Verkehrswende: AKW für E-Autos?

Bild: Albert Lugosi/ CC BY 2.0

Der Elektroantrieb wird kommen, aber taugt er als Argument für die Reanimation einer Technologie von vorgestern?

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Die Zukunft des Verkehrs steht zur Disposition. Seit den 1920er Jahren träumen Stadtplaner und Autokonzerne davon, die ganze Menschheit hinters Lenkrad zu bringen, jedem seinen eigenen Pkw zu verkaufen und alles diesem Ideal des motorisierten Individualverkehrs unterzuordnen.

Natürlich spielte da von Anfang an viel Ideologie und Blenderei mit, denn Voraussetzung wäre ja unter anderem, dass jeder ein entsprechendes Einkommen hätte. Das ist aber heute selbst in so reichen Ländern wie Deutschland oder den USA weniger denn je der Fall, und das große Geschäft wird ohnehin nicht mit Kleinwagen, sondern im oberen Preissegment gemacht, unter anderen mit dem Verkauf jener spritschluckenden Luxuspanzer, deren Absatz steigt und steigt.

Es gibt also viele gute Gründe, die dagegen sprechen, einfach den Verbrennungs- durch einen Elektromotor auszutauschen und ansonsten den Wahnsinn des motorisierten Individualverkehrs ad infinitum weiterzubetreiben.

Die vielen Unfallopfer – meist Menschen, die nicht hinterm Steuer saßen – sprechen genauso dagegen, wie der enorme Platzverbrauch in den verstopften Städten, der viel zu große Verbrauch knapper Rohstoffe, die soziale Spaltung der Gesellschaft manifest in der Marginalisierung und Demobilisierung der Nicht-Autofahrenden und schließlich auch der hohe Energieaufwand für die Herstellung.

Vom Fahr- zum Stehzeug

Doch wie sieht es eigentlich mit dem Energiebedarf für den Betrieb der E-Autos aus? Gelegentlich kann man die Meinung hören, mit den E-Autos solle der Weiterbetrieb von Kohle- und Atomkraftwerken gerechtfertigt werden. Was ist dran?

Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes wurden 2017 in Deutschland 630,5 Milliarden Kilometer mit Pkw zurückgelegt. Nebenbei bemerkt war das eine Zunahme von 0,8 Prozent, während die "durchschnittliche Fahrleistung des Einzelfahrzeugs pro Jahr hingegen weiter (...) auf 13.922 Kilometer (-0,7%)“ zurückging. Ein Hinweis darauf, dass aus den Fahr- immer mehr Stehzeuge werden, die im Durchschnitt weniger als eine Stunde am Tag genutzt werden.

Wie viel Strom?

630,5 Milliarden Kilometer also. Wie viel Strom bräuchte man für diese Fahrleistung? Vom Nissan Leaf heißt es, er verbrauche 15 bis 17 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Beim Tesla Model 3 ist von 20 Kilowattstunden auf 100 Kilometer die Rede.

Nun sind Herstellerangaben bei E-Autos offenbar ebenso unzuverlässig wie bei Verbrennungsmotoren. (Was sagen eigentlich die Gerichte dazu? Ach ja den bösen NGOs wie der DUH und den Verbraucherschutzzentralen möchte die CDU ja unter dem Applaus aller Dieselfans das Recht zur Verbandsklage entziehen.)

Wie dem auch sei, ein Mitte des Jahrzehnts in Dänemark durchgeführter Versuch ergab jedenfalls im dort flachen Gelände durchschnittliche 18,3 Kilowattstunden auf 100 Kilometern. Die Tests, über die seinerzeit die Kollegen im Heise-Newsticker berichteten, wurden mit 200 Wagen auf 2,3 Millionen Kilometern durchgeführt. Die Verbraucherangaben wurden im Schnitt um 46,4 Prozent übertroffen.

Viel, aber nicht sehr viel

In Deutschland gibt es größere Höhenunterschiede, andererseits ist vielleicht noch einiges an Verbesserungen in den nächsten Jahren zu erwarten. Gehen wir als von einem Verbrauch von durchschnittlich 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometern (200 Wattstunden pro Kilometer) aus.

Das ergäbe dann für die oben zitierte jährliche Fahrleistung aller deutschen Pkw von 630,5 Milliarden Kilometern (multipliziert mit 200 Wattstunden) einen Strombedarf von 126,1 Terawattstunden.

Das ist nicht wenig, aber im Vergleich zur bisherigen Produktion auch keine exorbitante Menge. Im Verhältnis zur erbrachten Leistung ist das sogar erstaunlich wenig. Verbrennungsmotoren haben einen erheblich höheren Energieverbrauch.

Um einmal die Relationen zur aktuellen Stromproduktion zu verdeutlichen: Wasserkraftwerke, Biogas-, Solar- und Windkraftanlagen haben zum Beispiel von Januar bis jetzt rund 111 Terawattstunden Strom eingespeist. Das waren in den ersten fünf Monaten immerhin 47 Prozent der deutschen Netto-Stromerzeugung für das öffentliche Netz.

Oder anders ausgedrückt: Wenn man tatsächlich den derzeitigen Pkw-Verkehr vollständig mit E-Autos bewältigen wollte – statt den motorisierten Individualverkehr deutlich einzuschränken, Verkehr egalitärer zu gestalten und die öffentlichen Systeme massiv auszubauen –, dann müsste die Stromerzeugung um gut 23 Prozent gesteigert werden.

Das ginge zur Not auch mit den erneuerbaren Energieträgern, auch wenn es – wie gesagt – nicht besonders sinnvoll wäre.