Deutsche IS-Anhänger: Jesidinnen stellen Strafanzeige gegen Barley und Seehofer

Bild: ANF

Angeklagt wird die Verweigerungshaltung der Bundesregierung in Sachen Rückführung. Die Rede ist von "Strafvereitelung"

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Auch moralische Versprechen müssen eingehalten werden; wenn die Politik sich verweigert, sollen Gerichte entscheiden. Auf den Gerichtsweg drängt aktuell der Dachverband des Ezidischen Frauenrats mit einer Strafanzeige gegen Justizministerin Katarina Barley und Innenminister Horst Seehofer wegen Strafvereitelung im Amt. Außenminister Maas wird an moralische Standards erinnert, die er vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorgebracht hatte.

Es geht um die Auslieferung deutscher Staatsbürger, die als Anhänger des IS in Nordsyrien in Gewahrsam der kurdischen autonomen Selbstverwaltung sind und nach Angaben der rechtsanwaltschaftlichen Vertretung des jesidischen Dachverbandes aufgrund einer Verweigerungshaltung der Bundesregierung nicht nach Deutschland überstellt werden, obwohl gegen 16 Personen Haftbefehle vorliegen.

Mit dem Versprechen sind "große Hoffnungen" gemeint, die der deutsche Außenminister Heiko Maas nach Auffassung des Ezidischen Frauenrats mit seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat am 23. April dieses Jahres bei "vielen Opfern des sogenannten Islamischen Staates weckte". Die steht in einem Begleitschreiben zur Strafanzeige, veröffentlicht auf der Webseite der kurdischen Nachrichtenagentur ANF.

In der Erklärung der Jesidinen heißt es, dass Außenminister Maas den Sicherheitsrat "vollmundig und eindringlich" dazu aufgefordert habe, eine Resolution gegen sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten und gegen die Straflosigkeit der Täter zu verabschieden. Referiert wird auch ein Beitrag des Außenministers in der Washington Post, wo er schrieb, dass die Folgen von Straflosigkeit "verheerend" seien. Diese Appelle werden in Kontrast gesetzt zum tatsächlichen Verhalten der Bundesregierung im Fall der gefangenen deutschen IS-Anhänger.

Kontakt "verweigert" und "verleugnet"

Juristisch vertreten wird der Dachverband des Ezidischen Frauenrats durch den Frankfurter Strafverteidiger Berthold Fresenius, manchem vielleicht bekannt als Nebenkläger beim NSU-Prozess. In seiner Strafanzeige gegen Justizministerin Katarina Barley und Innenminister Horst Seehofer macht der Anwalt geltend, dass die Bundesregierung auf offizieller Ebene den Kontakt zur Selbstverwaltung "verweigert", ihre Vertreter den Kontakt sogar "verleugnen" würden.

Das kommt seiner Ansicht nach einer Weigerung gleich, die Überstellung der im Gewahrsam der autonomen Selbstverwaltung befindlichen deutschen Staatsangehörigen in die Wege zu leiten, womit der Strafbestand der Strafvereitelung erfüllt sei, da Voraussetzungen für Strafverfolgung vorlägen.

Ausgeführt wird dazu, dass beim Generalbundesanwalt 22 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (StGB 129 a,b) geführt würden und gegen 16 Personen Haftbefehle vorlägen.

Insgesamt 61 deutsche Staatsbürger sollen nach Auskunft der Bundesregierung vom 15. März dieses Jahres, die in der Strafanzeige zitiert wird, in Gewahrsam der autonomen Selbstverwaltung in Nordsyrien sein. Der Bundesnachrichtendienst operiere dort offen und führe Ermittlungen durch, "die auch Vernehmungen von Gefangenen umfassen". Der Regierung in Berlin würden "nach eigenen Angaben Namen und Daten der ihr bekannten in Nordsyrien festgehaltenen deutschen IS-Angehörigen vorliegen".

Vorgebracht wird in der Strafanzeige, dass die kurdische Selbstverwaltung der Bundesregierung Angebote in Sachen Belastungsmaterial gemacht und auch angeboten habe, bei der Überstellung zu kooperieren, aber die deutsche Regierung würde, wenn es um solche Kontakte gehe, stets darauf verweisen, dass die deutsche Botschaft in Syrien geschlossen ist.

Die Rede ist von einer offiziellen Leugnung eines Kontakts zwischen deutscher Regierung und Vertretern der Selbstverwaltung, die im Widerspruch dazu stehen, dass es anderseits diese Kontakte auch offiziell gebe, da die Bundesregierung als Teil der Internationalen Koalition "vor Ort Kontakt mit den Verantwortlichen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) pflegt".

"Strafvereitelung"

Eine Strafvereitelung könne auch durch Unterlassung begangen werden, die eine erhebliche Verzögerung nach sich zieht, argumentiert die Strafanzeige, die sich an die Chefin des Bundesjustizministeriums als Weisungsbefugte gegenüber Strafverfolgungsbehörden und an den Chef des Innenministeriums adressiert, weil dieser die Dienstaufsicht über die Polizei hat. Beide Ministerien müssten bei der Strafverfolgung mitwirken.

Wie vor knapp zwei Wochen berichtet, versucht ein deutscher Anwalt den Gerichtsweg, um die Bundesregierung zur Rückholung von zwei deutschen Mädchen im Alter von zwei und vier Jahren aus Nordsyrien zu verpflichten. Beide Kinder sind Waisen. Vom Vater ist nichts bekannt, ihre Mutter war eine deutsche IS-Anhängerin, die infolge der Kämpfe bei Baghouz zu Tode kam.

Dem Spiegel liegt angeblich ein offener Brief vor, den Verwandte deutscher IS-Anhänger, die ebenfalls in Nordsyrien in Gewahrsam sind, an das Bundesinnenministerium gerichtet haben, mit der Aufforderung, "ihre Angehörigen wieder nach Deutschland zurückzuholen".