Hoch lebe der Staatshumor

Die öffentlich-rechtlichen Sender bespaßen ihr Publikum mit einer kunterbunten Parade aus Komikern, Witzeerzählern, Hofnarren und ein paar politischen Kabarettisten im Alibimodus. Hört und sieht man genauer hin, vergeht einem umgehend das Lachen

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Claus von Wagner, neben Max Uthoff gastgebender Klinikchef der ZDF-Anstalt, erinnerte unlängst an die Definition seiner Kunstsparte: "Kabarett ist das Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang eines informierten Zuschauers." Und im gleichen Atemzug erfolgte die Frage: "Doch was macht man, wenn über wesentliche Belange nicht, falsch oder manipulativ berichtet wird?"

In normalen Zeiten sind Journalisten dafür zuständig, Journalismus zu betreiben, während sich die Kabarettisten um das Kunsthandwerk der satirischen Nachrichtenbearbeitung kümmern. Doch wir leben in keinen normalen Zeiten. Die Ära Merkel hat die Republik umfassend sediert und sie in einen hypnotischen Dämmerzustand aus Opportunismus, Diskursverschleppung und Paralyse versetzt.

Aus diesem Grund müssen politische Künstler sich nicht nur durch die wuchernden Fake-Narrative der politischen Macht kämpfen, sondern parallel auch noch die journalistischen Defizite der loyalen Leitmedien aufarbeiten. Das kostet Nerven und unendlich viel Zeit, also auch Sendezeit. Und so greifen die Anstaltsmacher immer wieder zum Trick der antiquierten Grundschul-Schautafel, um den Zuschauern auf diesem Weg die grundlegenden Fakten des jeweiligen Themas zu vermitteln.

Trotz dieser Widrigkeiten schafft man es in jeder Folge, Facetten aus dem rotierenden Irrsinn unseres Absurdistans herauszugreifen, das Rad anzuhalten und die Dunkelstellen mit detektivischer, respektloser und im besten Sinne unterhaltsamer Präzision zu erhellen.

In den fünf Jahren nahm man sich Themen wie Steuergerechtigkeit, Sexismus, Rechtsextreme oder Automobil-industrie vor und kümmerte sich um Griechenland wie auch des Öfteren um die westliche Wertemilitanz in Libyen, Syrien und der Ukraine. Man legt hohes Tempo an den Tag, intellektuelle Schärfe, eine lockere Mischung aus Kalauern, Parodie, Klartext und radikaler Opposition zum politisch-medialen Mainstream, oft auch in Form der Medien. Und die reagieren nicht immer wohlgesonnen. Mal erkennt man die Autoren als Putin-Trolle und antiamerikanische Aufwiegler oder straft das ganze Format als arroganten Agit-Prop und neomarxistisches Bauerntheater ab.

Max Uthoff sieht die Sache ziemlich nüchtern: "Wir versuchen so gut es geht, Missstände oder vom System produzierte Widersprüche und Ungerechtigkeiten offen zu legen. Und nutzen die Chance innerhalb des Mainstreammediums ZDF, klare Gegenpositionen zu formulieren und Zweifel zu multiplizieren. So schwach unsere Wirkung in letzter Konsequenz auch sein mag, so wichtig ist es uns, diese Form einer Gegenkultur unbeirrt und unbeugsam durchzuziehen."

Ehrungen und Preise für Kabarettisten fühlten sich für Dieter Hildebrandt an wie die Verbeamtung in den Rang eines Staatshumoristen. Als wahre Ritterschläge galten dem Pointen-Homer dagegen Klagen und Zensur. Nachdem Uthoff&Wagner 2014 die Namen einiger prominenter Edelfedern als Mitglieder NATO-serviler Elitenetzwerke auf ihr Whiteboard gepappt hatten, ging die empörte "Zeit" mit einer solchen Klage gegen das ZDF vor, nebst einstweiliger Verfügung und Entfernung der Folge aus der Mediathek. Im Januar 2017 wies der Bundesgerichtshof das juristische Ansinnen mit der Begründung zurück, dass eine "satirische Darstellung auch Ungenauigkeiten enthalten darf".

Solche Blößen hatte sich das im Echobunker eingemauerte Establishment schon lange nicht mehr gegeben. Da muss man schon zurück ins Jahr 1975, in dem die Mainzer eine Folge von Hildebrandts "Notizen aus der Provinz" aus dem eigenen Programm hievten, weil er die Abtreibungsdebatte thematisierte, und diesen Eingriff 1977 wiederholten - wegen zu geringer Distanzierung vom Terrorismus. Als BR-Fernsehdirektor Helmut Oeller im Mai 1986 wegen eines harmlosen Sondermüllgags eine ganze Folge des "Scheibenwischer" im bayerischen Sendegebiet verhinderte, machte folgender Witz die Runde: "Was ist der Unterschied zwischen der DDR und Bayern? In der DDR konnte man den Scheibenwischer sehen."

Viel Quote für sehr wenig Geld

Die aktuellen Stars - ja, genau so nennen die sich - der Kabarett-Szene indessen haben keinerlei Skrupel, sich gegenseitig bei den unzähligen TV-Inzucht-Events vor illuminierten Sponsorenvorhängen mit Statuen und Pokalen zu versorgen. Nuhr an Kebekus und Kebekus an Nuhr und Appelt an Altinger und Olaf an Oliver und Lizzy an Sissy und Bussi, Lachen, Winken, Herzchen, Fünfer, Baba, bis nächste Woche in Berlin.

Da weder Ovid, Freud noch Sloterdijk ein zuverlässiges Gütesiegel für Humor geschaffen haben, bleibt uns als einziges Maß nur das lapidare: Wer die Leute zum Lachen bringt, hat Recht. Was am Ende gut, dumm, peinlich, lustig, anarchisch, geschmacklos oder grandios ist, bleibt jedem selbst überlassen.

Gehen wir besser über zum Faktischen. Und hier gilt es festzustellen, dass wir es seit einiger Zeit mit einer stetig anwachsenden Gruppe von Männern und Frauen zu tun haben, die einen Hang zur humorigen Weltendeutung in sich verspüren und das zeitgeistige Glück haben, dass ihnen die öffentlich-rechtlichen Anstalten die sonst so hartumkämpften Sendeplätze zur Verfügung stellen, bzw. hinterherwerfen und zwar auch und gerade dann, wenn es sich um kriecherprobte Dilettanten und in Schleim eingelegte Bücklinge handelt.

Der bayerische Kabarettist Helmut Schleich, der virtuos um die BR- Entlassungszone herum tänzelt, äußert folgende Vermutung:

Ich denke, dass viele dieser neuen Kleinkünstler gerade im TV die Chance sehen, relativ schnell groß raus zu kommen. Da wird ganz banal taxiert, wie es in diesem Job um Karrierechancen und Verdienstmöglichkeiten bestellt ist. Und weil das zur Zeit gut aussieht, steigt da sicher die Bereitschaft, gewisse Aussagen, bzw. Inhalte - sagen wir es mal höflich - zu optimieren. Und für die Sender ist die Rechnung ganz einfach: Viel Quote für sehr wenig Geld.

Helmut Schleich

Sein Münchener Kollege Bruno Jonas beschreibt das Phänomen des intellektuellen Seichtgebietes so:

Es gibt ja in diesem Land zur Zeit ein großes Bedürfnis nach Empörung. Und nicht wenige Kollegen gefallen sich mächtig in der Rolle eines moralisch hochstehenden Empörungsdienstleisters. Ich bezeichne dieses paradoxe Auftreten, also die Pose aus maximaler Anklage und minimalster Konsequenz als einen moralischen Populismus.

Bruno Jonas

Bei der ARD, wo das Politsegment seit der 9/11-Zäsur permanenten Fake-News-Vorwürfen ausgesetzt ist und deren Redakteure knietief im Rechtfertigungsmorast stecken, stand am Jahresende 2018 eine Woche der Gerechtigkeit auf dem Programm. Da ließen sich natürlich die sendeigenen Haus- und Hofkomiker nicht lumpen und so wurde beispielsweise dieser Sermon mit Ovationen beklatscht:

Wir haben in unserem Land ein ziemlich gutes, sicher nicht perfektes Gleichgewicht aus Freiheit und Gerechtigkeit, vielleicht die beste Mischung, die es jemals auf der Welt gab. Aber der Wille, sich als Opfer zu fühlen, ist einfach gigantisch bei uns. Und das hat nichts mit mangelnder Gerechtigkeit zu tun, sondern mit der Unfähigkeit, das Erreichte wertzuschätzen. Danke. Gute Nacht.

Dieter Nuhr und seine Scherzkeksfamily

Diese vorweihnachtliche Botschaft stammte weder von der Pfarrertochter Angela Merkel noch aus der Bütt eines Bedford Strom, sondern aus der Feder des Satiregipfelchefs und Humor-Hohepriesters der ARD, Herrn Dieter Nuhr, den Henning Venske von der Lach- und Schieß einmal als "neoliberalen Mittelstandshumoristen" bezeichnete.

Auch äußerlich schon erinnert der sinnlos-beschwingte Conferencier an den beturnschuhten Bruder von Steffen Seibert. Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.

Nun muss politisches Kabarett nicht zwanghaft mit der Tristesse einer Neuköllner Sozialdoku konkurrieren, doch ihr Kerngeschäft besteht nun mal in kratzigem Erkenntnisgewinn und antiautoritärer Komik. Kabarett ist Freund der Schwachen und Ausgemusterten und der Feind von präpotenter Dummheit und Gewaltzynismus. In diesem Sinne bot das Thema Gerechtigkeit für Dieter Nuhr und seine Scherzkeksfamily ein monströses Spielfeld: Wohnungsnot, Millionen prekärer Jobs, Altersarmut, Bildungszerfall, krankes Gesundheitswesen, Energiedebakel, staatlich geförderter Cum-Ex-Crime und den alltäglichen Irrsinn in dieser Bananen-Groko. Stattdessen johlten Nuhrs Claqueure über doofen Kommunismus, über doofe Falschpinkler, doofe Arbeitslose, von Neid zerfressene Zukurzgekommene, Bucklige, Zahnlose, Zwerge, doofe Alt 68iger, frustrierte Populisten und doofe Kinder von doofen Eltern.

Das Leben, so Nuhr, sei nun mal ungerecht und ein Top-Model will eben nun mal mit keinem Krüppel ins Bett und nicht jeder kann Millionär werden, auch weil große Leistungen viel Disziplin, Entbehrungen und Glück brauchen, und es sei ja wohl zum Totlachen, wenn jeder Vollidiot erwarte, auf der Sänfte durchs Leben getragen zu werden.

Ohne konkreten Nuhr-Bezug äußert Helmut Schleich sein Unbehagen angesichts dieser Art von Satire:

Kabarett für die breite Masse zu machen, bedeutet in unserer Konkurrenzgesellschaft den Verlierern mitzuteilen, dass sie nun mal an ihrem Los selber schuld sind. Gelacht wird deswegen so laut, weil jeder im Saal davon ausgeht, dass es ihn (noch) nicht ereilt hat. Ein Kabarett solcher Machart kalkuliert diese Wirkung auch ganz bewusst ein und ist in letzter Konsequenz sogar Demokratie zersetzend und das pure Gegenteil der eigentlichen Zielsetzung.

Helmut Schleich

Als ein barocker Buddha zum Kompass im X-Beliebigen wurde

An dieser Stelle empfiehlt sich ein kurzer Blick zurück: In der oftmals verklärten Blütezeit des politischen Kabaretts, großzügig bemessen zwischen 1960 und 1985, dienten sich seine Protagonisten als fahrenden Wanderzirkus der SPD an. Man war sich einig im Engagement gegen Strauß, Großkapital, Krieg, Atomlobby, Amigo-Filz und US-Imperialismus.

Einige von ihnen davon stutzten leicht, als Brioni-Schröders Hartz-Agenda zu greifen begann und Fischer das grüne Anhängsel zu einer NATO-Filiale deformiert hatte. Doch die meisten Polithumoristen halten mit masochistischem Genuss jener halluzinierten Mehrheit links von der Mitte bis heute die Treue, ohne zu registrieren, wie es um die heutigen Vertreter jenes Lagers steht.

Ab Mitte der Achtziger hatten aber Dutzende von RTL&SAT-Karnevalisten die Bühnen gekapert und es dem ohnehin vom Dotcom&Yuppie-Elan verwirrten Publikum schwer gemacht, in dem Joker-Chaos aus Harald Schmidt, Raab, Hallervorden, Barth, Pispers, von Sinnen, Zimmerschied und Konsorten noch halbwegs sortenreine Kabarettisten auszumachen. Auch die Motivationslagen und Intentionen der Entertainer in jener Epoche der X-Beliebigkeit ließen sich kaum noch erschließen.

Als Kompass galt ein barocker Buddha namens Ottfried Fischer, der nahezu jeden Vertreter der gesamt-deutschen Humorarbeit in seinem BR-Schlachthof bewirtete und wie kein zweiter befugt ist, die Gebote der Berufsethik in Stein zu meißeln:

Sich von Parteien frei machen. Unbeirrt Mahnen und Warnen. Dem Streben nach positiver Weltveränderung verpflichtet bleiben. Die eigene Phantasie und Kraft der Ideen benutzen. Speerspitze sein gegen die herrschende Macht. Radikale Opposition betreiben. Debatten und Diskurs anfeuern. Die Menschen aufklären und inspirieren und dies attraktiv, modern und kunstvoll. Komisch sein, mutig, schlagfertig, tiefgründig, Grenzen überschreiten und auch mal Schmerzen bereiten.

Ottfrid Fischer

Sprachröhre der bedingungslos bunten Open-Border-Weltidee

Schmerzen bereiten, das gelingt der deutschen Pussy-Riot-Filiale in Form von Caroline Kebekus mühelos. Die hochdekorierte, ständig ausverkaufte, schonungslose, stimmgewaltige und irre provokativ-miniberockte rheinische Frohnatur ist im wahrsten Sinne die Sprachröhre der bedingungslos bunten Open-Border-Weltidee.

Früh schon ging die Tabuknackerin auf Nummer sicher, leckte im Nonnenkostüm ein Kruzifix ab und reimte: "Er ist meine Bank, nur für ihn zieh ich blank." Als sie munter weiterslamte: "Bei Gott geht der Punk ab, weil nur er den Funk hat; Jesus ist der Shit und wer das nicht glaubt, der kackt ab", intervenierte die Bischofskonferenz beim WDR, worauf sich der Sender und seine Aktivistin damit schmücken dürfen, als knallharter, hemmungsloser, antiklerikaler Piratenkutter im Gegen-Rechts-Wind zu segeln.

Den ARD-Fernsehräten gilt die verhaltensauffällige Künstlerin offensichtlich als der erotisierende Brückenschlag, um ein als rebellisch halluziniertes Jugendsegment auf die matte Scheibe zurück zu holen. Zudem entspricht alles, was Frau Kebekus in ihrer juvenilen Wut von sich kreischt, mehr oder weniger punktgenau dem Stammtisch-"Framing" des regierenden Tugendregimes: Alte weiße notgeile Männer - Megascheiße. Erdogan, Orban, Putin und vor allem Trump - die können sich ganz warm anziehen, wenn Kita-Caro zum Florett greift: "Ein 15-jähriger pubertierender Junge, gefangen im Körper eines 70-jährigen orangefarbenen Mannes."

Und auch in Sachen Brexit-Briten hat das It-Girl eine so knallharte wie poetische Meinung: "Euer Land hat Scheißfraß und die Männer haben Titten. Niemand braucht auf Malle vollgesoffene Briten." Ansonsten röhrt und rockt Carolin bei jeder Fair-Trade-Gelegenheit gegen Hetze, Ausgrenzung und Rassismus. Das alleine schon gibt heutzutage sichere Punkte im Land der schwarzgrünen Bewusstseinstrübung. "Das Herstellen der Komik ist schwere Arbeit. Es ist Quälerei. Das sind nicht Einfälle, mit denen man spielen kann wie mit Bällen. Da kommt es auf Rhythmus und Genauigkeit an." Das wiederum sagt nicht Kebekus, sondern Loriot.

Hyperventilierendes Verspotten der immer gleichen Schießbudenfiguren

Links sein, stand und steht für die simple wie solide Werte: Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Pazifismus, Aufklärung, Solidarität, Zivilcourage und Kampf gegen Heuchelei, Opportunismus und Machtmissbrauch. Dieses Geschäft im kabarettistischen Sinne betreiben im Staats-TV fast nur noch die Macher der Anstalt, Pelzig und der frühere Priol. Schramm und Pispers haben sich ins YouTube-Archiv verabschiedet. Die restlichen "linken" Satiriker sind durch die beiden Fußfesseln der Migrationsfrage und der Russland-Paranoia an die moralische Baracke des Kanzleramts angekettet. Das mag, außer der bereits erwähnten Demutspose gegenüber rotgrünem Haltungskitsch erklären, wieso auf Realitätskontakt verzichtet wird.

Das hyperventilierende Verspotten der immer gleichen Schießbudenfiguren kompensiert das Abducken bei den Themen des mafiosen Brüssel-Theaters, der digitalen Krake, den ungeklärten Fällen NSU und Amri und dem Wüten der Geheimdienste, der importierten Kriminalität, dem brandgefährlichen NATO-Treiben und vor allem dem medialen Komplettversagen in dieser durch und durch formatierten Republik.

Der vom "Scheibenwischer" bekannte Bruno Jonas ist einer der wenigen Kabarettgrößen ohne Berührungsängste mit dem grünen Wellness-Milieu:

Ich sehe die Grünen auf dem Weg zur neuen Religionsgemeinschaft, hochstilisiert zu den Heiligen der letzten Tage, für die wir irgendwann Kirchensteuer zahlen müssen. Deren Dogmen, alle diese nicht mehr hinterfragbaren Wahrheiten, ihre apokalyptischen Versprechen und das warnende Geraune schreien doch nach satirischer Bearbeitung.

Bruno Jonas

Damit verursacht er bei seine angestammten Fans ziemliche Irritationen.

Wer den linken Laufstall überschreitet, wird als Abtrünniger behandelt. Logische Argumente spielen dabei keine Rolle. Humor, Selbstironie und Querdenken sind im linksgrünen Bereich nicht erwünscht. Wenn ich mir das in Ruhe betrachte, stelle ich fest, dass das politische Kabarett nach und nach auf Linie gebracht wurde.

Bruno Jonas

Welke&Friends bedienen die Ressentiments aus dem Labor von Kleber und Slomka

Der Deutschen liebste Kabarettsendung ist ein abgekupfertes US-Format und heißt "heute show". Sie folgt am Freitagabend dem eher unfreiwillig satirischen "heute journal" - und greift auf dessen Stilmittel zurück, als da wären das Verlesen von Nachrichten, das Verwenden von textstützenden Bildtafeln, das Zuschalten von Außenreportern und der Bewirtung von Experten.

Von formaler Kreativität befreit, kann sich das vielköpfige Autorenteam darauf konzentrieren, die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen auf Pannen, Abweichungen oder witzige Versprecher abzuklopfen. Das führt zwangsläufig zu großer Belustigung bei dem euphorisierten Studiopublikum. Die kollektive Hocherregung erfasst nun auch Anchorman Oliver Welke, der seine Freude angesichts der deftigen Zoten, toxischen Wortspiele und Micky Mouse-Cartoons nur mit großer Mühe verbergen kann und immer wieder indigniert den Kopf schütteln muss, wenn man der Apricot-Raute ordentlich eine auf die feisten Hängebäckchen gegeben hat.

Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern. Helmut Schleich beurteilt diese Art von Kabarett so:

Es kommt natürlich sehr gut an, wenn der TV-Kabarettist mehr oder weniger die Leitartikel der sogenannten Qualitätsmedien paraphrasiert und das Ganze sogar noch als Haltung verkaufen kann. Mit der politischen Macht scharf und pointiert ins Gericht zu gehen und diese Erkenntnisse in echtes Entertainment zu verwandeln verlangt indessen profunde Recherche und ist ungleich aufwändiger, als über irgendwelche Bedrohungen durch "Nazis" zu schwadronieren und sich damit billige Ovationen zu verschaffen. Leider ist es aber auch so, dass der normale Kabarettbesucher mittlerweile aber gar keine echten Irritationen mehr erwartet.

Helmut Schleich

Folgerichtig bedienen Welke&Friends die Ressentiments aus dem Labor von Kleber und Slomka und jonglieren als Handwerker der leichten Muse. So sorgt höchstens mal ein gekreuzigter Osterhase für Ärger oder ein parodierter Stotterer aus den Reihen der AfD. In subalterner Schulternähe mit dem Mainstream werden die einzige Oppositionspartei und deren Wähler in jeder Folge in ermüdender Monotonie zu Nazis, Hetzern und Rassisten erklärt.

Danach ist die "handverlesene Arschgeigentruppe" des Trump-Kabinetts an der Reihe, gefolgt vom Krimaggressor Putin und Fassbombenmörder Assad und dann schließt sich der Bogen hin zu populistischen Wirrköpfen, die mit dem europäischen Parlament, dem Diesel und Feinstaub sowie dem Welcome-Movement so ihre Probleme haben.

Man mag es sich gar nicht vorstellen, wie sich diese linientreue Topgilde des aktuellen deutschen Politkabaretts verhalten hätte, wenn sie von Goebbels aufgefordert worden wären, beschwingliche Witzbeiträge zum Rahmenprogramm der Berliner Olympiaspiele zu liefern. Vom Mut und Geist eines Hildebrandt, von der wahrhaftigen Anarchie eines Schramm oder der erhellenden Kraft eines Pispers ist hier weit und breit nichts zu verspüren. In logischer Folge dessen begründete die Jury die Übergabe des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an die Macher: "Aufklärung mit Genuss in Zeiten des Politikverdrusses und des Misstrauens gegenüber herkömmlicher Berichterstattung."

Das eigentliche Tragikomische an diesem Hofkomödiantentum besteht in der schleichenden Umwertung des Kanons, die dazu noch freiwillig angedient wird. Noch paradoxer als die Tatsache, dass wir heute ein Kabarett von Oben nach Unten vorfinden, ist die Heuchelei, mit der uns das hypermoralische Gehabe als Haltung verkauft hat, eine Tugend, mit der wir Mut, Würde und Risikobereitschaft assoziieren sollen. Doch hinter dem hochgehandelten Modebegriff Haltung ist mühelos seine eigentliche Bedeutung wahrzunehmen: der blinde Gehorsam wilhelminischer Kasernenhöfe, Kompanie stillgestanden! Haltung einnehmen! Augen rechts! Das Gewehr über! Rührt euch!

Wir leben in keinen normalen Zeiten

Eine solche hohe Kunst mit Haltung entdeckten u.a. Welke, Hallervorden wie auch Springerchef Mathias Döpfner beim Cheflyriker des ZDF, Jan Böhmermann, als der dem türkischen Präsidenten vorhielt, dass er übel rieche, Mädchen schlage, geschlechtlich mit Ziegen verkehre, Kinderpornos schaue, eine "dumme Sau" mit "Schrumpelklöten" sei und zudem "schwul, pervers, verlaust und zoophil" und an Gangbangpartys teilnehme, "bis der Schwanz beim Pinkeln brennt".

Die halbe Nation hatte damals ihre Liebe zur Dichtkunst entdeckt und auch ein Großteil unserer politisch-medialen Elite entzückte sich an den Spottversen. Es wäre spannend sich auszumalen, wie ein Robert Habeck oder Norbert Röttgen als Betroffene auf solchen Heidenspaß reagiert hätten.

Während bei ARD und ZDF die Programmbeschwerden etwa zu Syrien oder der Ukraine die Münchener Staatsbibliothek bis unter die Decke auffüllen, sind Kabarettsendungen wie die "Anstalt" dazu angehalten, für jede Folge und jede kritische Bemerkung eine Website mit teilweise über 100 Seiten lange Belege und Faktenchecks zu betreiben. In normalen Zeiten sind satirische Zuspitzungen und Verdrehungen nicht nur durch die künstlerische Freiheit gedeckt, sondern gehören zum grundlegenden Jobprofil. Aber wir leben in keinen normalen Zeiten.

Zum Thema der offenen Zensur machte Bruno Jonas immer wieder die Erfahrung, dass sich betreuende Redakteure im Dienste einer proporzgerechte Fernsehtauglichkeit einmischen und zu Kontroverses gerne abmildern, auch um so den vielbenutzten "Beifall von der falschen Seite" zu vermeiden. Warum die Anstalt bislang nur einmal aneckte, regt Max Uthoff zur Nachdenklichkeit an:

Dass wir nicht zensiert werden, kann man auf vielfache Weise interpretieren: Entweder das System ist so sattelfest, dass Kritik die Mächtigen nicht mehr groß juckt. Oder wir sind so zahm, dass "die da oben" keine echte Feindschaft erkennen. Oder wir sind in unserer Kritik handwerklich so gut, dass man uns die Plausibilität einer anderen Sichtweise zugesteht. Oder man fürchtet auf den oberen Ebenen bei Bekanntwerden von inhaltlichen Direktiven eine Art öffentliche Empörung.

Max Uthoff