Artenschutz für CDU und SPD?

Foto: CDU / Laurence Chaperon (Verwendung für satirische oder diffamierende Zwecke angeblich strafrechtlich verboten)

AKK will Meinungsfreiheit von YouTubern überprüfen. Ein rechtlicher Kommentar.

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Kronprinzessin AKK offenbarte auf einer Pressekonferenz interessante Einblicke in ihr Verständnis von Medienfreiheit. Als sie hörte, es hätten sich über 70 Youtuber zusammengeschlossen, habe sie sich gefragt, was eigentlich los wäre, würden 70 Redaktionen aufrufen, CDU und SPD nicht zu wählen. Man müsse prüfen, inwiefern Regeln aus der analogen auch für die digitale Welt gälten, berichten diverse Medien.

Offenbar glaubt die Spitzenpolitikerin, dass es für Redaktionen in der analogen Welt solche "Regeln" gäbe. Das ist aber nicht der Fall. Jede Redaktion darf zum Boykott der CDU und SPD aufrufen, jedenfalls solange sie nicht für ein öffentlich-rechtliches Rundfunkhaus arbeitet.

Presse- und Rundfunkfreiheit

Im Fall öffentlich-rechtlicher Rundfunkhäuser wären die Redaktionen, die durch den Rundfunkbeitrag finanziert werden, zu einem Minimum an Respekt gegenüber allen Parteien verpflichtet. Die Rundfunkstaatsverträge sollen eine Meinungsvielfalt sicherstellen, mit denen ein Boykottaufruf gegen eine Partei durch eine Redaktion oder gar alle Redaktionen wohl unvereinbar wäre. Aber niemand könnte etwa die Satiresendung extra3 an den NeuestenNationalenNachrichten hindern, die einem Boykottaufruf gegen die NPD gleichkommen.

Die gedruckte Presse jedoch darf gegen die Parteien wettern, ohne dass es hier besondere Regeln zu beachten gäbe. Die Pressegesetze der Bundesländer verpflichten die Redaktionen lediglich auf die freiheitliche demokratische Grundordnung und auf Einhaltung etwa von Sorgfaltspflichten, Jugendschutz, Verbot von Schleichwerbung usw.. Ansonsten unterliegt die Freiheit der Presse nur den Beschränkungen, die durch das Grundgesetz zugelassen sind, etwa dem Verbot von Beleidigung, übler Nachrede, usw.. Stellungnahmen und meinungsbildende Beiträge sind im Gegenteil sogar ausdrücklich gewünscht. Die Rechtsprechung mutet in Wahlkampfzeiten Politikern sogar erhöhte Nehmerqualitäten zu.

Bei Boykottaurufen wäre eine Grenze erst dann problematisch, wenn der Aufrufer über gemeinschaftswichtige Belange hinaus ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgen würde, was gegen politische Parteien schwer vorstellbar ist. Solange es der Herausgeber billigt, darf sich jeder Journalist und jede Redaktion gegen eine Partei positionieren. Boykottaufrufe sind allerdings mit dem Selbstanspruch der Überparteilichkeit kaum vereinbar und werden daher außerhalb von Tendenzmedien selten vorkommen. Aber auch ein Meinungskartell aus 70 Redaktionen wäre zulässig, da die Pressefreiheit Kartellrecht grundsätzlich vorgeht.

YouTuber als Rundfunkveranstalter

Was für die Printwelt gilt, das gilt auch für die sogenannten "Neuen Medien". Landesmedienanstalten sehen allerdings reichweitenstarke YouTuber mit redaktionell gestalteten Inhalten und Programmen inzwischen bisweilen als Rundfunkveranstalter im Sinne der Mediengsetze. Private Rundfunkveranstalter sind auf Programmgrundsätze der Landesmediengesetze verpflichtet, so dass diese eine gewisse Vielfalt der Meinungen bieten müssen. Aber selbst das Gebot, andere Meinungen zur Geltung zu bringen, schließt einen Boykottaufruf gegen eine Partei nicht aus.

Wenn AKK YouTubern Boykott-Aufrufe gegen Parteien verbieten will, müsste sie ein solches Gesetz erst auf den Weg bringen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein saarländischer Ministerpräsident mit einem meinungsfeindlichen Eingriff in das Pressegesetz unbeliebt gemacht hätte. Eine solch unsportliche Gesetzesänderung wäre allerdings ein langer Ritt, weil Presse- und Medienrecht Ländersache ist und damit 16 Bundesländer überzeugt werden müssten.

Lex AKK wohl verfassungswidrig

Es spricht allerdings viel dafür, dass ein solches Gesetz verfassungswidrig wäre, da es in den Wesensgehalt des Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes eingreifen würde. Denn fundamentaler Sinn und Zweck des Artikel 5 Abs. 1 GG ist die Kritik an der Obrigkeit, wie sie den Deutschen in bitterster Zeit verwehrt war. Eine Entscheidungshilfe zur vornehmsten Bürgerpflicht, nämlich der Wahl oder Abwahl der Regierungsparteien, ist ausdrücklich erwünscht.

Rezo hat dem Grundgesetz genau das Geschenk gemacht, das es vor 70 Jahren bestellt hat.

[Der Autor ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht]