Österreich: Kurzer Dienstweg zwischen Verfassungsschutz und ÖVP

Das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in der Rennwegkaserne. Foto: Tokfo. Lizenz: Public Domain.

Im BVT-Untersuchungsausschuss räumt der ehemalige Innenminister Wolfgang Sobotka ein, dass Informationen weitergegeben wurden, bestreitet aber einen Wahlkampfzweck

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Der österreichische Inlandsgeheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), stand von seiner Gründung 2002 bis zum Amtsantritt von Herbert Kickl 2017 unter der Aufsicht von ÖVP-Innenministern. Das Verhältnis zwischen ihm und der Volkspartei ist derzeit Gegenstand eines Untersuchungsausschusses, vor dem inzwischen alle ehemaligen ÖVP-Innenminister aussagen mussten.

Gestern war Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka an der Reihe - bis auf Johanna Mikl-Leitner der letzte unter ihnen. Seine Aussage wurde von österreichischen Medien auch deshalb mit besonderer Spannung erwartet, weil er im letzten Jahr ein Gutachten in Auftrag gegeben hatte, auf das sich die FPÖ berief, als sie am 22. März 2018 kurzfristig ihre Zustimmung zur Einberufung des Untersuchungsausschusses zurückzog. Ein noch wichtigerer Grund war, dass in seine Amtszeit eine E-Mail aus dem Juli 2017 fällt, in der die BVT-Juristin K. um "fünf Punkte für das Wahlprogramm" bittet.

Lediglich "Verbesserungsvorschläge zur sicherheitspolitischen Legistik"

K. meinte dazu später, es sei trotz ihrer Wortwahl eigentlich nicht um ein Wahlprogramm, sondern um "Problemfelder in der österreichischen Rechtsordnung" gegangen. Auch BVT-Chef Peter Grindling hatte auf Fragen zu dieser E-Mail verlautbart, sein Amt habe lediglich "Verbesserungsvorschlägen zur sicherheitspolitischen Legistik" gemacht. Dieser Darstellung schloss sich Sobotka an. "Wenn es um ein Wahlprogramm gehen sollte", so der ehemalige Innenminister, dann wäre eine Informationsanfrage "nicht statthaft". Das sei hier aber nicht der Fall gewesen, weil sich im 2017er Wahlprogramm der ÖVP keine entsprechenden Punkte finden würden.

Der Auftrag zur Anfrage stammt seinen Angaben nach nicht von ihm, sondern muss von einem Kabinettsmitarbeiter gekommen sein. Im Alltag gebe es nämlich einen "intensiven Kommunikationsaustausch", wenn es "schnell gehen soll". Der finde auch zwischen Kabinettsmitarbeiter und Sachbearbeitern statt. Das hatte vorher auch Grindling so dargestellt, der sich über "Direktzugriffe" der Regierung auf seine Mitarbeiter beklagte. Fragen der Jetzt-Abgeordneten Alma Zadic nach einer dienstlichen Weisung für diese Praxis hielt Sobotka entgegen, dass es dabei um "Gespräche" und "Projekte" gehe, bei denen die Kabinettsmitarbeiter für die "politische Arbeit" über "Notwendigkeiten" informiert sein müssten.

"Überhaupt keine Wahrnehmung"

Grindling, der dem Ausschuss bereits zum dritten Mal Rede und Antwort stand, hatte Zadic am Montag ergebnislos zu einer letzte Woche an die Öffentlichkeit gelangten SMS des ehemaligen BVT-Spionagechefs P. an den ÖVP-Bundesgeschäftsführer Alexander Melchior befragt. In dieser SMS hatte der inzwischen geschasste Spionagechef den ÖVP-Bundesgeschäftsführer 2015 gefragt, ob er wieder mal Zeit habe, weil es "neue Filme" gebe. Davon, so Grindling, habe er "überhaupt keine Wahrnehmung". Ihm sei lediglich die sehr gute Vernetzung P.s in der ÖVP bekannt gewesen. Dass der Mitarbeiter Parteikontakte als Dienstbesprechungen abgerechnete, habe er damals noch nicht gewusst.

Die Münchner Detektei, die die "Strache-Falle" dem derzeitigen Erkenntnisstand nach gestellt hat (vgl. "Piefke Collusion"), kennt Gridling seinen eigenen Angaben nach nicht. Warum sie das österreichische Innenministerium und das österreichische Bundeskriminalamt als Kunden aufführte, ist ihm angeblich schleierhaft. Ausschließen, dass Mitarbeiter seiner Behörde das (zwei Jahre später entstandene) "Ibiza-Video" vor dessen Teilveröffentlichung durch deutsche Medien kannten, will Grindling aber auch nicht. Hinweise darauf, dass BVT-Mitarbeiter an der "Strache-Falle" beteiligt gewesen sein könnten, habe er jedoch weder in Reise- noch in anderen Abrechnungsdokumenten gefunden.

Seinen eigenen Worten zufolge wusste der österreichische Verfassungsschutzchef außerdem bis vor kurzem nichts Näheres über zwei geheime Projekte in seiner Behörde, die Herbert Kickls Innenministeriumsgeneralsekretär Peter Goldgruber ins Leben rief. Erst jetzt sei ihm bekannt, dass es in einer davon um die "Ausbildung für Informationsbeschaffer" und in der anderen um die "Definition von Analysearbeit im Staatsschutz" gegangen sei. Würde sich John le Carré zwei auffällig unauffällige Haushaltsverstecke für ganz andere Aufgaben ausdenken müssen, könnte er sie ähnlich benennen.

Den Verdacht, dass der FPÖ-Mann Goldgruber eigentlich etwas ganz anderes erledigen sollte, konnte Grindling deshalb auch nicht ganz ausräumen. Ebenso wenig gelang das dem ehemaligen Arbeitsgruppenmitarbeiter Major Mario F., der sich bei seiner durch mehrere Krankmeldungen verzögerten und schließlich erzwungenen (Nicht-)Aussage vor dem Untersuchungsausschuss immer wieder auf Geheimhaltungspflichten berief.

Ex-Spionagechef P., den der Untersuchungsausschuss gestern ebenfalls anhörte, behauptete, seine SMS an Melchior habe sich nicht auf belastendes Material über die FPÖ bezogen. Die etwas rätselhafte Frage des SPÖ-Abgeordneten Kai Jan Krainer, ob es sich um eine Warnung an Sebastian Kurz gehandelt haben könnte, "bestimmte Orte zu meiden", wollte er nicht beantworten.

Nach der Befragung waren sich die Vertreter von Jetzt, Neos und FPÖ dem ORF zufolge einig, "dass man auf ein schwarzes Netzwerk gestoßen sei". Für dessen Kopf hält der Jetzt-Abgeordnete Peter Pilz den ehemaligen Kanzleramtsminister Gernot Blümel (vgl. "Digitales Vermummungsverbot"). "Die Spuren", so Pilz, führten "alle zu ihm". Hans-Jörg Jenewein von der FPÖ fordert deshalb einen neuen Untersuchungsausschuss, der die morgen endende Arbeit des alten fortführen soll.