"Urlaub in Kurdistan"?

Tee in den Bergen von Kurdistan/Nordirak, 23. April 2019. Foto: Kamal Sido

Eindrücke von einer Reise über den Nordirak nach Nordsyrien

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Trotz der bedenklichen Sicherheitslage habe ich mich Ende März 2019 dazu entschieden, im Norden von Syrien und Irak "Urlaub" zu machen. Vom 31. März bis 25. April war ich wieder im Norden von Syrien bzw. im Irak unterwegs. In den beiden Regionen, die zum größten Teil von Kurden kontrolliert oder verwaltet werden, habe ich mit vielen Angehörigen der kurdischen Volksgruppe, der christlichen Assyrer/Aramäer/Chaldäer, Armenier, Yeziden (auch: Jesiden), Aleviten sowie mit Arabern und vielen Angehörigen verschiedener Nationalitäten gesprochen.

Durch meine Arbeit als Nahostreferent bzw. als Referent für ethnische, religiöse, sprachliche Minderheiten und Nationalitäten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kenne ich die Region und die Menschen einigermaßen gut. Diese Kenntnisse erleichterten auch meine Reise um einiges. Mit vielen Menschen aus der Region stehe ich in Kontakt und traf dort überall auf bekannte Gesichter, die mir während meiner Reise geholfen haben. Allen diesen Menschen bin ich sehr dankbar.

Der Nordirak

Der Nordirak oder "das Bundesland Irakisch-Kurdistan", welches von Kurden gerne als "Südkurdistan" bezeichnet wird, entstand nach 1991. Damals griffen alliierte Truppen unter Führung der USA das Regime von Saddam Hussein an, nachdem dieses Kuwait besetzt hatte. Doch die Alliierten ließen, unter dem Druck der Türkei und Saudi-Arabien, die Bevölkerung in Kurdistan im Stich: Der irakischen Luftwaffe wurde erlaubt, Kurdistan mit aller Gewalt anzugreifen.

Aus Furcht vor einem Angriff mit irakischen Massenvernichtungswaffen, flohen mehr als 1,5 Millionen Menschen Richtung türkischer und iranischer Grenze.1 Nach weltweiten Massenprotesten entschieden sich die westlichen Staaten schließlich für die Einrichtung einer "Schutzzone" für die Kurden und andere Volksgruppen.

Khder Kareem, ehemaliger Bürgermeiste von Halbja - hier liegen viele Ofer des Giftgasangriffes auf Kurden durch irakische Truppen 1988 begraben. Foto: Kamal Sido

Infolgedessen kehrten die Menschen in ihre Dörfer und Städte zurück. Als Saddam Hussein aber seine Verwaltung aus Kurdistan abziehen ließ, bildeten die Kurden ihre eigene Verwaltung, welche sich nach dem Sturz Saddam Husseins (2003) festigte. Kurdistan wird nach der neuen irakischen Verfassung (2005) eine föderale Region. Nach Jahrzehnten bewaffneter Auseinandersetzungen kamen sich die beiden großen kurdischen Parteien KDP unter Masud Barzani und PUK unter Jalal Talabani, unter dem Druck der US-Amerikaner, allmählich näher, sodass ein Parlament und Kabinett gebildet werden.

Allerdings blieb Kurdistan seitdem bis heute (März 2019) faktisch zweigeteilt. Während die KDP in den Provinzen Erbil (kurd.: Hawlêr) (auch Regionalhauptstadt) und Dohuk (aramäisch: Nuhadra) herrscht, dominiert die PUK die Stadt Sulaymaniyah. Beide Parteien verfügen in ihren jeweiligen territorialen Machtbereichen über uneingeschränkte Kontrolle.

Irakisch-Kurdistan hat nach eigenen Angaben etwa sechs Millionen Einwohner (2018). Hinzu kommen etwa zwei Millionen Flüchtlinge. Etwa 85% der Bevölkerung sind Kurden und die restlichen 15% sind Turkmenen, Assyrer/Chaldäer/Aramäer, Araber und Armenier. Was die Religionen anbelangt, so sind mehr als 85 % der Bevölkerung in Kurdistan Muslime. Davon sind ca. 6 % Schiiten. Christen und andere Religionen sind mit ca. 6 % vertreten.

Die Mehrheit der Kurden ist sunnitisch. Neben den beiden Hauptrichtungen des Islam, Sunniten und Schiiten, sowie den Christen haben sich zahlreiche altorientalische Religionen erhalten können, beispielsweise die Yeziden oder Schabak.2

Die Angehörigen der orientalisch-christlichen Gemeinschaften sind durch die chaldäisch-katholische Kirche, die assyrische Kirche des Ostens, die alte- apostolische Kirche des Ostens, die Gregorianer, römische und syrische Katholiken, armenische Christen, sowie altsyrisch-Orthodoxe usw. vertreten. Hinzu kommen kleinere Minderheiten wie Kakai-Ahle Haq.3

Doch trotz vieler Schwierigkeiten ist Irakisch-Kurdistan heute eine Art "Tor der Kurden in die Außenwelt" geworden. Aus der ganzen Welt haben die Kurden, aber auch Angehörige anderer Volksgruppen wie Assyrer/Chaldäer/Aramäer, die Möglichkeit mit ihrem Ursprungsland in Kontakt zu bleiben. In Erbil und Sulaymaniyah habe ich nicht nur Kurden, Assyrer/Chaldäer/Aramäer, Amendier oder Yeziden aus Syrien, sondern auch aus der Türkei und dem Iran getroffen.

Die Anwesenheit vieler kurdischen Parteien aus anderen "Teilen Kurdistans" (Türkei, Iran und Syrien) führt auch zu Konflikten mit den Regierungen der Nachbachländer. Daher treten nahezu alle Kurden für den Schutz von Irakisch-Kurdistan vor externen Angriffen, insbesondere durch die Türkei und den Iran, ein.

Nordsyrien

Mit "Nordsyrien", oder wie von den Kurden bezeichnet: "Rojava", ist das Gebiet im Norden der "Arabischen Republik Syrien", entlang der syrisch-türkischen Grenze gemeint. Dieses Gebiet ist, genau wie auch ganz Syrien, eine multiethnische und multireligiöse Region. Der Bürgerkrieg und die Angriffe des selbsternannten "Islamischen Staates" (IS) hatten dazu geführt, dass viele Kurden, Christen und Yeziden Nordsyrien verlassen haben.

Die Anzahl der Araber, welche den Nordosten Syriens vergleichsweise weniger verließen, jedoch nahm zu. Auch durch die Angliederung der vom IS kontrollierten und nun von den "Syrischen Demokratischen Kräften" (SDF - Englisch: Syrian Democratic Forces) "befreiten" Gebiete nahm die Prozentzahl der Araber zu. Nach den Arabern bilden die Kurden im Nordosten von Syrien die zweigrößte Volksgruppe.

Die syrischen Kurden sind inzwischen zu einer eigenständigen Konfliktpartei geworden, unter anderem auch weil viele von ihnen allein kurdische Interessen im Blick haben und eine autonome Selbstverwaltung ihrer Siedlungsgebiete nach Vorbild der autonomen Region Kurdistan im Irak anstreben bzw. befestigen wollen.

Die syrischen Kurden sind in weiten Teilen militärisch organisiert. Sie wurden in den vergangenen Jahrzehnten vom Regime unterdrückt und sind daher keine Verbündeten von Präsident Assad. Dennoch wurde bislang trotzdem keine Allianz mit der restlichen "syrischen Opposition" gebildet, da diese von der Türkei unterstützt wird und das Verhältnis zwischen den Kurden und der Türkei historisch vorbelastet ist.

Der Grund hierfür ist die jahrzehntelange Verfolgung der Kurden durch alle türkischen Regierungen und der Kampf der Türkei gegen die seit 1984 aktive und auch in Deutschland verbotene Kurdenorganisation PKK. Hinzu kommt, dass die in Rojava/Nordsyrien regierende PYD-Partei als PKK-nah gilt.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Türkei gegen die syrisch-kurdische Region Afrin im äußersten Nordwesten des Landes hat dazu geführt, dass die Mehrheit der Kurden in Syrien endgültig mit der protürkischen syrischen Opposition gebrochen hat.

Nach der Eroberung Afrins, meiner Geburtsstadt, durch die Türkei im März 2018, kontrolliert das von Kurden angeführte Militärbündnis SDF nur noch den Nordosten von Syrien, das Gebiet zwischen den beiden Flüssen Euphrat im Westen und Tigris im Osten des Landes. Ein kleiner Streifen im Nordwesten Syriens, zwischen Aleppo und Afrin, auch als "Schahba" bezeichnet, wird zum Teil noch von Kurden kontrolliert.

Kein Visum für deutsche Staatsbürger in Kurdistan

Deutsche Staatsbürger benötigen für Irakisch-Kurdistan kein Visum. Am Flughafen Erbil oder in Sulaymaniyah bekommen sie ein Visum für 30 Tage (Stand März 2019). So bin ich immer über Erbil geflogen. Die Verhältnisse am Flughafen Sulaymaniyah sind mir persönlich nicht bekannt. Die Flüge nach Sulaymaniyah, wie ich gehört habe, sollen ebenfalls relativ unproblematisch sein.

Wer jedoch den gesamten Irak, der sich unter Kontrolle der Irakischen Armee oder der schiitischen Milizen befindet, bereisen möchte, muss sich unbedingt um ein Visum für den Irak bei der Irakischen Botschaft in Berlin bemühen.

Nach Erbil kann man direkt oder mit einer oder mehreren Zwischenstopps aus vielen deutschen Großstädten fliegen. Wer die Türkei offen kritisiert, sollte die Türkei als Transitland jedoch vermeiden. Es ist gut möglich, dass man am Flughafen in Istanbul verhaftet wird, weil man einen kritischen Beitrag zur Türkei zum Beispiel auf Facebook-Seiten veröffentlicht hat.

Der Transfer vom Flughafen Erbil in die Stadt ist in der Regel sehr einfach. Es sind genug Taxis vorhanden. Vor der Fahrt sollte man sich allerdings nach den Taxikosten informieren. Vom Flughafen Erbil bis nach Ankawa beispielweise, in das mehrheitlich von Christen bewohnte Stadtviertel, kostet eine Taxifahrt etwa 10.000 Irakische Dinare (7,5 Euro - Stand Mai April 2019). Dort befinden sich auch viele gute Hotels.