen eine Rolle spielt. Dort ist man ebenfalls mit dem Problem konfrontiert, das dort immer wieder für Aufsehen sorgt. Als Prinzip hatte dort Präsident Macron ausgegeben, dass man von Fall zu Fall entscheide.

Diese Linie der Regierung bestätigte kürzlich auch ein Bericht von Le Monde, der davon handelt, dass Großeltern von zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen im Alter von drei und vier Jahren, nun über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erreichen wollen, dass ihre Enkel und deren Mutter nach Frankreich zurückkehren können, da die Regierung in Paris einer Rückkehr bislang nicht zugestimmt hat.

Le Monde berichtet in diesem Zusammenhang von Krankheiten wie Cholera, Tuberkulose und Dysenterie, die sich in al-Hol, wo sich die Kinder seit drei Monaten befinden, ausbreiten und davon, dass die Kinder nach Angaben der Anwälte keinerlei medizinischen Versorgung und zu wenig Nahrung bekommen. Angeblich sind sie wie ihre Mutter bereits erkrankt.

Seit einem Jahr würden mehrere Anwälte, die Personen mit französischer Staatsbürgerschaft vertreten, versuchen über den Gerichtweg, ihre Aufnahme in Frankreich ("repatrier") zu erwirken, bislang ohne Erfolg. Die Regierung bleibe bei der Lösung "von Fall zu Fall": die Fälle, die die Anwälte vertreten, gehören offenbar bisher nicht dazu.

Den Einzelschicksalen stehen einerseits Pläne zu einer größeren Lösung gegenüber, die in Frankreich laut Medienberichten zwar vorliegen, aber nicht umgesetzt werden, und anderseits Angebote von "Partnern", auf die man nicht eingehen will. So berichtet die Tageschau von einem Angebot aus dem Irak, Partner im Kampf gegen den IS, das an dieser Stelle schon einmal erwähnt wurde, aber mit einer gewissen Vorsicht, da es Mitte April noch nicht klar war, ob die Regierung in Bagdad tatsächlich dahintersteht: Irak: Übernahme der gefangenen IS-Kämpfer gegen sehr viel Geld?.

Der Tagesschau zufolge hat sich da auf offiziellem Weg einiges geklärt:

Der Irak hat der Bundesregierung und zahlreichen anderen Staaten unterdessen Hilfe bei der Lösung des Problems angeboten. Danach könnten zumindest die ausländischen Kämpfer aus den syrischen Lagern in den Irak gebracht und dort vor Gericht gestellt werden. Dafür will der Irak aber für jeden Gefangenen zehn Millionen Dollar von der Bundesregierung. So steht es nach Informationen von NDR, WDR und SZ in einer Liste von Forderungen, die der Irak der deutschen Botschaft in Bagdad übermittelt hat.

Außerdem verlangt der Irak weitere 100 Millionen Dollar für den Bau eines Gefängnisses und eines Gerichtsgebäudes. Darüber hinaus müssten die Deutschen auch die laufenden Kosten für Richter, Wachen und die medizinische Versorgung tragen sowie auf ihr Recht verzichten, die Gefangenen konsularisch zu betreuen und den Irak vor möglicher Kritik schützen.

Tagesschau

Augenscheinlich geht es hier hauptsächlich um die männlichen IS-Kämpfer, von Frauen und Kindern ist hier nicht die Rede. Dieses Problem ist komplizierter. Geht es nach einem Bericht, die letzte Woche in der Londoner Times erschienen ist, so hat Bagdad schon allergrößte Mühe mit den Kindern, die in den irakischen Gebieten geboren und aufgewachsen sind, die der IS jahrelang kontrollierte.

Die miserable Lösung

45.000 Kindern, so die Times, die sich dabei auf Zahlen einer norwegischen Hilfsorganisation (Norwegian Refugee Council) stützt, würden von irakischen Behörden keine Identitätspapiere ausgestellt, weil sie in Zonen aufwuchsen, die unter der Kontrolle des sogenannten "Islamischen Staats" standen. Damit seien sie formell "staatenlos", berichtet die Zeitung, und hätten keinen Anspruch auf Schulbesuch und medizinische Versorgung.

Ob die Zahl und der Umgang mit den Kindern der Wirklichkeit entsprechen, müsste ein Rechercheteam erst ermitteln. Dass es um Probleme mit einer beträchtlichen Dimension geht, daran ist nicht zu zweifeln. Der Warnung vor "tickenden Zeitbomben", die auch im Artikel der Londoner Times vorkommt, steht gegenüber, dass man vor knapp 75 Jahren schon einmal in einem sehr großen Ausmaß mit Kindern zu tun hatte, die in einen totalitären Staat hineingeboren wurden und dort aufgewachsen sind.

Die Kinder in Lagern in Syrien oder dem Irak ihrem Schicksal zu überlassen, ist die miserable Lösung, die sie einem Elend überlässt, das sie nicht zu verantworten haben, und nur ein Wegducken ist.