EU-Wahl: Macron verliert gegen Le Pen

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Auch in Frankreich sind die Grünen die Überraschungsgewinner. Sie sind die neue linke Mitte, die alte ärgert sich über die Gelbwesten

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Orbán hat gewonnen, Salvini und Le Pen, Macron nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass die von Le Pen geführten Rechtsnationalisten bei den Europawahlen vorne liegen. Aber diesmal sind die Umstände besonders, weil Macron den Wahlkampf auf einen persönlichen Kampf gegen die Populisten zugeschnitten hat.

Das war zu überheblich, zu eindimensional und politisch unklug, sagen seine Kritiker, die sich bestätigt sehen. Er hat sich verschätzt (und damit den politischen Gegner gestärkt, wie ihm etwa Mélenchon von der linken Partei La France insoumise vorwirft).

Eine neue politische Landschaft wird bestätigt

"Frankreich wacht mit einer neuen bürgerlichen Rechten (La République en Marche) auf, einer neuen linken Mitte ("Die Grünen", Europe Écologie - Les Verts) und noch immer mit einer populären extremen Rechten", beschreibt der Journalist Jean-Dominique Merchet die Morgenlage. Die politische Landschaft hat sich in Frankreich grundlegend verändert, die EU-Wahlen bestätigen dies aufs Neue.

Die beiden großen Parteien, die jahrzehntelang den "Betrieb" bestimmten und den Wahlsieg unter sich ausmachten, die Konservativen (jetzt unter dem Namen Les Républicains) und die Sozialdemokraten (jetzt angetreten unter den Namen Parti socialiste - Place Publique und Génération.s) kamen zusammen nur mehr auf einen Anteil von 18 Prozent aller Wähler.

Und dieses Mal gingen - anders, als es die Umfrageinstitute vorhersagten - mehr zur Wahl als bei den letzten EU-Wahlen, was den Altparteien zu denken geben muss. Es wurde mobilisiert, aber davon konnten sie nicht profitieren. Sie befinden sich am Rand der wichtigen politischen Strömungen.

Die Wahlbeteiligung lag bei geschätzten 50,7 Prozent weit über dem Wert von 2014 (42,43 %). Man muss bis ins Jahr 1994 zurückgehen, um eine höhere Beteiligung zu finden. Aber die Zahl, die so knapp über der Hälfte liegt, zeigt auch an, dass die Umfrageinstitute mit einer Kern-Einschätzung, die sie sorgenvoll kommentierten, Recht behielten: Das Land ist gespalten.

Die Partei von Le Pen, früher Front national, jetzt Rassemblement national, gewann nur knapp. Sie holte (mit ihrem Spitzenkandidaten Jordan Bordella) 23,3 Prozent der Stimmen, in absoluten Zahlen: 5.281.734 Stimmen. Macrons La République en marche, die mit MoDem ein Wahlbündnis hatte, kam auf 22,4 Prozent. Bei den absoluten Stimmen sieht man, wie eng es zugeht. Es waren nur rund 200.000 Stimmen weniger: 5.076.464. Bei den Sitzen macht dies keinen Unterschied. Beide, RN wie LRM/MoDem, bekommen künftig je 23 Sitze im EU-Parlament.

Die Linke verliert

Die Spitzenkandidatin der Partei Macrons war übrigens Nathalie Loiseau, deren Vergangenheit auf einer "rechtsextremen Wahlliste" für Wirbel sorgte - und auch mit dazu beigetragen hat, dass der anfangs zitierte Journalist Jean-Dominique Merchet die République en Marche dezidiert auf der rechten Seite einordnet, wenn auch mit dem Etikett "bürgerlich". Macron wollte sich ja weder links noch rechts zuordnen.

Ebenso wie seine stärksten innenpolitischen Gegner, die Gelbwesten-Bewegung, sich im Koordinatensystem obsoleter politischer Landschaften nicht einordnen lassen wollte. Das übernahmen stattdessen Medien und Intellektuelle, die angesichts der Gewaltausschreitungen, antisemitischer Obszönitäten und Gebrüll, dem Auftreten Rechtsradikaler bei den Demonstrationen der Gilets Jaunes und bizarrer Aussagen ihrer Facebook-Repräsentanten sowie Analogien zu früheren kleinbürgerlichen Protestbewegungen entschieden die Meinung vertreten, dass es sich hier um eine rechte Bewegung handelt.

Entsprechend einfach verfährt auch die Libération, Organ der alteingesessenen Linksliberalen, mit der Erklärung, dass die Gelbwesten zum Sieg Le Pens beigetragen haben. Das ist genau das Szenario, das als "Schreckensszenario" auf der linken Seite immer aufgemalt wurde: Die Gelbwesten helfen Le Pen. Zuletzt machten keineswegs rechtsnationalistisch gesinnte Historiker sich an grundlegendere Analysen der Gelbwesten-Proteste und kamen dabei zu einem differenzierteren Bild, bei dem soziale Fragen im Mittelpunkt stehen.

Es wäre für die Linke vielleicht nicht schlecht, sich dieses alte Kernland ihrer politischen Aufgaben nochmal etwas genauer anzuschauen, denn die linken Parteien haben allesamt verloren. Dass populistische Anbiederung an die tatsächlich von unterschiedlichen Strömungen getragene Protestbewegung bei Wählern nicht weit trägt, musste die von Mélenchon geführte Partei La France Insoumise erfahren.

Die Partei, die beim Präsidentschaftswahlkampf noch so viele Wähler bewegen konnte, dass es ihr Kandidat fast in die Stichwahl geschafft hätte, musste sich nun mit 6,3 Prozent(!) begnügen - gleichauf mit Glucksmans PS-Update Place Publique.

Die Jüngeren wenden sich den Grünen zu

Insgesamt würden die Linken - Génération.s des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Benoît Hamon eingerechnet, die allerdings keine Sitze gewann - auf 15 Prozent kommen. Mit dem Überraschungsstimmengewinner auf der Seite der linken Mitte, den Grünen, die auf 13,5 Prozent kamen, zusammen, käme das linke Spektrum auf nicht einmal 30 Prozent.

Das wird in Frankreich noch für viel Diskussionen sorgen. Auch weil dort, ähnlich wie hier, die jungen Wähler, die sich diesmal, mehr als angenommen worden war, mobilisieren ließen, und Grün wählten.

Nachgetragen sei noch das Fazit der kommunistischen Zeitung Humanité, die der Niederlage der linken Parteien, insbesondere der Sozialdemokraten, auf den Zahn fühlt: "Nach dreißig Jahren, in denen man die Wählerstimmen, die man bekommen hatte, mit Hohn behandelt und Versprechen verraten hat, glaubt eine Zahl von Bürgern nicht mehr an das Vermögen der Politik, ihre Leben zu verändern. Es ist nicht die Linke, die die Opposition zum Ultraliberalismus von Macron verkörpert hat. Sondern die extreme Rechte. Das ist eine Ohrfeige zum Nachdenken und der Anfang einer großen, weitläufigen Baustelle ..."