Die Rezo-zialisierung der CDU

Bild: Klaaschwotzer/CC0 1.0

Der NRW-Ministerpräsident und der BW-Innenminister informieren - Ein Kommentar

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Nach dem Faux-Pax über die vermeintlichen Presse-Regeln der analogen Welt von AKK und dem Digitalpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski, ergriffen auch weitere Unionspolitiker die Gelegenheit, um sich um Kopf und Kragen zu reden.

Parteirivale Armin Laschet verfiel ins andere Extrem und zitierte altklug bei einem Medienforum der Deutschen Welle in Bonn aus Artikel 5 des Grundgesetzes. "Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Dafür gibt es keine Grenzen." Der Politiker betonte: "Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und dieser vor 70 Jahren formulierte Artikel gilt heute uneingeschränkt als Grundrecht."

Das ist Unfug. Als ehemaliger Journalist und amtierender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der von Hunderten Juristen umgeben ist, hätte man eigentlich Kompetenz oder Recherche erwarten dürfen. Im zitierten Artikel 5 GG steht nämlich in Absatz 2: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Diese dem CDU-Politiker Laschet unbekannten Schranken verbieten u.a. Beleidigung, üble Nachrede und Kreditgefährdung, die sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verfolgt werden können. Selbst Verdachtsäußerungen oder Andeutungen zwischen den Zeilen können teuer werden. Sogar politische Parteien genießen als juristische Personen Persönlichkeitsrechte.

Richtig an Laschets Aussage ist, dass Meinungs- und Pressefreiheit hierzulande sehr weit gehen, zumindest nach der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof, Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte. Die Rechtsrealität sieht allerdings anders aus (Hamburg hört in Karlsruhe auf).

"Rechtsfreie Räume"

Der insoweit AKK-loyale CDU-Bundesvize Thomas Strobl, Innenminister des Landes Baden-Württemberg, äußerte gegenüber der ZEIT, er sei nicht bereit, die Brutalisierung und Verrohung der Sprache im Netz achselzuckend zu akzeptieren. "Schon gar nicht die Tatsache, dass das aus dem Netz immer mehr in unsere wirkliche Welt rüberschwappt wie eine Seuche."

Das muss man erst einmal bringen: Einerseits die Verrohung der Sprache zu beklagen und dann quasi im gleichen Atemzug die Kontrahenten als "Seuche" zu bezeichnen ... Respekt! Seuchenexperten aus dem Internet sprechen in solchen Fällen vom Dunning-Kruger-Effekt. Was genau der Mann für die "wirkliche Welt" hält, ist unklar, denn Strobl ist bekennender Christ, glaubt also an Berichte, dass vor 2000 Jahren jemand über das Wasser ging und selbiges in Wein verwandelte.

In seiner Suada betete Strobl auch wieder das seltsame CDU-Mantra vom Internet als vermeintlich "rechtsfreiem Raum" nach. Im Land der Filesharing- und Brötchenfoto-Abmahnungen glaubt eigentlich niemand mehr an rechtsfreie Räume - mal abgesehen vielleicht von CDU-Mann Armin Laschet ...

Die Union und das Internet standen von Anfang an auf Kriegsfuß. Die Angst vor dem Verlust an Deutungshoheit und Meinungsmacht, die sich Politiker zuvor mit Journalisten und Kirchenfürsten teilten, ist bei dieser Partei offenbar fundamental (Von Links und rechtsfreien Räumen).

Auf weitere Statements der Union darf man gespannt sein. An Rezos Befund, dass CDU und SPD nicht auf Experten hören, wird sich vorerst nichts ändern.