Nichts sehen, nicht hören - nichts ermitteln?

IS-Unterstützerin Omaima A. konnte unbehelligt ins IS-Kalifat aus- und später wieder nach Deutschland einreisen, obwohl ihre Familie bereits 2012 ins Visier des Verfassungsschutzes geriet

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Omaima A. segelte unter dem Radar; und zwar RADAR-iTE, einem für IS-Rückkehrerinnen und - Rückkehrer entwickelten Instrument zur Beurteilung, inwieweit die betreffende Person an Kriegshandlungen beteiligt sowie in salafistische Netzwerke eingebunden war, bzw. immer noch ist.

Obwohl sie als Ehefrau des prominenten Salafisten Nadir Hadra mitsamt ihrer drei Kinder nach Syrien ausreiste, nach dessen Tod den berühmt-berüchtigten Dschihadisten Denis Cuspert, besser bekannt als Rapper Deso Dogg, heiratete, konnte sie unbehelligt wieder nach Deutschland einreisen und sich ein Leben als Dolmetscherin und Event-Managerin aufbauen. Hier setzte sie offenbar - das legen entsprechende Aktivitäten bei Facebook nahe - ihre schon für 2012 dokumentierte Arbeit als Unterstützerin der salafistischen Szene nahtlos fort.

Ihre Vita sowie ihre Aktivitäten machten nicht etwa die hiesigen zuständigen Behörden öffentlich, sondern die libanesische Reporterin Jenan Moussa. Die Investigativ-Journalistin gelangte in Syrien zufällig an das Handy von Omaima A. und folgte ihrer Spur bis Hamburg. Jenan Moussa staunte nicht schlecht, dass sie diese Spur quasi bis vor die Haustür des 9/11-Terroristen Mohammed Atta führte.

Und die Hamburger Bevölkerung staunte nicht schlecht, dass mitten unter ihnen eine Gotteskriegerin lebt und von den Behörden nach ihrer Einreise nicht überprüft, geschweige denn verhaftet wurde. Dass sie nicht nach RADAR-iTE durchleuchtet wurde, brachte eine Kleine Schriftliche Anfrage der Co-Vorsitzenden der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, an Licht.

Ob gegen Omaima A. ermittelt wird, dazu verweigert der Senat jegliche Auskunft - unter Berufung darauf, dass "hier die Bekanntgabe der nachrichtendienstlich erhobenen Erkenntnisse dem Interesse des Betroffenen und denen des Amtes entgegensteht". Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) gab Telepolis gegenüber an, im Falle von Einzelpersonen der Presse gegenüber keine Angaben über etwaige Ermittlungen machen zu können.

Einkaufsparadies für die "wirklich" Gläubigen

Anfang 2012 trat Noura A. mit einem seinerzeit als ungewöhnlich erachteten Ansinnen an die zuständige Behörde, das Bezirksamt Hamburg-Harburg, heran: Sie wollte ein Einkaufszentrum errichten. Allerdings - und deshalb führte es zu heftigen Diskussionen innerhalb der und unter den in der Bezirksversammlung vertretenen Fraktionen - "for muslims only". Das Objekt sollte den Namen "Firdaus Center" bekommen, was übersetzt "Paradies-Center" heißt.

Noura A. trat gemeinsam mit ihrer Schwester auf: Omaima A., die Jahre später weltweit für Schlagzeilen sorgen sollte.

Noura A. führte zu dem Zeitpunkt einen Internetshop, den "Mumin-Shop", Mumin steht für "wirklich gläubig". Das offenbart das dahinterstehende salafistische Gedankengut. Salafismus bedeutet, um den Sprecher des LfV Hamburg, Marco Haase, zu zitieren: "Sie halten sich strikt an die Regeln der Scharia und lehnen von Menschen gemachte Gesetze oder irdische Gerichte ab."

Entsprechend wurden im "Mumin-Shop" islamische Gewänder für strenggläubige Muslime - und vor allem Musliminnen - angeboten. In das geplante "Firdaus Center" im Hamburger Bezirk Harburg sollten verschiedene Geschäfte einziehen und auch ein gastronomischer Betrieb. Vermieten wollte die potentielle Pächterin der Ladenzeile Noura A. allerdings nur an muslimische Gewerbetreibende.

Vorgesehen dafür war ein Objekt direkt neben der Masjid-El-Iman-Moschee, eine von zwei Moscheen im Bezirk Harburg, die unter Beobachtung des LfV stand. Die zweite war die Taqwa-Moschee, die als Nachfolger der berüchtigten Al-Kuds-Moschee (später Taiba-Moschee) vom Steindamm galt, in der die Attentäter Mohammed Atta und seine Mitstreiter beteten und vermutlich auch radikalisiert wurden. Die Taqwa-Moschee wurde 2016 geschlossen. Beide Moscheen lagen nur wenige Hundert Meter auseinander.

In diesem Objekt, eine ehemalige Kneipe, eröffnete Noura A. einen Hijab-Store, quasi ein Vorbote dessen, was die Harburger Bevölkerung mit dem "Firdaus Center" zu erwarten hätten. Im Fenster wurde eine schwarze Fahne mit weißer Schrift aufgehängt. Diese Art Banner sollte später als Fahne des IS Furore machen. Doch an den IS dachte damals noch niemand.

In ihrem Internetshop gab sie Hinweise wie: "Achtet darauf, dass ihr euch auf der Straße islamisch korrekt kleidet!" Das "Firdaus Center" bewirbt sie mit Sätzen wie: "Zögert nicht, die Dawa in Deutschland voranzubringen." Dawa bedeutet die Aufforderung, den muslimischen Glauben anzunehmen.

Die Hamburger CDU sah in dem geplanten Einkaufszentrum einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, weil ausschließlich Angehörige einer Religion Flächen vermietet werden sollten.

Die SPD war uneins, z. T. fanden die Bezirksabgeordneten, ein derartig streng religiös geprägtes Unterfangen stehe dem Bemühen um Integration der muslimischen Bevölkerung entgegen. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Harburg, Jürgen Heimath , fand laut Hamburger Morgenpost (MoPo) den Internetshop "befremdlich", denn "alle angebotenen Waren würden dem Integrationsgedanken widersprechen".

Der damalige integrationspolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Kazim Abaci, sagte damals dem Elbe-Wochenblatt, er hielte so ein Angebot in einem Stadtteil wie Harburg mit hohem Migrantenanteil für "durchaus sinnvoll". Allerdings sprach auch er sich gegen die Vermietung an ausschließlich muslimische Gewerbetriebende aus:" Wir wollen keine Parallelgesellschaft, wir wollen Durchlässigkeit", zitierte ihn das Springer-Blatt.

Der Traum von Noura A. zerplatzte im März 2012. Und zwar an weltlichen Dingen und irdischen Gesetzen: Den Mietvertrag mit ihr hatte der Vater des Eigentümers des Objekts in dessen Namen, aber ohne dessen Wissen oder gar Zustimmung, mit ihr abgeschlossen. Damit war der Vertrag rechtlich unwirksam und der Eigentümer weigerte sich, einen neuen Vertrag mit ihr abzuschließen. So verschwanden Hijab-Store und IS-Flagge wieder aus Harburg. Und mit ihnen offenbar auch die Schwestern A. aus dem Radius des Verfassungsschutzes, in das sie aufgrund ihrer Aktivitäten geraten waren.

Salafistische (Frauen)Netzwerke

Im Mai 2012 führte Omaima A. ein Spendenkonto; und zwar zur Unterstützung von Murat K.. Das war einem Aufruf in dem inzwischen geschlossenen "Mumin Shop" zu entnehmen. Der "Bruder", so wurde er dort genannt, säße im Gefängnis, weil "die Tawaghit ein Exempel" an ihm "statuieren wollen". "Tawaghit" sind die "Feinde Mohammeds". Murat K. war wegen versuchten Polizistenmordes angeklagt, musste sich wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht verantworten. Er wurde zu sechs Jahren verurteilt und, nachdem er diese verbüßt hatte, im Mai 2018 in die Türkei abgeschoben. In der salafistischen Szene war der "Bruder" für seine Tat als "Löwe" gefeiert worden.

Konkret verlieh ihm Denis Cuspert alias Rapper Deso Dogg diesen Ehrentitel. Murat K. hatte mit einem Messer zwei Polizeibeamten in die Oberschenkel gestochen. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass er gezielt in die Oberschenkel gestochen habe, um die Hauptschlagader zu verletzen und wertete den Angriff als Mordversuch.

Der Vorfall ereignete sich im Mai 2012. Damals demonstrierte die rechtsextreme Partei "Pro NRW" gegen die saudi-arabische "König-Fahd-Akademie" in Bonn. Dagegen wiederum hatten Salafisten mobilisiert. Murat K. lebte damals im hessischen Sontra und konnte einen Lebenslauf vorweisen, der später immer wieder Beteiligte an Terroranschlägen beschreiben sollte: Laut Spiegel geriet "der Sohn türkischer Einwanderer" bereits als Teenager "auf die schiefe Bahn, brach ein, nahm Drogen, überfiel Kioske, prügelte sich in Straßenbahnen und klaute Handys".

"Ich war kein guter Mensch", zitiert ihn das Nachrichtenmagazin aus Hamburg, doch sei daran auch die Gesellschaft schuld gewesen: "Mir wurden Alkohol und Zigaretten gegeben. Die Sachen wurden mir so hingestellt."

Dem Magazin zufolge änderte sich das, nachdem er den Salafisten-Prediger Pierre Vogel kennenlernte und in der Religion, der "wahren Religion", Halt fand. "Mit großer Begeisterung lauschte K. den Vorträgen des charismatischen Salafisten-Predigers und Ex-Berufsboxers Pierre Vogel und versuchte, sich an der berüchtigten Islamschule in Braunschweig fortzubilden", so der Spiegel.

Im Mai 2012 führten ihn seine frommen Wege nach Bonn, wo die Ungläubigen nicht nur gegen die saudische Akademie protestierten, sondern dabei auch noch Mohammed-Karikaturen zeigten. Damit hatten die Polizeibeamtin und ihr Kollege, die Opfer seines Messerangriffs wurden, zwar nichts zu tun, aber, so argumentierte er dem Spiegel zufolge vor Gericht:

Der Staat habe es erlaubt, dass die Mohammed-Karikaturen gezeigt würden und deshalb sei es die Pflicht jedes rechtgläubigen Muslims gewesen, dessen Repräsentanten anzugreifen. Die Polizisten hätten ihren Dienst "ja verweigern können", rechtfertigte K. auf krude Weise seinen Angriff.

Spiegel

Als Prozessbeobachter fand sich seinerzeit auch Bernhard Falk ein, ehemaliges Mitglied der "Antiimperialistischen Zelle", der ebenfalls den Glauben für sich entdeckte und ein Unterstützungsnetzwerk für salafistische "Brüder" im Knast aufbaute. In diesem Netzwerk, das nicht zwangsläufig an die Strukturen von Falk gebunden sein muss, spielen Frauen eine große Rolle. Frauen wie Omaima A..