Ibizagate: Einblicke in die Strategie der Machtergreifung

Redaktionsgebäude der Neuen Kronenzeitung, Objekt des Begehrens. Bild: Krainler/CC BY-SA-2.0

Die gescheiterte Übernahme der Kronenzeitung

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Verdeckt aufgenommene Videomitschnitte einer Politparty auf der Ferieninsel Ibiza haben den österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache, FPÖ, und den Fraktionsvorsitzenden der Partei im Nationalrat, Johann Gudenus, aus ihren Ämtern befördert.

Mit einer vermeintlichen russisch-lettischen Oligarchin haben die Herren vor zwei Jahren Klartext gesprochen: welche heimlichen Pfade es gebe, um zur FPÖ "hinzuspenden"; wie man die Kronenzeitung zack zack zack übernehmen könne, damit sie die FPÖ "zum Platz eins bringt"; dass sich Minister der FPÖ bam bam bam mit Staatsaufträgen für eine noch zu gründende Firma der Investorin revanchieren würden; welche Geschäftszweige da "hineinpassen"; dass man alles dominieren könne, "wenn du darüber hinaus einen TV-Sender noch lukrierst"; welche Vorteile bei der Privatisierung der Wasserversorgung winkten; "wie wir mit Putin strategisch zusammenarbeiten" und das Land "sehr stark Richtung Osten öffnen" und wer "die größten Huren auf dem Planeten" sind. Letzteres ist kein Anflug von Selbstironie, nein, Strache meint die Journalisten.

Ausgerechnet Politiker mit stark identitärem Einschlag - und starker Unterstützung durch die identitäre Bewegung - scheinen jederzeit bereit zu sein, österreichische Belange an die erstbesten ausländischen Geldgeber zu verkaufen. Es fühlt sich an, als sei die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern von Manfred Deix karikiert worden. Seit der Veröffentlichung eines kleinen Teils der Aufnahmen durch Spiegel und Süddeutsche Zeitung stehen die Freiheitlichen ziemlich nackt am Berg. Wir sind das Volk und verraten es gern.

In einer peinlichen Lage befindet sich aber auch die ÖVP, die allen Warnungen zum Trotz das Bündnis mit den Rechtspopulisten gesucht und schließlich auch realisiert hat. Mit ihr leiden die Anhänger einer schwarz-blauen Koalition nach österreichischem Vorbild. Die gibt es vor allem in Deutschland. Merkel-Gegnern in allen rechten Formationen, von Alexander Gauland über Alexander Dobrindt bis zu Jakob Augstein, galt das österreichische Beispiel als Alternative zur großen Koalition. Die einen fanden es vorbildlich, die anderen interessant, die nächsten notwendig. Vor allem hielten sie es für machbar. Horst Seehofer schwärmte vor einem Jahr anlässlich eines Treffens mit seinen Innenminister-Kollegen Kickl (FPÖ) und Salvini (Lega) sogar von einer Achse Berlin-Wien-Rom. Diese unappetitlichen Visionen haben einen herben Rückschlag erlitten.

Täter-Opfer-Umkehr

Doch die Anhänger von Schwarz-Blau bzw. von Türkis-Blau, wie es in der Alpenrepublik heißt, oder von Schwarz-Braun, welches die Grundierungsfarben sind, erholen sich allmählich von ihrem Ibiza-Schock. Sie nahmen Straches hastig entworfene Verteidigungsstrategie auf: Es habe sich um ein rein privates, singuläres Gespräch und eine b'soffne G'schicht gehandelt, und er sei auf kriminelle Weise in eine raffiniert gestellte Falle gelockt worden.

Diese klassische Täter-Opfer-Umkehr schaffte es bis in die Mainstreammedien. Plötzlich standen die Fragen nach der Produktion, dem Vertrieb und dem Auftrag des Ibiza-Videos im Vordergrund. Warum wurde es unmittelbar vor den Europawahlen veröffentlicht? Sind das etwa keine finsteren Machenschaften?

Im Tagesrythmus wurden Mutmaßungen über die Hintermänner angestellt, die zwei österreichischen Mannsbildern so übel mitgespielt haben: die politischen Gegner von der SPÖ, deren früherer PR-Manager Tal Silberstein, Jan Böhmermann, das Berliner Zentrum für politische Schönheit, die Russen, der Mossad, linke und linksextreme Aktivisten, die ÖVP und Sebastian Kurz. Schade, dass es antifa Zeckenbiss nicht in den Kreis der einschlägigen Verdächtigen geschafft hat.

Die Spekulationen waren natürlich kein Beitrag zur Wahrheitsfindung, verrieten allerdings viel über die Nähe ihrer Autoren zur FPÖ und allgemein über ihre geistige Befindlichkeit. Dann offenbarte Gudenus, wer ihm die angebliche Investorin und ihren Begleiter ein Vierteljahr vor Ibiza vorgestellt hatte. Ein Wiener Anwalt sei es gewesen. Rasch fand die Presse der Donaustadt heraus, um wen es sich bei dem Anwalt handelt. Sein Name laute Ramin Mirfakhrai, er sei in Wien bestens vernetzt, insbesondere mit dem Umkreis von Sebastian Kurz.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Ein Privatdetektiv, Sascha Wandl, meldete sich, um seine Branchenkenntnisse preiszugeben. Den Anwalt kenne er und auch den Begleiter der Dame, der in Ibiza als Florian Thaler auftrat, in Wirklichkeit aber Florian Hessenthaler heiße. Der sei ebenfalls Privatdetektiv und ein früherer Kompagnon von ihm in der Münchener Sicherheitsfirma Konsic. Die Methode des Videos und die dafür erforderliche Technik seien ihm vertraut; er selber habe Hessenthaler früher das Knowhow für solche Unternehmungen beigebracht. So kompliziert sei das alles gar nicht.

Wenig später ließ Mirfakhrai seine Beteiligung bestätigen. Sein Rechtsvertreter teilte mit, es habe sich um "ein zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt" gehandelt, "bei dem investigativ-journalistische Wege beschritten wurden". Das politische Geschehen danach habe eine Eigendynamik entwickelt; ihm sei es nur um demokratische und rechtliche Überlegungen gegangen. Im Übrigen sei ein verdeckter Kameraeinsatz zur Aufdeckung von Missständen im Enthüllungsjournalismus zulässig und durch die Meinungsfreiheit geschützt. Hessenthaler ließ seinen Anwalt widersprechen: Eine Veröffentlichung des Materials sei nicht geplant gewesen.

Leute wie er oder Wandl, beide übrigens vorbestraft und milieumäßig irgendwie an Lutz Bachmann erinnernd, sind allerdings keine Journalisten. Ihre Art der Informationsbeschaffung dient gelinde gesagt nicht öffentlichen, sondern privaten Interessen. Für ihre Tätigkeit kann ein von den beiden Detektiven gemeinsam durchgeführter Auftrag, der in Österreich Schlagzeilen machte, als typisch gelten. Wandl hat den Fall vor drei Jahren mit einer Selbstanzeige publik gemacht. Demnach fühlte sich das Linzer Gleisbau-Unternehmen Plasser&Theurer durch eine Konkurrenzfirma bedrängt, die von eigenen, ehemals leitenden Managern gegründet worden war. PT verdächtigte die neue Firma System 7, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse mitgenommen zu haben. Um belastendes Material für diese Vermutung aufzutreiben, beauftragte das Traditionsunternehmen eine Task Force von Detektiven und Werkschützern unter Leitung von Wandl, der dafür auch Hessenthaler anheuerte.

Die Detektive bedienten sich nach Wandls Darstellung einer Scheinfirma, die sich den Gleisbau-Konkurrenten anbot, ihre Produkte in Russland und Südamerika zu vertreiben. System 7 willigte erfreut ein - so seien die Spione an Interna der Firma herangekommen. Der Aufwand, den PT für die verdeckten Operationen betrieben hat, soll beträchtlich gewesen sein ("Entgleist", profil 31/2017). Das juristische Nachspiel endete mit einer Einstellung des Verfahrens gegen Plasser&Theurer.

Wandl identifizierte Hessenthaler auf den Videoaufnahmen. Dass er darüber hinaus in der Inszenierung von Ibiza seine eigene Handschrift, realisiert durch den früheren Partner, zu erkennen glaubt, ist nachvollziehbar. Die Frage ist, ob es auch dieses Mal um unternehmerische Interessen und Aufträge ging. Denn auf diesem erlesenen Terrain bieten Wirtschaftsanwalt Mirfakhrai und Sicherheitsberater Hessenthaler ihr Portfolio an. Umgekehrt ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmer für klandestine Erledigungen solche Dienstleister engagieren.