Wer ist hier der Boss?

Warum ich mein Smartphone nicht mehr liebe

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Damit ihr die Überschrift verstehen könnt, muss ich etwas weiter ausholen. Die Geschichte beginnt, als ich 12 Jahre alt war. Ich ging auf die Realschule und war schon einmal sitzen geblieben. Ich war ein lausiger Schüler, hatte schlechte Noten und schrieb die Hausaufgaben meistens am Morgen vor der Schule ab. Für die meisten Menschen war ich unsichtbar; oft war das Schönste des Tages für mich abends zu Bett zu gehen und Bücher zu lesen. Soweit zur Ausgangssituation.

Ich hatte schon damals ein Faible für Gadgets, auch wenn niemand sie zu dieser Zeit so genannt hätte. Eigentlich waren es auch keine. Aus irgendeinem Grunde übten Geräte wie Fotoapparate oder Radio-Recorder auf mich eine magische Anziehungskraft aus. Ich denke, dass ich damals schon verstand, dass im Gerät eine technische Apparatur war, die die Funktion realisierte. Wer sie beherrschte, konnte damit tolle Bilder oder eine individuelle Musiksammlung erzeugen. Etwas Neues erschaffen. Aber ich wollte weder Fotograf noch DJ werden und die eigentliche Funktion habe ich stets schnell verstanden. Darum wurden diese Geräte schnell langweilig.

So ist es vermutlich zu erklären, dass ich beim Blättern in einem Quelle-Katalog immer wieder bei den Seiten mit den Taschenrechnern hängen blieb. Die Taschenrechner mit ihren vielen Tasten hatten es mir angetan. Viel mehr Tasten als an einem Fotoapparat oder einem Radio-Recorder! Ich dachte, dass ich dann ja an einem solchen Gerät auch viel länger Spaß haben müsste. Meine Mutter arbeitete in dieser Zeit als Verkäuferin in einem Laden neben einem Quelle-Laden und eines Tages brachte sie einen extrem günstigen 4-Grundrechenarten Taschenrechner mit nach Hause. Mein Vater besah ihn sich eine Zeit lang und schenkte ihn dann mir.

Ich spielte mit ihm und stellte fest, dass er nur 6 Stellen und noch nicht einmal ein Komma besaß. Das machte ihn auch für mich schnell langweilig. Darum blätterte ich weiter im Katalog und eines Tages gab es da Taschenrechner mit viel mehr Tasten und Funktionen. Zum Beispiel 'sin', 'cos', 'tan', 'x^2', 'ln' und 'log'. Und noch viel spannender: 'STO' und 'RCL'! Ich verdiente mir selbst durch Heimarbeit etwas Geld und kaufte mir einen Privileg SR58D-NC. Die neuen Funktionen gaben meinem Bedürfnis nach unbekannten Funktionalitäten neues Futter, da ich sie schlicht nicht verstand. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem das Gerät für mich nicht mehr so einfach begreifbar war! Allerdings kam ich auch darum nicht weiter, weil ich in der Schule noch keine Trigonometrie oder den Logarithmus durchgenommen hatte.

Also begann ich von Neuem im Katalog in den Taschenrechner-Seiten zu stöbern. Dort standen irgendwann im Jahr 1975/1976 die Worte 'Er lernt von Ihnen'. Der Satz hatte Mitte der Siebziger für mich eine enorme Faszination. Der Satz elektrisierte mich! Ein Gerät, dem ich etwas beibringen kann? Wie sollte das gehen? Ich hatte zu dieser Zeit noch nie die Begriffe 'Programmieren' und 'Computer' gehört. Ich hatte keine Ahnung, was damit gemeint war. Und trotzdem faszinierte mich der Werbetext. Ich las ihn immer und immer wieder. Allmählich bekam ich eine Ahnung davon, wie das vermutlich ablaufen sollte. Ich wollte dieses Gerät unbedingt besitzen. Ich arbeitete wieder einige Zeit, um mir das Geld dafür zu verdienen und bestellte ihn mir.

Als die Post ihn endlich brachte, begann für mich eine wundervolle Zeit mit der Entdeckung der Kunst des Programmierens. Als ich diese einigermaßen verstanden hatte, programmierte ich mir ein Programm zur Berechnung des GGT, einige kleine Hilfen für die Bruchrechnung und schließlich das Streichholzspiel. Für die paar Male, die ich in meinem Leben noch einmal den GGT gebraucht habe, hat sich die wochenlange Entwicklungszeit nicht im Geringsten gelohnt. Aber ich hatte dabei eine Metamorphose durchgemacht, die mein ganzes weiteres Leben zum Positiven veränderte!

Denn neben der Programmierung hatte ich noch viel, viel mehr gelernt:

  • Ich hatte erstmals in meinem Leben begonnen, strukturiert zu denken.
  • Ich konnte ein Problem so zerlegen, dass ich den für die Lösung erforderlichen Algorithmus fand.
  • Ich hatte erstmals Erfolg in meinem Leben. Denn ein Erfolg war es, wenn das Programm so funktionierte, wie ich es mir vorstellte! • Der Taschenrechner war ein unbestechlicher Lehrer. Solange ich es nicht richtig gemacht hatte, verweigerte er einfach die korrekte Funktion.
  • Ich begann mich für Mathematik zu interessieren. Ich wurde auf einmal so gut in Mathematik, dass ich von einer 4 auf eine 1 im Jahreszeugnis gekommen wäre, aber der Lehrer erlaubte nicht den Sprung von über 2 Noten.

Da Ihr bis hierhin durchgehalten habt, bekommt Ihr vielleicht langsam eine Ahnung davon, warum ich auf einmal begonnen hatte, dieses kleine Plastikkästchen zu mögen. Auch viele weitere Taschenrechner später, trotz der ersten Homecomputer wie einem Commodore C-64 und einem Amiga bis schließlich zu vielen PCs, mochte ich Computer, die in einem kleinen Gehäuse verpackt waren. Ein temporärer Höhepunkt war noch einmal ein HP 200LX, den ich in Form eines HP 100LX noch heute verwende.

Ok, Ihr wisst jetzt, was ich mit dem Wort 'Liebe' in der Überschrift meine.

Ein Leben mit Computern

Ich habe viele kleine Computer besessen. Nach einem Haufen verschiedener programmierbarer Taschenrechner, einigen der kleinen Pocket-Computer (Achtung: Die haben mit einem Pocket PC nichts zu tun!) von Sharp und Casio, kam ich über den HP 95LX zu einem Jornada 720 und später zu einem Zaurus SL-C1000. Dann begann die Ära der kleinen Geräte mit Tastatur allmählich zu Ende zu gehen und ich kaufte mir, mäßig begeistert, meinen ersten Pocket PC, einen HP hx4700. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr mit den kleinen Geräten programmierte, wollte ich immer eines bei mir haben. Ohne einen kleinen Computer in meiner Tasche hätte ich mich nicht komplett gefühlt.

Mit einem HTC xda begann ich wieder einen kleinen Computer zu programmieren. Allerdings nicht mehr auf dem Gerät selbst, sondern mit C# unter Visual Studio. Das war, sozusagen, mein erstes Smartphone. Der xda war eigentlich viel weniger leistungsfähig als der hx4700, aber eines der ersten Geräte mit eingebautem GPS! Auf dem Gerät begann ich einen Tracker namens GPSSend zu programmieren, der später unter Android als MoveTracker recht bekannt wurde.

Meine alte Liebe begann erneut aufzuflackern, als ich mit dem HTC HD2 den besten Pocket PC aller Zeiten in der Hand hielt - und den letzten. Dann kam das iPhone und Android.

Inzwischen war ich ziemlich genervt von den vielen Modellwechseln. Sicherlich gab es immer gute Verbesserungen, die einen Kauf rechtfertigten, aber bis heute gibt es kein Gerät, das einen HP 200LX wirklich ersetzen kann: es gibt nichts Mobiles, auf dem ich längere Zeit stromunabhängig outdoor in der Sonne so komfortabel schreiben kann, wie auf den alten HP Palmtops.

Ära der Smartphones

Seit einigen Jahren verwende ich Smartphones. Aktuell nutze ich ein Samsung S7 mit Android Oreo. Vernünftig schreiben kann ich damit zwar nicht, aber sonst ist es ein sehr gutes Gerät. Es ist schnell, es ist wasserdicht, es hat ein unglaublich hochauflösendes Display, es hat ein Mikrofon und eine Kamera und es kann sich mit nahezu allem ohne Kabel verbinden. Aber leider kann es auch Dinge tun, die ich nicht so gut finde. Die hängen mit folgenden Hard- und Softwareeigenschaften zusammen:

  • Kamera
  • Mikrofon
  • Bloatware
  • Geografischer Aufenthaltsort durch Triangulation der Empfangsstärke an den Sendemasten
  • Geografischer Aufenthaltsort durch GPS
  • Geografischer Aufenthaltsort durch WLAN-Tracking
  • Bewegungsdiagramme bis hin zur geographischen Lage durch den Beschleunigungssensor
  • Geographische Höhe durch Luftdrucksensor
  • Wenn in Verbindung mit einer Smartwatch: Herzfrequenz
  • Es kann sich mit nahezu allem ohne Kabel verbinden

Wie immer ist es nicht die Technologie, die böse ist. Es kommt darauf an, was Menschen daraus machen. Alle diese Sensoren können sinnvoll eingesetzt werden. Gerade GPS ist nahezu unabdingbar für die zahlreichen Möglichkeiten der Navigation mit z. B. 'Google Maps' oder 'Locus Map'. Mit dem Beschleunigungssensor habe ich in meiner App MoveTracker versucht Unfälle beim Outdoor-Sport zu erkennen. Der Luftdrucksensor kann in Gebäuden die Stockwerke erkennen und in den Bergen die aktuelle Höhe ermitteln oder einen Wetterumschwung voraussagen. Die Herzfrequenz hilft, den Trainingsfortschritt oder gesundheitliche Probleme zu erkennen .

Hinweis

Im nachfolgenden Text werden mehrere Fragen aufgeworfen, die normalerweise auch einer Antwort des Autors bedürfen. Das Problem dabei ist, dass ich diese Fragen nicht hundertprozentig beantworten kann, da ich keinen Einblick in die angesprochenen Firmen und Institutionen habe. Ich weiß nur, was zur Zeit technisch so ungefähr möglich ist und was ich, falls ich dort arbeiten würde und eine entsprechende Moral hätte, dort alles tun könnte!

Die Datenschleuder

Aber diese Werte können sehr viel über den Smartphone-Besitzer verraten - und die Kombination der Werte noch viel mehr. Wissen wir immer, wann das Smartphone mithört? Ob die Kamera gerade etwas aufnimmt, obwohl sie von mir gar nicht aktiviert wurde? Der aus den gesammelten GPS-Positionen erzeugte Streckenverlauf eines ganzen Tages kann durch den Abgleich mit Kartenmaterial zeigen, wo genau ich wohne, was für Geschäfte ich im Verlauf des Tages besucht habe und wo ich arbeite. Der Beschleunigungssensor im Smartphone oder in meiner Smartwatch erlaubt es Bewegungsmuster zu erkennen. Sitze ich gerade herum? Schreibe ich? Mach ich Sport? Was für einen? Wie viel Sport mache ich? Bin ich fit? Alle diese Informationen werden detektiert und in Apps gesammelt.

Und von dort aus können sie in die Welt hinaus. Apps können Daten verschleiern und verschlüsseln und an irgendeinen Server irgendwo auf der Welt senden.

Hier hat die Stiftung Warentest einmal versucht auf der Clientseite eine Auswertung zu machen. Doch ich denke, dass eine Verknüpfung der verschiedenen Daten auf der Serverseite bei weitem mehr Informationen ergäbe, von denen wir wohl nichts erfahren werden.

Laut der Süddeutschen Zeitung können 43% aller Apps Daten an Facebook transferieren - auch ohne Facebook-App. Auch heise.de berichtet hier und hier über Apps, die an Facebook vertrauliche Daten transferieren.

Kann die Facebook App Gespräche mithören und an Facebook senden?

Lauschangriff

Mit dem Zugriff auf das Mikrofon hat diese Art des Beobachtens einen weiteren Höhepunkt erreicht. Alexa, Siri, der Google Assistant und vermutlich auch der gute Bixby von Samsung, verwenden das in das Smartphone eingebaute Mikrofon dazu, um mit mir kommunizieren zu können. Eigentlich ein alter Traum: ein, in Zukunft vielleicht sogar mit KI ausgestatteter, künstlicher Assistent, mit dem ich per Sprache kommunizieren kann. Der mir Fragen beantwortet, mein Leben zu organisieren hilft oder versucht, mich mit Witzen aufzumuntern. Nur leider nicht so, wie ich mir das einmal vorgestellt habe. Nämlich dass das alles in diesem Gerät stattfindet, welches mein Smartphone darstellt. Dass es wirklich mein persönlicher Assistent ist und niemand anderes auch nur die Chance hat, ihn irgendwie beeinflussen zu können.

Nein, die 'Intelligenz' liegt auf den Servern der Hersteller. Dass dazu das Mikrofon eingeschaltet sein und alles, was gesprochen wird, an diese Server gesendet werden muss, ist vermutlich nicht jedem klar. Meine Sprache bleibt keine simple Tonaufnahme, sie wird von den Maschinen dort tatsächlich verstanden und höchstwahrscheinlich in einer Datenbank gespeichert. Und, wie die anderen gesammelten Informationen auch, mit anderen Informationen zu einem unglaublich genauen Profil von mir verknüpft.

Die Hersteller sagen, dass dieses Abhören nur stattfindet, wenn ich eine bestimmte Taste drücke oder ein Schlüsselwort spreche. Aber alleine für das Schlüsselwort ist schon ein aktives Mikrofon erforderlich. Bei der heutigen Smartphone-Computerleistung kann auch hier schon eine konstante Spracherkennung stattfinden, die Sprache darum auf vergleichsweise winzige Datengröße gebracht und bei nächster Gelegenheit, sprich, wenn gerade wieder eine Datenübermittlung an den Hersteller stattfindet, übertragen werden.

Die Hersteller haben die komplette Infrastruktur aufgebaut, die nötig ist, um uns ständig zu belauschen. Jetzt reicht ein einzelnes Bit, um die Überwachung dauerhaft zu machen oder nicht. Wie hoch ist die moralische Schwelle, dieses Bit nicht zu setzen?

'Wer ist hier der Boss?'

Der Titel einer alten amerikanischen Sitcom bringt es auf den Punkt. Die Intel Management Engine hat zwar nicht direkt etwas mit einem Smartphone zu tun, zeigt aber auf, was sich Hardware-Hersteller mittlerweile alles heraus nehmen. Sie ist, sozusagen, ein Computer im Computer, über den ich keinerlei Kontrolle habe! Früher konnte ich selbst bestimmen, welches Betriebssystem ich auf meinem Computer installiere, heute kann Intel kontrollieren, was auf meinem Computer passiert. Da 'gute' Ideen ja meist schnell kopiert werden, wer kann sich da sicher sein, dass auf dem nächsten Smartphone von Samsung, Huawei, LG oder Apple nicht auch bald so ein Parallel-System vorhanden ist?

Indizien für derartige Interessen gibt der Bericht der Bloomberg Businessweek über winzige, direkt auf dem Mainboard aufgelötete Chips, die spionieren können. Dies wurde offenbar noch nicht hundertprozentig nachgewiesen, aber wenn selbst Fachleute das Szenario für möglich halten, scheint es nicht völlig abwegig zu sein. Durch die immer kleiner und leistungsfähiger werdenden IoT-Chips, wie zum Beispiel den ESP32, ergibt sich die Möglichkeit, in winzigen Bauteilen komplexe Systeme wie komplette Mikrocontroller unterzubringen. Dabei müssen die winzigen Spionagechips gar nicht einen eigenen Netzwerk-Controller oder gar ein Funksystem mitbringen, sie können einfach die Infrastruktur des Mainboards nutzen.

Fraglich ist, ob überhaupt derartige Eingriffe in die Hardware notwendig sind. Die neuesten Smartphones besitzen eine schier unglaubliche Leistungsfähigkeit. 8-Kern Mikroprozessoren mit bis zu 2.8 GHz und spezielle KI-Chips übertreffen wenige Jahre alte Notebooks und Desktop-Computer! Ist das wirklich nötig für WhatsApp, Instagram, Facebook und ein paar Bilder? Leistung ist im Überfluss vorhanden, so dass es niemandem auffallen würde, wenn das Smartphone nebenher noch die Interessen der Hersteller verfolgt.

Psycho-Spielchen

Ich kann natürlich jeder App individuell bestimmte Berechtigungen verweigern. Aber wer weiß schon beim aktuellen Android, wo sich diese Einstellungen verbergen (Einstellungen -> Apps & Benachrichtigungen -> App-Berechtigungen)? Wenn ich die Einstellungen gefunden habe und einzelnen Apps einzelne Berechtigungen verweigern möchte, bekomme ich mysteriöse Meldungen wie: 'Wenn Du diese Berechtigung deaktivierst, funktionieren grundlegende Funktionen deines Gerätes möglicherweise nicht mehr ordnungsgemäß.'

Diese Meldung kommt zum Beispiel, wenn ich 'Samsung Internet' die Standort-Berechtigung entziehen möchte. Für was zum Teufel benötigt der Samsung Browser UNBEDINGT meine GPS-Position? Derartige Meldungen könnten den unkundigen Anwender verunsichern und er lässt den Schalter in der Position, in der er gerade ist.

Eine Frage des Eigentums

Wir alle freuen uns, wenn wir uns ein neues Smartphone kaufen. Noch vor ein paar Jahren hatte ein neues Smartphone stets coole neue Features, wie zum Beispiel ein wesentlich verbessertes Display oder eine richtig gute Kamera, auf deren erstmaliges Ausprobieren wir uns gefreut haben. Wir haben uns darauf gefreut, nach dem Kauf ein neues Gerät zu besitzen, das unser Leben auf vielfältige Weise bereichern kann. Aber heißt 'Besitzen' auch, dass es mein Eigentum ist?

Merkmale moderner Formen des Eigentums sind die rechtliche Zuordnung von Gütern zu einer natürlichen oder juristischen Person, die Anerkennung der beliebigen Verfügungsgewalt des Eigentümers und die Beschränkung des Eigentümerbeliebens durch Gesetze.

Wikipedia

Oder ist das Smartphone eher ein von mir bezahltes Gerät, mit dem ich der Werbeindustrie, den Geheimdiensten und staatlichen Organisationen (Stichwort Staatstrojaner) ein Werkzeug in die Hand gebe, mich lückenlos zu überwachen? Ich möchte hier keine neue Verschwörungstheorie erschaffen, aber zum tiefer darüber Nachdenken anregen.

Es fängt schon beim Betriebssystem an, welches ich erst 'rooten' muss, bevor ich wirklich 'Chef' auf meinem Smartphone bin und wirklich alles machen darf. Es gibt zwar gute Gründe, einem durchschnittlichen Anwender nicht auf alles Zugriff zu geben, aber dass ich Bloatware nicht einfach deinstallieren kann, ist keiner davon. Und auch die Möglichkeit zur Installation eines guten Backup-Programms sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Leider gibt mir auch das Rooten meines Smartphones nicht das Gefühl zurück, Herr über es zu sein. Zu viele Dienste und Prozesse machen es mir als Anwender unmöglich, das System zu durchschauen. Mit Wireshark wäre es mir vielleicht möglich, heraus zu finden, welche fernen Server von welchen Apps aus angesprochen werden, und damit auch, welche Apps Verbindungen aufbauen, bei denen dies nicht wirklich einen Sinn ergibt. Aber das ist eine Arbeit für Experten. Außerdem heißt das nicht, dass ich auch schon weiß, was übertragen wird. Eine App könnte dies ja verschlüsselt tun.

Haben Geheimdienste Vereinbarungen mit großen Firmen wie Apple, Google bzw. Alphabet und Facebook, die es ihnen erlauben auf deren Daten zuzugreifen? Zumindest hat der Staat Interesse daran.

Die Moral bleibt auf der Strecke

Wir werden auf unserem Smartphone mit Werbung bombardiert und dadurch unbewusst beeinflusst. Unser Verhalten wird getrackt und auf fernen Servern ausgewertet. Alexa, Siri und der Google Assistant hören uns zu und die daraus resultierenden Informationen werden auf fernen Servern analysiert.

Dazu kommt, dass ich große Zweifel daran hege, dass die Daten nur so verwendet werden, wie die Hersteller das behaupten. Die Zusammenführung dieser Daten mit anderen gesammelten Daten hat ein gigantisches Potential. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hersteller dieses ungenutzt lassen.

Für mich ist dieses Verhalten moralisch verwerflich. Hier versuchen einzelne Firmen oder Institutionen Wissen über viele zu erhalten, indem sie die einzelnen Informationen verknüpfen, um daraus zu Erkenntnissen zu gelangen, die ihnen in irgendeiner Weise zu geldwerten Vorteilen verhelfen.

Wie wir uns selbst reglementieren

Mit der DSGVO will der Staat uns Anwender schützen. Was dazu geführt hat, dass wir massenhaft und automatisch Hinweistexte abhaken, nur um schnell zu unserem eigentlichen Ziel zu kommen. In der Praxis hat uns dieses Gesetz nicht geschützt, sondern abgestumpft und damit den Herstellern die Möglichkeit gegeben, ihr Verhalten, quasi nebenbei, zu legitimieren.

Gesetzeskonform präsentieren die Hersteller von Smartphones, Apps und Diensten uns alle paar Monate Vertragsänderungen, die wir mit einem Häkchen abnicken sollen. Wenn wir nicht einverstanden sind, ist es uns meist frei, den Vertrag aufzulösen und auf die damit verbundenen Dienste zu verzichten. Dienste wie WhatsApp und Instagram, auf die wir wegen der damit verbundenen sozialen Verflechtungen nicht mehr verzichten wollen. Die Verträge selbst sind von schlauen Anwälten in einer Sprache verfasst, für die wir selbst genauso schlaue Anwälte (die wir uns selbst niemals leisten könnten) bräuchten, um sie komplett verstehen zu können. Wenn überhaupt, überfliegen wir den Text und setzen unser Häkchen.

Das ist völlig absurd. Wer glaubt denn wirklich, dass der Durchschnitts-Anwender sich ernsthaft mit so einem Vertrag auseinandersetzt? Hier müsste der Gesetzgeber ein Gesetz schaffen, welches es verbietet, derartige Verträge überhaupt zuzulassen. Generell sollten Gesetze eine Einfachheit besitzen, die es Jedermann/Jederfrau gestattet zu verstehen, was er/sie da eigentlich unterzeichnen soll!

Der Durchschnitts-Anwender ist nicht ansatzweise in der Lage, überhaupt zu verstehen, was hier eigentlich alles passiert! Ich denke, er hat keine Ahnung, welches präzise Profil von ihm bei den Empfängern der ganzen gesammelten Daten vermutlich existiert. Hat hier der Staat nicht eine Fürsorgepflicht, die ihn ein solches Verhalten der Hersteller unterbinden lassen müsste? Oder findet er es sogar gut?

Und noch ein Gedanke: Die DSGVO ermöglicht es uns angeblich, die gespeicherten Daten einzusehen, dabei wäre es viel interessanter, die aus den verknüpften Daten basierenden Erkenntnisse einzusehen! Das sollte Bestandteil eines Gesetzes sein, das sich mit meinen persönlichen Daten beschäftigt!

Ist mir doch egal

Nun werdet Ihr sagen: 'Es ist mir egal, ob ich getrackt werde. Ich mache ja nichts Verbotenes!' Dass unser Leben für eine bestimmte Elite völlig gläsern wird, hat eine ganze Reihe von Konsequenzen. Ziemlich offensichtlich ist es, dass wir durch alles, was wir täglich hören und sehen, beeinflusst werden. Denn durch das Surfen durchs Internet strömt eine Fülle von Bildern auf uns ein, die beim Eintreffen in unserem Gehirn sofort ihre Wirkung entfalten. Das nutzt die Werbeindustrie aus, um uns in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Was aber, wenn nicht nur die Werbeindustrie uns beeinflussen möchte? Was, wenn dies irgendwann der Staat oder sonstige Gruppierungen tun möchten? Was, wenn es einer kritischen Masse in diesem Land nicht mehr so gut wie heute geht und sie daran etwas ändern will? Und sich nicht mehr traut zu Veränderungen aufzurufen, weil in der Zwischenzeit das Gesetzessystem so weit erodiert ist, dass die Menschen nicht mehr wirklich frei sind? Ich nicht mehr frei bin. Und ein zukünftiger, von einer Elite gesteuerter Polizeistaat sofort weiß, wer da gerne etwas zu seinen Ungunsten ändern möchte?

Fazit

Die alltägliche Überwachungsrealität umgibt uns wie die Radioaktivität in Tschernobyl: Sie ist für die meisten von uns unsichtbar, dennoch vorhanden und ähnlich gefährlich. Zur Zeit scheint sie niemandem etwas zu tun, baut aber weltweit an verschiedenen Orten riesige Datenbanken mit exakten Informationen über jeden Träger eines Smartphones auf. Vermutlich werden diese Datenbanken sogar in annähernder Echtzeit gepflegt. Möglicherweise können die Hersteller uns, wie hier für Schiffe und hier für Flugzeuge, tracken und wissen jederzeit, wo wir gerade sind. Was man alles damit tun könnte, zeigt Marc Elsberg in seinem Buch Zero auf.

Im Artikel habe ich versucht, alle technische Möglichkeiten eines Smartphones aufzuführen, die dazu dienen können, dass andere Menschen, davon insbesondere die Hersteller von Smartphones, Betriebssystemen und Apps, ein jederzeit aktuelles Bild vom Smartphone-Besitzer bekommen.

Angeblich wird diese gewaltige Informationsbasis zur Zeit nur für Werbung verwendet. Es sind aber zahlreiche andere Anwendungen denkbar und was technisch möglich ist, wird eigentlich immer auch gemacht.

Mir selbst wird dadurch mein Smartphone unheimlich. Kann ich so ein Gerät, welches dazu geeignet ist, mich auszuhorchen und zu beeinflussen, noch in irgendeiner Weise gut finden? Geschweige denn lieben?

Ach so, ja, meine Frau denkt nicht, dass ich unter Verfolgungswahn leide.

Thomas Ell schreibt regelmäßig auf seinem Blog.